Gunter Blank geht essen: Die Ehre des Erdapfels
Nicht immer nur Linda: Dank neuer und wiederentdeckter Uraltsorten ist die Kartoffel unlängst zur Delikatesse avanciert
Pablo Neruda mochte es bekanntlich gern pathetisch, weshalb die Kartoffel bei ihm zum „Mehl der unterirdischen Nacht“ wurde, ehe er sich wieder einfing und etwas sachlicher vom „unerschöpflichen Schatz der Völker“ schwärmte. Tatsächlich wäre die westliche Zivilisation nicht denkbar, hätten die Konquistadoren nicht um 1562 die ersten Kartoffeln nach Europa importiert.
Zuerst wussten die Spanier allerdings nicht viel mit dem Gewächs anzufangen. Sie pflanzten sie in ihre botanischen Gärten und ergötzten sich an schönen Blüten und Blättern. Den Indios dagegen hatte die Knolle, von der es mehr als viertausend Sorten geben soll, schon seit tausend Jahren als Nahrungsgrundlage gedient. In Europa nutz- ten sie vermutlich zuerst die Iren als Lebensmittel, aber bereits 1621 bekam Caspar Plautz, der Abt des Stifts Seitenstetten in Österreich, von einem Antwerpener Gärtner eine Pflanze geschenkt. Der findige Mönch erkannte schnell das Potential und verfasste ein Kochbuch, in dem er nicht nur Rezepte für Salat, Hammeleintopf und Bratkartoffeln niederschrieb, sondern auch mit Rosenwasser und Zimt verfeinerte Deluxe-Kreationen. Ansonsten verdammte die katholische Kirche die Knollen, die fränkische Bauern ab 1647 mit Erfolg anbauten, als „im unterirdischen Dunkel wachsenden Heidenfraß“.
Erst der Kartoffelkönig Friedrich II. sorgte 1745 für den endgültigen Durchbruch. Die Kartoffel wurde zum Hauptnahrungsmittel der Deutschen, und der wehruntaugliche Schriftsteller Hans Fallada, den es im Zweiten Weltkrieg in die Berliner Kartoffelbaugesellschaft verschlagen hatte, rühmte sich, dass er in seinen besten Zeiten 1200 Sorten unterscheiden konnte. Davon war nach dem Krieg nicht mehr viel übrig. Die Sortenvielfalt nahm sukzessive ab, bist fast nur noch Linda, Annabelle, Sieglinde und Bintje übrig waren. Erst seit dem Aufschwung des Bio-Anbaus kommen allenthalben wieder alte und neue Sorten auf die Märkte. Am bekanntesten sind die Bamberger Hörnla und die französischen La Ratte, aber auch uralte Sorten wie Augsburger Gold und die Mecklenburger Schecke sowie Neuzüchtungen wie Rote Emmalie und die violette Purple Rain beflügelten den Aufstieg von der Sättigungsbeilage zur Delikatesse.
Im trendigen Berliner Hipster-Restaurant Nobelhart & Schmutzig etwa dominieren die Knollen der Bio-Bäuerin Grete Peschken in Kombination mit unreifem Apfel, Zwiebel und Bohnenkraut das siebengängige Menü. Wobei man bei 120 Euro pro Menü schon gern vorab erfahren würde, um welche Sorte es sich genau handelt. Sehr viel auskunftsfreudiger sind die drei Jungs vom nach besagtem Abt benannten Caspar Plautz auf dem Münchner Viktualienmarkt, wo sie einen Kartoffelstand und -imbiss betreiben.
Geben Sie nie, niemals den berüchtigten Teelöffel Senf in die Vinaigrette!
Da dort schon immer das Bodenständige als sündhaft teure Delikatesse verkauft wurde, bemühen sich die drei mit Erfolg, die jeweils geeignetste Sorte für ihre durchaus originellen Kreationen zu finden. Die haben sie jetzt in einem hübschen Kochbuch zusammengefasst, das vor allem durch eine anschauliche Schilderung der verschiedenen Kartoffelsorten und ihrer Anwendungsbereiche glänzt. Etwas altmodischer, dafür aber übersichtlicher leistet dies auch Manuela Rüther mit ihrem Buch „Kartoffelküche“, das zudem ein eigenes Kapitel über Salate enthält. Wobei sich der Verfasser hierbei lieber auf das Rezept der Urgroßmutter verlässt. Denn für einen süddeutsch-österreichischen Kartoffelsalat braucht es nichts weiter als fest- oder vorwiegend festkochende Kartoffeln, die man etwas länger kocht, damit die „Rädle“ nachher etwas musig werden. Dazu fein gehackte Zwiebeln und Knoblauch, Salz, Pfeffer und eine Prise Muskatnuss, einen guten Apfelessig mit ordentlicher Säure, ein gutes geschmacksneutrales Öl und eine Tasse möglichst selbst gekochter Fleischbrühe. Bayern und Österreicher geben gern noch fein gehobelte Salatgurke dazu, auch Schnittlauch oder etwas gebratenen Speck kann man unterheben.
Nur eines sollte man niemals tun: Geben Sie nie, niemals den berüchtigten Teelöffel Senf in die Vinaigrette! Denn die Schärfe kann der Pfeffer liefern und die Säure steuert ein kräftiger Schuss Essig bei.