Gunter Blank geht essen: Folgt auf die Corona-Krise das Ende der Restaurantkultur?
Corona-Krise, Homeoffice und Stadtflucht ändern unsere Essgewohnheiten zum Mobilen. Ist das gute alte Restaurant bald am Ende?
Pietro, der Wirt des Stammitalieners, hat sich bis zuletzt gesträubt. Als im Dezember die zweite Welle anrollte, musste auch er klein beigeben und zum ersten Mal in seiner über 30-jährigen Karriere Pizza und Pasta außer Haus liefern. „Nudeln geht ja noch“, erklärte er am Vorabend des erneuten Lockdowns, „aber Pizza eigentlich gar nicht.“ Tatsächlich bildet der Dampf im Karton ein ungutes Feuchtgebiet, der knusprige Teig wird labbrig, der Belag gart nach und wird matschig. „Ich hoffe, die Leute schieben sie zu Hause wenigstens noch ein paar Minuten in den Ofen. Aber wenn du mich fragst, bestell besser Cannelloni oder eine Lasagne!“ – Gesagt, getan.
Seitdem futtert sich der Verfasser tapfer durch die Nudelkarte und überlegt, wie das Virus und die damit einhergehenden oder von ihm beschleunigten Veränderungen sich auf unsere Essgewohnheiten auswirken werden. 11,4-mal pro Jahr ließ sich laut Takeaway.com der Deutsche vor dem Ausbruch der Krise eine Mahlzeit nach Hause liefern. Gemessen an der Zahl der orange- und himmelblau-farbenen Kuriere, die seit Wochen das Straßenbild prägen, dürfte dieser Wert inzwischen gestiegen sein. Und immer häufiger handelt es sich bei diesen Bestellungen nicht mehr nur um die schnelle Pizza vom nächstgelegenen Italiener, sondern um höherpreisige Gerichte, die von verzweifelten, aber auch findigen Gastronomen angeboten werden.
Regeln beim Essenbestellen
Das kann durchaus funktionieren – sofern Gastronom und Gast ein paar Regeln beachten und sich auf Gerichte konzentrieren, die beim Liefern möglichst wenig Schaden nehmen. Sushi geht natürlich immer. Schmorgerichte, Gulasch oder Curry, Hähnchen, Rouladen, Kartoffelpüree und die meisten Gemüse sind unproblematisch. Steaks dagegen, wie überhaupt Kurzgebratenes, Weißfisch, Risotto und Pommes eignen sich nicht. Nicht nur deshalb erfreuen sich seit geraumer Zeit andere Varianten steigender Beliebtheit. Insbesondere die Idee der Kochboxen liegt sowohl bei Restaurantküchen als auch bei Versandhändlern im Trend. Der Marktführer, HelloFresh, bietet kompartmentalisierte Menüs an, vietnamesische Fleischbällchen aus Simmentaler Rinderhack mit Limettenreis und Sweet-Chili-Salat zum Beispiel oder Hähnchenkeulen mit Knollenselleriestampf.
Singles schauen allerdings in die Röhre – Mindestbestellmenge: zwei Portionen. Und preislich halbwegs interessant wird das Ganze erst, wenn man sich als Großfamilie mehrmals wöchentlich beliefern lässt. Da jedoch mindestens eine halbe Stunde Zubereitungszeit einkalkuliert werden muss und die Gerichte nicht wirklich originell sind, erschließt sich der Sinn des Unternehmens derzeit noch nicht. Ein wöchentlicher Einkauf auf dem Wochen- oder im Supermarkt und etwas Sinn für Küchenlogistik müsste bei den meisten für ein besseres Kosten-Zeitaufwand-Verhältnis sorgen. Dennoch dürfte das Konzept nicht zuletzt aufgrund der derzeit prognostizierten Stadtflucht eine Zukunft haben.
Attraktives Geschäftsfeld für die Zukunft?
Wohlhabende Genussbürger lassen sich ausgefallene Delikatessen, aber auch hochwertige Fleisch- und Fischprodukte anliefern. Gemüse und Kartoffeln bringt der lokale Ökobauer vorbei. Das Bremer Lachskontor liefert innerhalb von maximal dreißig Stunden. Von der Idee sind diese hochwertigen Lieferservices durchaus zu begrüßen. Nicht von heute auf morgen, aber in der näheren Zukunft kann man sich durchaus vorstellen, dass hier ein attraktives Geschäftsfeld entsteht, das auch kleinere Geldbeutel mit Produkten bedient und eine Alternative zu Supermarkt und Restaurant darstellt.
Zumal der DWS-Fondsmanager Klaus Kaldemorgen einen astronomischen Anstieg der Restaurantpreise prophezeit. Denn es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch modernistische oder gutbürgerliche Köche, die unter Mietbelastungen in den urbanen Zentren ächzen, aufs Land oder in die Gewerbegebiete flüchten und von dort Konzepte entwickeln, um ihre Kreationen an die im Homeoffice träge gewordene Kundschaft zu bringen. Und irgendwann werden dann auch die Fahrradfahrer verschwunden sein, weil orangefarbene und himmelblaue Drohnen ihre Arbeit zuverlässiger und kostengünstiger erledigen können.