Gunter Blank geht essen: Ein Lob auf die brasilianische Küche
Pelé trifft Franz: Die brasilianische Küche ist hierzulande noch weitgehend unbekannt – dabei ist sie der deutschen viel näher, als man glauben möchte
Kulinarisch ist Brasilien, das immerhin fünftgrößte Land der Erde, mit einem überaus vielfältigen Völkergemisch bei uns bislang eher nicht in Erscheinung getreten. Argentinien ist seiner Steaks wegen bekannt, während Peru und Mexiko immer dann im Rampenlicht stehen, wenn es um avantgardistische Kreationen auf Basis indigener Traditionen geht. Brasilien hingegen hat der Welt den Caipirinha gebracht, aber seine Küche scheint wenig mehr bereitzuhalten als Feijoadas, Schwarze-Bohnen-Eintöpfe, die durchaus sensationell schmecken können. Ein Irrtum, wie auch der Verfasser feststellen musste, als er Gerichte suchte, die sowohl die herbstliche Tristesse mit ein wenig Leichtigkeit auflockern als auch herzhaft genug sind, um den jahreszeitlichen Unbilden zu trotzen.
Bestens eignen würde sich dazu eine mit Saúvas veredelte Tucupi-Suppe, wie sie von den ethnischen Gruppen im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Venezuela geschätzt wird. Diese kräftige, dunkelviolette Brühe erhält ihr charakteristisches, nach Zitronengras, Ingwer und Kardamom duftendes Aroma durch die Beigabe nicht geringer Mengen von Saúvas, einer amazonischen Spezies der Blattschneiderameise, was möglicherweise zu kulturell bedingten Abwehrreaktionen führt. Hinzu kommt, dass die Verarbeitung des Maniokmehls zu Tucupi-Saft nicht ganz unproblematisch ist, da das unfermentierte Vorprodukt blausäurehaltig und damit giftig ist. Gleiches gilt für den nordbrasilianischen Klassiker Pato no tucupi, Entenkeule in Tucupi-Sauce. Deutlich weniger riskant sind dagegen Gerichte, die landestypische Gemüse – mit auch bei uns geschätzten Fleisch – und Fischsorten kombinieren. Denn letztlich hat die hier nicht ansatzweise korrekt darzustellende, von den Verbrechen der Kolonisierung und Sklaverei sowie diversen Einwanderungswellen geprägte brasilianische Geschichte auf der Habenseite zumindest ein Gutes zur Folge gehabt: eine aus indigenen, afrikanischen und europäischen, nicht zuletzt deutschen Traditionen gespeiste Vielfalt, die die brasilianische Küche einerseits einzigartig macht, sie andererseits unserem Gaumen auch vertrauter erscheinen lässt als die der Nachbarländer.
Hühner und vor allem Enten galten im armen Nordosten schon vor Hunderten von Jahren als Grundnahrungsmittel, und die Geschichte der Rinderzucht war nicht immer von dem perversen Exzess heutiger Regenwaldvernichter geprägt. Und unter den zahlreichen Süßwasserfischen finden sich neben den heimischen Delikatessen Pirarucu und Engelhai auch Welse und Barsche, während der beliebte Tambaqui, zu Deutsch Schwarzer Pacu, entfernt mit den heimischen Barben verwandt ist und durch eine Rotbarbe oder auch eine Lachsforelle ersetzt werden kann.
So lässt sich aus kurz im Ofen gebackenen Fischfilets, Paio-Wurst (zur Not portugiesischer) und Kutteln, beides gebraten, Kräuteröl, dicken Bohnen und einer Weißwein-Tomaten-Sauce ein herzhaftes, gleichwohl filigranes Herbstgericht zubereiten. Oder ein mit Honig, Koriandersamen, Zimt, Nelken und Chili afrobrasilianisch glasiertes Spanferkelrippchen in Malbec-Creme mit fein geschnittenen Maniokstiften, die erst eine Minute blanchiert und dann in 180 Grad heißem Rapsöl frittiert werden.
Eine besondere Delikatesse ist Cupim com Purê de batata, die sich als fast normaler Rinderbraten mit Kartoffelpüree entpuppt, allerdings mit ein paar exquisiten brasilianischen Besonderheiten. Das Rezept stammt wie auch die vorigen von dem brasilianischen Spitzenkoch Alex Atala und findet sich mit allen Details im Internet, über das man zu moderaten Preisen auch die „exotischen“ Zutaten erwerben kann. Das nach deutschem Rezept zubereitete Kartoffelpüree wird dabei lediglich mit Pequi-Öl angereichert und erhält dadurch einen fluffigen, fruchtig-nussigen Geschmack. Das Bratenfleisch stammt vom Zebu-Rind, allerdings aus deutscher Bio-Aufzucht. Sein Fleisch ist einerseits mager, doch sind die einzelnen Partien, besonders der typische Buckel, von gelatinereichen Fettschichten überzogen. Bei niedriger Temperatur erst gedämpft, dann kurz angebraten und schließlich langsam im Wasserbad geschmort, entwickelt es eine unglaublich zarte Textur. Es gibt Brasilianer, die behaupten, man könne den so entstandenen Braten mit dem Löffel essen.