Guns N’Roses: Deshalb war der Sound im Berliner Olympiastadion so schlecht
Guns N’Roses haben mit ihrem Gastspiel die Freiluftsaison im Berliner Olympiastadion eröffnet. Die Akustik war grauenvoll. Der Tontechniker Ivo König erklärt die Tücken des Open-Air-Konzerts.
Dieser Artikel erschien zuerst auf welt.de am 05. Juni 2018.
Als geschäftsführender Gesellschafter des Planungsbüros IT Audio sorgt Ivo König für die möglichst klangtreue Beschallung großer Freiluftveranstaltungen wie in der Berliner Waldbühne und am Brandenburger Tor. Beim Konzert von Guns N’ Roses im Olympiastadion saß er unter den Zuhörern.
WELT: Nach dem Konzert von Guns N’ Roses im Berliner Olympiastadion verlangen etliche Besucher wegen der Akustik ihr Eintrittsgeld zurück. Können Sie den Unmut verstehen?
Ivo König: Grundsätzlich schon. Es gibt berechtigte Ansprüche an eine Beschallungstechnik, die sich in den letzten Jahren enorm entwickelt hat. Ich saß ja selbst im Stadion, an einer ungünstigen Stelle.
WELT: In einem Facebook-Kommentar wurde der Praktikant verdächtigt, an den Reglern gesessen zu haben. Ist der Tontechniker immer schuld oder auch die Technik?
König: In den seltensten Fällen ist einer allein schuld. Es kommt vor, dass jemand, der zum ersten Mal in einem Stadion am Pult steht, mit der Größe des Konzerts überfordert ist. Ein Stadion ist, was Laufzeiten, Reflexionen und die daraus entstehenden Echos betrifft, etwas ganz anderes als ein Saal oder eine Wiese. Aber es muss nicht zwangsläufig das Mischpult sein. Auch nicht der Mann dahinter.
WELT: Was kann man alles falsch machen?
König: Es gibt viele verschiedene Jobs bei so einer Produktion. Es gibt Leute, die alles Wochen vorher mithilfe von Plänen und Simulationsprogrammen planen und die Auswahl der Lautsprecher und ihre Positionen festlegen. Wenn das nicht gut gemacht ist, kann der Mann am Pult wenig tun. Was er falsch machen kann, ist, die Musik nicht richtig zu empfinden und sie nicht so zu mixen, wie es das Publikum erwartet. Soli können zu leise klingen. Die Stimme oder das Schlagzeug können nicht richtig gefiltert sein. Aber er braucht neben dem Mischpult ein Beschallungssystem als Handwerkszeug, das gut eingemessen und vernünftig positioniert ist, um Störfaktoren klein zu halten.
WELT: Welche?
König: Wind zum Beispiel – konnte man beim Konzert im Olympiastadion hören.
WELT: Klingt wie Alchemie.
König: Nein. Wir haben Gerätschaften, die ein Stadion akustisch in den Griff bekommen können. Wir können Anlagen dafür genau dimensionieren. Wenn das Marketing des Lausprecherherstellers sagt, der Lautsprecher könne 150 Meter bis zur nächsten Delay Line beschallen, muss man wissen, dass das unter idealen Bedingungen vielleicht möglich ist. Aber der Wind kann einem da schnell einen Strich durch die Rechnung machen, und man ist gut beraten, dann doch schon bei 80 Metern die nächste Delay Line zu positionieren.
WELT: Was ist eine Delay Line?
König: An der Bühne stehen oder hängen die Hauptlautsprecher. In Stadion hängen zusätzlich Lautsprecher für die Seitenränge, damit auch das Publikum in den hinteren Bereichen ausreichend mit dem Originalsignal versorgt werden kann. Sie geben das Signal des Hauptsystems noch einmal, zeitverzögert wieder. Andernfalls würden die Leute dahinter zwei Schallereignisse hören. Schall breitet sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit aus. Der Schall braucht vielleicht eine Viertelsekunde bis zum Delay, erst dann verlässt das gleiche Signal diese verzögerten Systeme. Die Position und Dimensionierung der Delay Tower ist natürlich maßgeblich dafür verantwortlich, was die Leute in den hinteren Bereichen des Stadions hören.
WELT: Hat es manche Musik schwerer, ausgepegelt zu werden als andere. Warum klingt gerade Rockmusik oft so scheußlich? Sind Rockbands schlampiger?
König: Nein, das kann man auch so pauschal nicht sagen. Wir betreuen die Berliner Philharmoniker. Die dort verarbeiteten Signale sind meist deutlich komplexer, weil 80 Schallquellen in Einklang gebracht werden müssen. Bei Konzerten in der Waldbühne wird ein großer Aufwand betrieben. Der Anspruch des Publikums ist häufig auch höher. Es möchte in der Waldbühne den Klang der Philharmonie. Mindestens. Immerhin hat sich der Klassikhörer im Freien inzwischen damit abgefunden, dass man bei Konzerten dieser Größenordnung Lautsprecher braucht, um auf allen Plätzen ein ausgewogenes Klangbild zu haben. Ich will Guns N’Roses nicht zu nahe treten, glaube aber, dass der Sänger schon so seine Schwierigkeiten hatte, den gleichen Pegel in unterschiedlichen Tonhöhen anzubieten. Wenn er im Falsett war, war er leicht zu verstärken. In den tiefen Lagen war es schwer, ihn überhaupt wahrzunehmen. Der Sänger ist der Anfang der Signalkette. Dem Mann am Pult und seinen Gerätschaften sind dann Grenzen gesetzt. Die Beschallungsanlage hat am Ende die Aufgabe, das Signal unverfälscht für die Zuschauer zu verstärken.
WELT: Was hat nicht gestimmt mit der Anlage?
König: Die vier Delay-Türme hatten nur die Aufgabe, die Leute in den Oberrängen zu beschallen, im hinteren Bereich des Stadions. Die unteren Ränge, wo auch ich gesessen habe, wurden von den Türmen nicht beschallt. Wir saßen 130 Meter entfernt von der Hauptbeschallung. Normalerweise wäre das für ein solches System kein Problem. Aber wir haben Thermik, es sind viele Menschen im Stadion. Die Körperwärme drückt den Schall nach oben. Außerdem gab es Seitenwinde. Da kann es sein, dass das Signal auch einfach mal weggeweht wird. Ein entsprechend dimensioniertes Delay-System minimiert diesen negativen Einfluss des Windes auf das verstärkte Signal.
WELT: Sie sagen, die Ansprüche an den Klang seien mit der Technik gewachsen. Andererseits begnügen wir uns bei Musikkonserven mit dem reduzierten Klang von komprimierten Daten.
König: Mir persönlich bereitet das große Sorgen. Meine Kinder hören ihre Musik zum Glück nicht über plärrende Telefone. Sie haben immerhin eine halbwegs klingende Bluetooth-Box, damit sie auch hören, was der Bassist spielt. Live erreichen wir mit den aktuellen Lautsprechersystemen eine Homogenität, die früher einfach nicht möglich war. Die Materialien sind robuster geworden, die Magneten stärker, die gesamte Technik leistungsfähiger. Das Publikum gewöhnt sich an so was. Früher klang ein Open-Air-Konzert an jeder Stelle anders. Vielleicht würden manche den alten Sound aber auch schon wieder toll finden, wie früher eben, wer weiß.
WELT: War es bei Guns N’ Roses wie früher?
König: Nein. Es war ein unglückliches Zusammenspiel von so vielen Faktoren, dass es schwerfällt, jemandem die Schuld zu geben. Ich wäre da auch immer sehr vorsichtig. Jede Kritik hängt davon ab, wo der Kritiker gesessen hat.
WELT: Sind Fußballstadien generell schwieriger zu bespielen als Festwiesen?
König: So richtige Open-Air-Konzerte an freien Plätzen wie am Brandenburger Tor sind leichter in den Griff zu kriegen. Selbst in Stadien ohne Dach wie im Olympiastadion ist es gigantisch, was da von den Rängen an Schallenergie zurückgeflogen kommt, allein vom Schlagzeug. Da sind die Sitze, die LED-Wände, jedes Schallereignis wird gnadenlos reflektiert. Da helfen auch 60.000 Absorber nicht viel.
WELT: Absorber?
König: Menschen. Menschen absorbieren vor allem hohe Frequenzen gut. Auf Schallwellen im tieffrequenten Bereich haben menschliche Körper wenig absorbierenden Einfluss. Trotz alledem klingt ein voll besetztes Stadion meist besser als ein leeres.