Gunter Blank geht trinken: Wie Gin zum Hipster-Drink wurde
Wie der traditionsreiche Gin, einst ein britischer Armeleuteschnaps, zum bizarr aromatisierten Hipster-Gebräu avancierte.
Schuld waren mal wieder die Franzosen. Als sie 1998 den durch Kräuter und Blüten extrem parfümierten Gin Citadelle kreierten, traten sie eine Welle los, die insbesondere in den deutschsprachigen Ländern die absonderlichsten Sumpfblüten treibt. Seit ein geschäftstüchtiger Nokia-Manager vor zehn Jahren mit großem Gewese die Marke Monkey 47 auf den Markt brachte, ist parfümierter Gin zur Lieblingsspirituose ökologisch bewusster Hipster avanciert. Da Gin relativ einfach herzustellen und aromatisch weitläufig definiert ist, kann sich jeder, der sich für einen Genussbürger hält, einen Kräutergarten anlegen und eine Destillerie eröffnen.
Lebensstern, Stauffenberg, Windspiel, Hafencity, All In, Schrödinger’s Katzen Gin, Siegfried Rheinland Dry Gin, The Good Gin, Brandstifter: Oft lassen die Namen auf ein übersteigertes Geltungsbewusstsein der Produzenten schließen, die sich wie ihre Kundschaft anscheinend in einem von Uwe Tellkamp, „Landlust“ und Mercedes G-Klasse geprägten Milieu tummeln. Den Vogel auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeit schießt ein Wagyu Gin aus Bayern ab, der mit geräuchertem Kobe-Rindfleisch, nun ja, veredelt wurde. Dabei ist Gin historisch eher ein Armeleuteschnaps, der in England als Alternative zum oft verseuchten Wasser konsumiert wurde.
Besonders verheerend war dies während der englischen Gin Craze, die Anfang des 18. Jahrhunderts ausbrach, nachdem die Regierung den Import von Brandy eingeschränkt und gleichzeitig den Bau heimischer Gin-Destillerien gefördert hatte. Es brauchte sechs Gesetze, bis der Wahn, der fürchterliche Verwüstungen im englischen Proletariat anrichtete, 1751 endlich abflaute. Der fromme Dichter Thomas Hood fasste 1844 die Tragödie mit „A Drop Of Gin“ in aufrüttelnde Verse, in denen er die „Brennblasen der Hölle“ verdammte, aus denen der „Trunk des Satans“ floss. Der nicht weniger frömmelnde Fred Rose mag dieses Epos vor Augen gehabt haben, als er 1949 Hank Williams’ Version von „Lost Highway“ zensierte und „a jar of gin“ durch „a jug of wine“ ersetzte. Überhaupt hat der Gin in der Popmusik nicht viele Spuren hinterlassen. Am eindrücklichsten bei den Mekons, die mit „Gin Palace“ Bezug auf Thomas Hood nehmen und die christliche Rhetorik in eine Kritik am Thatcher-Kapitalismus überführen.
Ansonsten erinnert man sich an Hank Snows „The Night I Stole Old Sammy Morgan’s Gin“ und Dave Davies’ „Death Of A Clown“, die beide elegant auf „chin“ reimen. Und natürlich an Jagger/Richards’„in Gin getränkte Ballhauskönigin in Memphis“, wobei sich hier vermutlich die englische Herkunft über die neu entdeckte Liebe zum Honkytonk legte. Denn erstens geht man im Süden eher in eine „Dance Hall“, und zweitens scheint fraglich, ob die käuflichen Damen in der Hauptstadt des Bourbon sich mit Gin betranken. Deshalb bleibt der Ruhm der größten Gin-Hymne Kid Rock vorbehalten. In „Cocaine And Gin“ verherrlichte der Redneck-Dandy 2012, just als Gin in Amerika schick wurde, zu staubtrockenen Country-Rock-Klängen den Geistes- und Gemütszustand späterer Trump-Wähler.
Die besten Gins
Gleichwohl ist der Gin viel zu schade, um ihn Rednecks und Hipstern zu überlassen. Deshalb haben RS-Redakteur (und Gin-Freund) Arne Willander und ich spontan eine selbstermächtigte Zweimannjury gebildet, um in geheimer Abstimmung die besten Gins zu küren. Den ersten Platz belegt The London No. 1, der nicht nur von Natur aus bläulich schimmert, sondern auch extrem ausgewogen schmeckt und sanft dem Gaumen schmeichelt, wo er sein aus elf Kräutern kompiliertes Aroma entfaltet. Platz 2 geht an Tanqueray, der mit seinen 47,3 Prozent nur die vier klassischen Zutaten Wacholder, Koriander, Angelikawurzel und Süßholz benötigt, um sein klares und ehrliches Aroma zur Geltung zu bringen. Den dritten Platz teilten sich der etwas gurkige Hendrick’s und der etwas zitrusstärkere No. 3. Der Lifetime Award wurde dem oft geschmähten Gordon’s zugesprochen, weil dieser traditionsreiche Schnaps allen anderen Billigmarken überlegen ist und noch in der finstersten Großstadtspelunke und der abgelegensten Dorfschenke zuverlässig bereitsteht.