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Gunter Blank geht essenKolumne

Gunter Blank geht essen: Deftige Traditionskost aus Litauen

Die litauische Küche ist bei uns wenig bekannt – nun ist sie auf dem Vormarsch.

Unlängst war der Verfasser zusammen mit einem Freund auf einen litauischen Geburtstag eingeladen. Kaum hatte er den hübschen Hof, in dem das Fest stattfand, betreten, war er sofort überwältigt von der Herzlichkeit der ihm meist unbekannten Gäste und den überbordenden Tischen mit Köstlichkeiten, die sie gekocht und zubereitet hatten.

Zur Begrüßung gab es ein Glas Gira, ein Brotwasser, das entsteht, wenn man altbackenes Roggenbrot zusammen mit je einem Esslöffel Zucker und Rosinen einige Tage in Wasser einlegt. „Weißt du“, sagte die Gastgeberin, „in Litauen schmeißen wir nix weg, wir können aus allem noch etwas Leckeres machen.“

In der Tat schmeckte der Trank fein säuerlich erfrischend und passte hervorragend zu den dazu gereichten Kepta Duona, gerösteten und kräftig in Knoblauch geriebenen Brotstreifen, die noch dunkler waren als das Wasser. Die wiederum passten bestens zur aus einem großen Topf geschöpften Šaltibarščiai (spricht man: Schaltibarschtschäi), einer je nach Jahreszeit kalten oder warmen, mit Kefr und Dill verfeinerten Rote-Bete-Suppe, die mit hart gekochten Eiern und heißen Salzkartofeln serviert wird.

Als dann noch Platten mit litauischem Räucheraal und Lachsforellen auf selbst gebackenen Bagels aufgefahren wurden, war der überwältigte Esser vollends überzeugt, hier eine der schönsten und schmackhaftesten Küchen Europas kennenlernen zu dürfen.

Viel Fisch und säuerlich eingelegtes Gemüse

Tatsächlich scheint Litauen, wie überhaupt die baltischen Länder, dem Rest Europas nicht nur in Sachen Digitalisierung zu enteilen – auch kulinarisch ist es auf dem besten Weg, sich zu einem kulinarischen Hotspot zu entwickeln. „Noch vor gut fünfzehn Jahren war Vilnius eine kulinarische Wüste“, sagt Denise Snieguolė Wachter, die Kulinarik-Expertin des „Stern“ mit litauischen Wurzeln. „Unsere Mahlzeiten nahmen wir fast ausschließlich im Familienkreis ein.“ Was vielleicht kein Nachteil war, denn als schließlich der Westen mit seinen vielfältigen Küchen in Vilnius Fuß fasste, traf er auf eine tief verwurzelte Esskultur, die zwar bereit war, sich neuen Einflüssen zu öffnen, gleichzeitig aber auch stets darauf bedacht, die eigenen Traditionen zu bewahren.

Die präsentiert Wachter nun in „Vilnius“ mit bisweilen durchaus modernem Einschlag vermutlich zum ersten Mal einer deutschen Öffentlichkeit. Folgt man ihrem auf dem Familienfundus aufbauenden Streifzug durch die litauische Küche, erkennt man eine Mischung osteuropäischer und skandinavischer Einflüsse mit einer Vorliebe für Fische aller Art, säuerliches, oft eingelegtes Gemüse wie Rote Bete, Gurken und Sauerampfer, Pfferlinge und Steinpilze, dunkles Brot und natürlich die allgegenwärtigen Bagels. Dazu kommen alle möglichen Arten von Pfannkuchen und Teigtaschen, die in Litauen mal salzig und mal süß genossen werden.

Die Palette reicht von winzig kleinen, mit dreierlei Hack gefüllten Koldūnai über die größeren, mit Lammfeisch gefüllten Kibinai, die an südamerikanische Empanadas erinnern, bis zu den süßen, mit frischen Heidelbeeren gefüllten Šaltanosiai („Kalte Nasen“), die laut Wachter „zu den litauischen Urrezepten“ zählen. Der Name leite sich übrigens von ihrem Aussehen ab: Mit ihrer weißlich-rötlichen Farbkombination erinnern sie an erkältete Nasen.


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Auf diesem Fundament baut eine mittlerweile beachtliche Zahl junger experimentierfreudiger Köche auf, denen Wachter in ihrem Buch Platz zur Selbstdarstellung gibt. Sie selbst verbindet Tradition und Moderne aufs Köstlichste mit einem Pastrami-Lachs, der nach der durch Gin unterstützten Beize mit einem Pastrami-Rub eine besondere, die jüdische Tradition zitierende Note bekommt.

Auf der Geburtstagfeier indes ging die stundenlange Schlemmerei mit einem typisch litauischen Baumkuchen zu Ende, einem tatsächlich an eine weiße Tanne erinnernden Gebäck, das zwar kaum süß, aber so mächtig daherkam, dass es zur Verdauung einen doppelten Trejos Devynerios („3 mal 9“) brauchte, einen bitteren Kräuterschnaps mit Extrakten aus 27 Kräutern und Blüten, den von ihrem nächsten Besuch mitzubringen unsere Gastgeberin zu unserer Begeisterung versprach.

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