
Gunter Blank geht essen: Orangen – saftig und süß
Orangen schmecken nicht nur als Frucht und Saft, es lässt sich auch vorzüglich mit ihnen kochen – zum Beispiel Grünkohl und Buletten.

Wenn Sie schon häufig Alkohol trinken, dann lassen Sie wenigstens das Obst weg“, riet vor langer Zeit ein verständnisvoller Arzt. Und tatsächlich folgte der Verfasser brav dem wohlmeinenden Rat und entsagte fortan fast gänzlich Fruchtsäften, Erdbeeren, Pfirsichen und vor allem Orangen und Mandarinen.
Diesen Winter indes ließ er alle Vorsätze fallen, reduzierte den Konsum von Wein, Schnaps und Bier und gab sich hemmungslos dem Genuss von Orangen und Mandarinen hin. Der Grund war ein überaus liebenswerter Sizilianer, der Anfang Dezember auf unserem Wochenmarkt auftauchte und Produkte seines heimatlichen Familienbetriebs anbot.
„Alles selbst angebaut“, versicherte er, „und garantiert bio!“ Vor Überwältigung durch den Anblick des reichhaltigen Angebots wurde der Einkaufsbeutel nicht nur mit Zitronen und Limetten gefüllt, sondern auch mit Orangen und Mandarinen – und zu Hause nachgeholt, was jahrelang entbehrt worden war. Die dicken, saftigen Schnitze, frisch gepresster Saft – es war ein himmlisches Vergnügen. Und als sich kurz vor Weihnachten endlich auch die tiefrot leuchtenden Blutorangen in der Auslage stapelten, war das Glück vollkommen.
Sanguinelli und Moro bot er an, besonders die sizilianischen Moros lösten geradezu ekstatische Gefühle aus, nicht zuletzt weil sich damit glückliche Kindheitserinnerungen verbinden, denn die kleinen dunkelroten Früchte mit ihrem dunkelvioletten Fleisch waren damals einzeln – so schien es – in feinstes Seidenpapier eingewickelt, aus dem man sie vor dem Genuss ehrfürchtig befreien durfte.
Ein glücklicher Umstand fügte zudem, dass mein Blick gerade noch rechtzeitig auf das im Sommer übersehene Rezeptbuch „Orangen“ von Jamie Schler fiel. Die inmitten von Orangenhainen in Florida aufgewachsene Foodjournalistin, die inzwischen an der Loire ein malerisches Landhotel betreibt, versammelt nicht nur das Beste ihrer zwei Heimaten, sondern bereichert ihre Auswahl durch eine Fülle ungewöhnlicher Variationen.
Natürlich dominieren die Süßspeisen, etwa die spanisch-amerikanischen Süßkartoffelbiscuits oder die kleinen französischen Orangen-Financiers, die in Frankreich als die gehaltvollen, süchtig machenden Cousinen der Proust’schen Madeleines berüchtigt sind, sowie Salate und Dressings.
Besonders sei hier die vielseitig einsetzbare Blutorangen-Hummus-Vinaigrette empfohlen. Dazu verquirlen wir drei Esslöffel Hummus, je zwei Esslöffel Blutorangensaft, Oliven- und Sesamöl, einen Esslöffel Weißwein- oder Champagneressig, den Abrieb einer (Moro-)Blutorange sowie etwas Salz und Pfefer aus der Mühle. Das cremige, mit ein paar fein filetierten Spalten angereicherte Dressing passt zu allen Gartensalaten, aber auch zu gegrilltem Radicchio, Garnelen und Hähnchensalat.
Mehr Texte von Gunter Blank geht essen
- Prima Klima für Trauben
- Brust oder Keule
- Der Herr der Saucen
- Deftige Traditionskost aus Litaue
- Das satte Gelb der Zitrone
- Autorin Alice Randall überzeugt auch als versierte Köchin
- Der Geist des Obstes
- Küche der Kindheit
- Risotto immer schön langsam kochen!
- Der Stolz Valencias
- Es gibt Reis, Baby!
- Wie man guten Pfeffer erkennt
- Wenn Popstars sich als Kochbuchautoren versuchen
- Adiós Pintxos?
- Die besten japanischen Cocktails
- Die perfekte Soundbegleitung fürs Kochen
Verblüffender als diese aromatisch immerhin meist naheliegenden Rezepturen sind Schlers Vorschläge, Orangen auch mit nicht auf der Hand liegenden Zutaten zu feinen Hauptgerichten zu kombinieren. Dass Karotten, Ingwer und Orangen hervorragend harmonieren und allerlei Hähnchengerichte sich über die Aromatisierung mit Orangen freuen, dürfte sich längst herumgesprochen haben. Aber dass die berühmten Moules-frites, die Miesmuscheln mit Pommes, in einem mit frisch gepresstem Orangensaft, gerösteten Zesten und Fenchelstreifen angereicherten Weißweinsud dem französischen Klassiker eine frische, süßsäuerliche Note verleihen, überraschte zumindest den Verfasser.
Auch die Kombinationen Orange und italienischer Speck zu Fettuccine oder Spargelcremesuppe mit Orangensahne schüttelt der ambitionierte Hobbykoch nicht eben aus dem Ärmel. Und mit Koriander und Orangensaft veredelte Fleischpfanzerln dürften nicht nur in Bayern verzücktes Staunen hervorrufen. Und wenn Ihnen als nicht nur norddeutscher Grünkohlliebhaber der Pinkel langsam zu schwer im Magen liegt, bereiten Sie Ihr Leibgericht zum Saisonausklang doch einmal mit gehackten Zwiebeln, Birnenschnitzen in einem Sud aus braunen Senfsamen, Reisessig und Orangenblütenwasser zu. Und schon schmeckt der Winter ganz nach Frühling