Gurus und ein Haus im Grünen
David Sylvian sieht überhaupt nicht aus wie David Sylvian. Aus dem arroganten Jüngling, der in den frühen 80er Jahren als Kopf der eklektischen New-Wave-BandJapan im schlecht sitzenden Zeitgeistler-Outfit desinteressiert auf die Welt hinabblickte, ist ein gemütliches Murmeltier geworden, das bei Kerzenlicht in einem Londoner Büro sitzt und mit gesenkter Stimme von seinem bescheidenen Leben erzählt.
Jenes erweist sich als auch nicht anders als unser aller Dasein, nur halt mit ständiger Musikpräsenz – und einem Guru: „Ich habe ihn in Deutschland kennengelernt, über meine Frau Ingrid. Er hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Ich meditiere jetzt oft und bin im allgemeinen viel ausgeglichener“, sagt derselbe Mann, der im Jahre 1974Japan gründete und dann auszog, um zusammen mit Mick Kam und den Dolphin Brothers für eine neue, androgyne Ästhetik der Popmusik zu sorgen: „Ich bin jetzt wohl um einiges glücklicher als früher; aber ich bin trotz allem immer noch dabei, zu lernen.“
Da werden wohl einige sagen: Die böse, böse Esoterik, macht Leute glücklich, obwohl das in diesem Leben eigentlich gar nicht vorgesehen ist, und dann kriegt der Guru wahrscheinlich auch noch Geld dafür – schrecklich! Wer den lausch von Geld gegen Glückseligkeit für fragwürdig hält, sollte wohl auch auf den Kauf von David Sylvians neuer Platte „DeadBees On A Cake“ verzichten, die Ende März erscheint Dieses unglaublich mild dahinziehende Werk macht nämlich mindestens froh, wenn nicht sogar glücklich. Blaset Percussion und Funk-Gitarren verbinden sich auf weiten, angejazzten Synthie-Feldern zu einer Musik, die leise ist wie Laub und ebenso beweglich. Das Niemandsland zwischen Ethno, Ambient und New Age wird Pop, wenn Sylvian singt. Die schönsten Melodien in der Karriere des 1958 in London als David Batt geborenen Musikers sind auf diesem Album zu hören.
Dafür hat sich Sylvian aber auch viel Zeit gelassen. Sein letztes Werk, ein Live-Mitschnitt, erschien vor fünf Jahren, nachdem eine Japan-Reunion unter dem Namen Rain Tree Crow 1991 für zwiespältige Reaktionen bei Band und Publikum gesorgt hatte.
Der Weg zum neuen Album war tatsächlich mühsam: „Die ersten Bänder habe ich alleine zu Hause aufgenommen. Danach war ich dann in Studios in London und New bric, aber am Ende landete ich wieder daheim.“ Immerhin hat der gereifte Waver während seiner Odyssee einige ex-quisite Gastmusiker aufgegabelt: in New brk die Jazz-Gitarristen Marc Ribot und Bill Frisell, in London den hippen Dancefloor-Inder Talvin Singh. Dazu kam dann natürlich auch noch ein alter Bekannter, der arrivierte Global-Japaner Ryuichi Sakamoto.
Produktionsprobleme waren aber nicht der einzige Grund für die lange Pause: David Sylvian ist viel ruhiger geworden, seit er mit der deutschen Sängerin Ingrid Chavez verheiratet ist. Früher fiel er oft durch seine enorme Aktivität auf: Neben unzähligen Platten, eigene ebenso wie Kollaborationen mit Holger Czukay, Robert Fripp oder eben Sakamoto, war er auch als Fotograf und Künstler tätig. Heute hat der Engländer, der seit einigen Jahren in den USA lebt, die Freuden des Alltags entdeckt: „Wir führen ein ganz normales Leben. Wir haben Kinder, für die ich mir viel Zeit nehme. Außerdem verbringe ich einen grossen Teil meines Lebens in der Natur – wir leben im Grünen.“
Nur ein Projekt steht immer noch an: ein Album mit seiner Frau. Ingrid hatte schon 1991 eine CD mit Prince produziert, war damit allerdings nicht glücklich. Jetzt gibt es eine neue Zusammenarbeit: „Wir haben Demos verschickt, aber niemand wollte das Projekt haben. Das Argument war stets dasselbe: Sie wußten nicht, wie sie Musik vermarkten sollten, die sie nicht einordnen können.“ Dieses Problem, das auch für seine anderen Alben gilt, ist natürlich für jeden außerhalb der Musikindustrie fiktiv. Auch Sylvian selbst kann darüber nur noch den Kopf schütteln: Er begreift das Pop-Ghetto nicht mehr – er hat jetzt ein richtiges Leben.