Gunter Blank geht essen: Wenn Künstler kochen
Salvador Dalí hat einmal ein Kochbuch geschrieben. Viele andere Kreative taten es ihm nach – mit höchst unterschiedlichen Resultaten
1959 war Andy Warhol noch nicht König von New York, sondern ein ambitionierter Werbegrafiker, der seine Freunde mit lustigen, selbst verlegten Büchern unterhielt. Eines davon hieß als Hommage an Ingmar Bergman „Wilde Erdbeeren“ und nahm den „Haute Cuisine“-Hype aufs Korn, der mit einer Flut französelnder Kochbücher die amerikanischen Vorstadthausfrauen in Gourmetköchinnen verwandeln wollte.
Zusammen mit der Innenarchitektin Suzie Frankfurt und seiner Mutter, Julia, die die Kalligrafie beisteuerte, schuf er ein luftig illustriertes Panoptikum in 18 Rezepten, die in einer Auflage von 34 Exemplaren erschien und schnell heiß begehrt war. Zwar zielen einige seiner Rezepte eher auf den schnellen Witz ab – so das Omlet Greta Garbo, das „stets allein in einem von Kerzen erleuchteten Zimmer zu verzehren“ sei –, aber Warhol weiß auch, dass „ein aus dem Hinterhalt erschossener Rehbock unendlich viel besser schmeckt als ein bei der Hetzjagd erlegter“. Überhaupt weisen viele seiner Gerichte bereits weit über seine Zeit hinaus.
Ungeachtet gelegentlicher orthografischer Schwächen von Mutter Julia hätten Kreationen wie der auf einer Eisbombe angerichtete Salade de Alf Landon aus Hummerstückchen und Kalbsnierchen oder die wie eine antike Opfergabe aufgespießten Artischockenherzen mit Sauce mousseline auch noch 30 Jahre später einem Avantgardisten wie Ferran Adrià gut zu Gesicht gestanden.
Warhols Nachahmer
Kein Wunder, dass Warhol alsbald jede Menge Nachahmer fand. Schon 1961 erschien „The Artists’ And Writers’ Cook-book“, ein fettes Kompendium, in dem die halbe Moderne ihre Essgewohnheiten und Lieblingsrezepte kundtat. Marcel Duchamps verriet sein originelles Rezept für Beefsteak Tatar, dem er neben Eigelb, Zwiebeln und Kapern mit dem Einsatz von Anchovis, schwarzen Oliven und gelben Sellerieblättern eine unverwechselbare Note gab. Man Ray indes packt für sein Dadaistisches Menü noch einmal das große Besteck aus. Zwar verwendet der alte Surrealist ebenfalls schwarze Oliven, aber die schmeißt er kurzerhand weg und füllt das Glas mit Stahlkugeln auf, die er mit Motoröl mariniert. Dazu reicht er ein blassblau angemaltes Baguette. Als Hauptgang serviert er Holzeier am Bratspieß. In die gleiche Kerbe hieb Harper Lee, die für einen Laib Brot das Fett eines ganzen Schweins veranschlagte. „Southern Style“ nannte sie das und merkte an, dass „dieses Rezept ganz allein den Konföderierten den Garaus gemacht“ habe.
Gänzlich unsurrealistisch und mit geradezu heiligem Ernst und erotischer Finesse dagegen nähert sich Salvador Dalí, der mit sechs Jahren davon träumte, Köchin zu werden, der Verschmelzung von Kunst und Küche. Seine 1973 erschienenen „Diners mit Gala“ (Taschen) orientieren sich an den Galadiners der großen französischen Häuser. Und Dalí erwies sich mit Kreationen wie Fricandeau à la mode, Wildschweinkeule mit schwarzem Rettich, Langustenparfait und Froschcreme als auf Augenhöhe mit den dortigen Chefs, deren Kanon er mit Anleihen bei der asiatischen (Meeraal) und südamerikanischen Küche (peruanische Krebse) erweiterte.
Dagegen nehmen sich die Kochkünste der Berliner Kunstszene trotz deren immer wieder hervorgehobener Internationalität einigermaßen provinziell aus. Zumindest ist das der Eindruck, den das Kochbuch „Videoart At Midnight“ vermittelt, das der ehemalige Berliner Galerist Olaf Stüber mit den Lieblingsgerichten von überwiegend in Berlin ansässigen Künstlern zusammengestellt hat. Ein gewisser Kunstwille wird allenfalls bei der aus Roter Bete zubereiteten Hello-Kitty-Suppe der israelischen VJ-Pionierin Safy Sniper sichtbar.
Subversiv dagegen dünkt sich Professor Ulf Aminde, der an der Kunstübermalungs-Hochschule Weißensee lehrt. Weil er es als Nordeuropäer aus Gründen unstatthafter „interkultureller Aneignung“ als problematisch empfindet, ein chinesisches Hühnergericht nachzukochen, weigert er sich mit pietistischem Furor, das Rezept preiszugeben. Die anderen Avantgardisten verlassen sich überwiegend brav auf die Rezepte ihrer Großmütter und Mütter – und könnten sich damit sogar auf Warhol berufen. Denn immerhin hat sich auch der 19 Jahre lang von seiner Mutter bekochen lassen.