Gut verzahnt – Beim einzigen Deutschland-Konzert spielten die umbesetzten Tindersticks formidabel auf

BERLIN, VOLKSBÜHNE.

Nichts deutet vor dem Gebäude oder im Foyer darauf hin, dass ein Konzert anberaumt ist, vieles indes auf eine Theateraktivität im zweiten Stock. In Frank Castorfs Reich wird Pop allenfalls geduldet, geliebt wird das aufgeregte Selbstbespiegeln. In kritischer Distanz, versteht sich. „Die englische Musikgruppe“, belehrt mich die strenge Dame im Kassen-Kabuff, „spielt ab 22 Uhr.“ Warum es denn nirgendwo einen Hinweis auf das Konzert gebe, frage ich. „Nicht nötig“, erklärt die Verwalterin der Gästeliste bündig, „ist ausverkauft.“

Murder heißt das Kopenhagener Trio, das mit studierten Folk-Eindringlichkeiten dem Ereignis ein musikalisch eher freudloses Willkommen vorausschickt, trocken humorig indes in der griesgrämigen Lakonie seines verbalen Rapports mit dem Publikum. Ein Feuerwerk der guten Laune freilich im Vergleich mit der Zweisilbigkeit, mit der Stuart Staples dann gut 90 Minuten lang die Anwesenheit seiner Fans zur Kenntnis nimmt. Nur „thank you“ kommt ihm über die Lippen, wie eine lästige Pflicht ins Mikro gepresst, stets in den Schlussakkord hinein, bevor sich auch nur eine Hand zum Applaus regt. Staples ist nervös, überbrückt die kurzen Pausen zwischen den Songs mit ähnlich linkischen Gebärden wie Goren in „Cnminal Intent“ und dem geflüsterten Einzählen der nächsten Anstrengung: „onetwothreefour…“.

Tindersticks sind nach dem bedauerlichen Personalwechsel eine etwas andere, keinesfalls schwächere Band. Dickon Hinchcliffes ungestüme Violine wird vermisst, seine ganze Wah-Wah-Exzentrik auch, und die neue Rhythm-Section hat weniger Swing, agiert exakter als die alte, doch wird der Mangel an Jazz wettgemacht durch mehr Konzertanz und filigranere Arrangements. Zwölf Köpfe bietet die Tourbesetzung der Tindersticks auf, die Streicher beinahe kammermusikalisch verhalten, die Blechbläser für die Wallungen zuständig, im Ensemble ein formidabler, wandlungsfähiger Klangkörper. Anfangs noch nicht ganz firm in Sachen Tuning, trotz Takteinspielung über Kopfhörer, im Laufe des Konzerts aber immer besser verzahnt, gen Ende gar fulminant aufspielend. Auch Staples gewinnt an Sicherheit, lässt sich von Song zu Song vertrauensvoller in die offenen Vokale fallen, von denen seine Phrasierung fast exklusiv lebt. Im Konsonantendschungel des Deutschen wäre dieser Sänger völlig aufgeschmissen.

Das Repertoire ist klug gewählt und wird dramaturgisch schlüssig entboten. Die neuen Songs folgen dem Sequencing der aktuellen, wiederum fabelhaften LP „The Hungry Saw“, wobei besonders „E-Type“ und „The Other Side Of The World“ zu begeistern wissen, ersteres vor allem in Bezug auf instrumentale Finessen, letzteres durch die schiere Intensität des Vortrags. Dazwischen streut Staples alte Favoriten aus sämtlichen Tindersticks-LPs, löwenanteüig aber aus der zweiten. „She’s Gone“, „Travelling Light“, „My Sister“ und „Mistakes“ werden gebührend gefeiert, mit „Her“ kommt gar noch ein Track der Debüt-LP zu Ehren.

Zwei Zugaben werden schließlich verlangt und gewährt, Stuart Staples lächelt am Ende entspannt, verneigt sich, sagt „thank you“, laut und deutlich.

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