Gunter Blank geht trinken: die besten japanischen Cocktails
Denen, die schon alles zu kennen glauben, bieten japanische Cocktails besonders raffinierte Geschmackserlebnisse
Der Mann liebte seinen Beruf mehr als sein Leben. Yonekichi Maeda gilt als Mitbegründer der modernen japanischen
Cocktailkultur. Nachdem er sein Handwerk auf den großen Oceanlinern gelernt hatte, begeisterte er als Bartender im Café Line im Tokioter Ginza-Distrikt seine nach neuen Kicks gierenden Gäste und publizierte 1924 „Kokuteeru“, eine Sammlung von 287 Rezepten, darunter auch die ersten originär japanischen Cocktails. Danach eröffnete er einen Spirituosenhandel, verkaufte seine selbst abgefüllten Cocktails und starb mit 42 Jahren an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums.
Sein Erbe – etwa der aus Kyoto Dry Gin, Cocchi-Wermut und Bénédictine sowie zwei Spritzern Angostura bestehende Line Cocktail – lebt jedoch genauso weiter wie das des deutschstämmigen Louis Eppinger, der bereits 1899 im Grandhotel von Yokohama die erste Cocktailbar westlichen Stils eröffnete. Ob Grandhotel oder Bar für jedermann in Vergnügungsvierteln wie Ginza: Japan verfügt über eine Cocktailkultur, die die hiesige weit in den Schatten stellt. Allein in Ginza buhlen heute über 300 Bars um die Gunst der Gäste.
Kein Wunder, dass bei solcher Konkurrenz das Mixen als höchstes Kunsthandwerk gilt, das mit derselben Akribie ausgeübt werden muss wie Sashimi-Schneiden oder Kugelfisch-Filetieren. Um als Bartender ernst genommen zu werden, braucht man wenigstens zehn Jahre Berufserfahrung, und nicht selten verbringt ein Novize die ersten mit dem Abwischen der Theke und dem Ausbürsten des Anzugs des Chefs.
Eine besonders akribische Jüngerin dieser Tradition können wir in Julia Momosé kennenlernen, einer in ihrer Chicagoer Bar Kumiko – soll man sagen, lehrenden? – Cocktailspezialistin, die uns mit „Japanische Cocktails“, einem erschöpfenden Kompendium dieser Kunst, beglückt. Von der ersten Seite an verströmt die Dame höchste Hingabe und absoluten Willen zur Perfektion. „Ein Cocktail“, ist Momosé überzeugt, „kann nur dann wirklich japanisch sein, wenn er den japanischen Sinn für Harmonie und Verbundenheit widerspiegelt.“
Allein deshalb lohnt die Lektüre, die man im besten Sinne bewusstseinserweiternd nennen kann. Und auch wenn wir Momosés Fertigkeiten nie erreichen werden – ein paar ihrer Kreationen sollte man unbedingt ausprobieren. Sake and
Sonic zum Beispiel, einen erfrischenden Aperitif aus 3 cl Reis-Shochu und 3 cl Sake, die mit 6 cl Soda und 3 cl Tonic aufgefüllt werden. Sake und der meist aus Reis, aber auch aus Süßkartoffeln und Gerste destillierte japanische Schnaps Shochu spielen überhaupt eine große Rolle. Ebenso wichtig sind typisch japanische Produkte wie die Yuzu-Frucht oder Matcha-Pulver. Etwa beim Yuzu Salty Dog aus 4,5 cl rotem Grapefruitsaft, je 1,5 cl Yuzu-Saft und Zuckersirup, 3,75 cl Kyoto Dry Gin sowie einem viertel Teelöffel Matcha. Zuerst werden Sirup und die eisgekühlten Grapefruit- und Yuzu-Säfte in ein Glas gegossen und durchgerührt, darauf wird dann vorsichtig der klassisch mit dem Matcha geschüttelte Gin gegeben.
Wenn sich die Säfte im Mund mit dem Matcha-Gin vereinen, entfalten sie ein herrlich herbes Aroma. Nicht weniger komplex und in asiatischen Spezialgeschäften erhältlich sind Umeshu, der aus der japanischen Aprikose hergestellte Likör, und Ume Su, der dazugehörige Essig, mit denen sich auch erstaunliche Varianten von Klassikern wie Margarita und Martini mischen lassen.
Wem das zu aufwendig ist, der kann sich an Klaus St. Rainer wenden, der dem Novizen mit 200 Rezepten, die er für sein Buch „Homebar“ kompiliert hat, den Weg zum Wohnzimmer-Shaker weist. Wer indes nur ein Cocktail-Buch kaufen möchte, dem sei Stephan Hinz’ „Cocktailkunst. Die Zukunft der Bar“ ans Herz gelegt, fast schon ein kleines Standardwerk nicht nur des Mixens, sondern der Eigentümlichkeiten, der Verwendung und der Herkunft alkoholischer Getränke allgemein.
„Die Zubereitung eines Drinks“, sagt Hinz, „ist weder regellos noch eine Geheimwissenschaft. Es ist nur eine Frage der Methode und des Könnens.“ Ob man dafür, wie seine japanische Kollegin glaubt, Jahrzehnte braucht, lassen wir dahingestellt.