Gunter Blank geht essen: Der Geist des Obstes
Obstbrände, früher oft verpönt, erfreuen sich heute wachsender Beliebtheit.
„Jeder Brand ist ein Einzelstück“, sagt Christine Schönweger, „er soll originalgetreu wiedergeben, was draußen an Baum und Rebstock hängt.“ Ihre Obstbrände aus Äpfeln, von der Vinschger Marille, aus Quitten, Zwetschgen, Williamsbirne und Trauben, die sie im nahe Meran gelegenen Partschins herstellt, zählen zum Besten, was derzeit auf dem boomenden Markt der Obstbrände zu finden ist.
Kein Wunder: Schönweger ist Südtirols einzige Brennerin, die den kompletten Produktionsprozess von der Blüte bis zur händischen Nummerierung jeder einzelnen Flasche kontrolliert. „Das Wichtigste“, fährt sie fort, „ist für mich das Obst. Es muss richtig schön reif sein, blitzsauber, selbstverständlich handgepflückt. Dann gilt es, beim Brennen aus jedem Jahrgang die bestmögliche Qualität herauszuholen.“
Dabei ist die dynamische Südtirolerin eine echte Quereinsteigerin. Als junge Frau kehrte sie dem elterlichen Hof den Rücken und arbeitete nach ihrer Ausbildung als Modestilistin für die großen Mailänder Häuser. Erst nach der Geburt ihres Sohnes kehrte sie auf den Hof zurück, diversifizierte Sorten, pflanzte Reben, produzierte Wein und brannte 2007 ihre ersten Brände. „Tja, das klingt wie zwei völlig unterschiedliche Welten“, sagt sie. „Aber beim Schnaps und in der Mode lauern jedes Jahr die Herausforderungen einer neuen Kollektion.“
Der Großteil des Obstes, das sie in der Hofbrennerei Gaudenz verarbeitet, stammt von den Feldern der Familie. Schönweger brennt höchstens an sechzehn Tagen im Jahr. „Das sind die spannenden Tage, man muss Vor- und Nach- lauf abtrennen, nur das Herzstück herausholen – da sollte man nicht geizig sein, auch wenn dann nur kleine Mengen dabei herauskommen.“
Die aber haben es in sich. Der Verfasser schätzt sich glücklich, ein paar ihrer Brände probieren zu dürfen. Egal ob Marille, Apfel, Quitte oder Grappa – sie alle schmecken hochintensiv, fruchtig, aber nie aufdringlich und schmeicheln sanft dem Gaumen. Als Primus inter Pares empfand er die am schwersten zu bändigende Quitte, die ein herrlich feinherbes Mundgefühl erzeugt.
„Ja, die Quitte ist sehr aufwendig, hundert Kilo Quitten ergeben gerade mal vier Liter Brand“, erklärt Schönweger. „Der Pelz muss abgeschrubbt werden. Die Frucht ist extrem trocken und sehr hart beim Verarbeiten. Aber die Mühe lohnt sich.“
„Rachenputzer“ galten lange als altbacken
Früher war das anders: Das Schnapsbrennen war ein Nebenprodukt der Landwirtschaft. Der nicht selten vom Opa schwarz gebrannte Obstler aus Pflaumen, Äpfeln oder Birnen wurde nach einem reichhaltigen Mahl weggekippt und hinterließ am Gaumen oft ein brachiales Brennen. „Rachenputzer“ nannte man das, es war mehr Arznei als Genussmittel, auf feinen Geschmack legten nur wenige Wert. Italienischer Grappa und Schweizer Williamsbirne waren kostbare Urlaubsmitbringsel, die nur zu den allerfestlichsten Anlässen aus dem Schrank geholt wurden. Die folgenden Generationen schworen dann auf Whisky, Rum und Gin, Obstbrände galten – vom Grappa mal abgesehen – als altbacken.
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Das hat sich inzwischen grundlegend geändert“, sagt Maria Kampp. „In ganz Europa wächst die Nachfrage nach edlen Bränden.“ Deshalb hat die Sommelière siebenundzwanzig Brennereien besucht und in ihrem Führer „Oh! Hochprozentiges Südtirol“ porträtiert. Wobei man dort nie aufgehört hat, die heimatlichen Schnäpse wertzuschätzen. Inzwischen leisten die Brenner zudem einen großen Beitrag für die Sortenvielfalt. Sie brennen mit Vorliebe alte, nahezu in Vergessenheit geratene Apfel- und Birnensorten oder pflanzen Enziane an, weil die wild wachsenden unter Artenschutz stehen.
In jüngster Zeit sind die aus Österreich bekannten Marillen, Quitten, Pflaumen und die etwas vernachlässigte Vernatsch-Traube dazugekommen. Aus Letzterer brennen nicht nur Christine Schönweger und ihre Südtiroler Kollegen ganz herrliche Grappe. Auch in Schwaben, wo die Sorte als Trollinger firmiert, haben die ersten Winzer die stillen Qualitäten der oft geschmähten Traube entdeckt und eifern den Südtiroler Vorreitern mit durchaus eleganten Tresterbränden nach.