Grundgütige Gegenkultur
Schön, wenn in unsicheren Zeiten wenigstens noch auf Chris Robinson Verlass ist. Der Black-Crowes-Sänger empfängt uns barfuß. Mit Flickenjeans, Zauselbart und das restliche Gesicht verdeckender Ray-Ban. Aus einer Ecke plärrt die halbvergessene Laurel-Canyon-Aktivistin Judee Sill, auf dem Tisch steht eine Glasschale mit eindeutig organischer Füllung. Und auch das erste Bier genehmigt sich Robinson bereits deutlich vor Vier. Alles wie gehabt und erwartet also.
Nur ein Detail trübt die klischierte Hippie-Seligkeit: Die Sill-Lieder kommen aus einer edel blitzenden iPod-Anlage. Er sei zwar immer noch ein fanatischer Vinylsammler, höre aber inzwischen überwiegend komprimiert, erklärt Robinson den Stilbruch. Sei halt praktischer, zumal auf Reisen.
Dass der 41-Jährige überhaupt wieder über eine möglichst effiziente Gepäckunterbringung nachdenken muss, hat einen simplen Grund: Nach vierjähriger Funkstille – während der er mit der Band New Earth Mud zwei Soloalben aufnahm und mit der Schauspielerin Kate Hudson eine Familie gründete-hat er sich 2005 wieder mit seinem Bruder Rieh vertragen. Und jetzt gibt es gar ein neues, an alte Zeiten anknüpfendes Album: „Warpaint“.
Die in inniger Hassliebe vereinten Robinsons waren während der Neunziger wohl neben den Gallaghers das problematischste Bruderpaar des Pop. Nach dem Durchbruch mit dem Millionenerfolg „Shake Tour Moneymaker“ (1990) profitierte der Southern-Blues-Riffrock der gemeinsamen Band von den legendären Streitereien der beiden. Das zweite, essenzielle Crowes-Albums, „The Southern Harmcmy And Musical Companion“ schätzten auch Kollegen wie Stephen Malkmus und Eddie Vedder.
Aber nach immer schlechteren Verkäufen und zunehmend uninspirierten Alben kumulierte das bis dahin sorgsam austarierte Grundrauschen im brüderlichen Dauerzwist in einem großen Knall. Ab 2001 schließlich lagen The Black Crowes auf Eis — mit zunächst Ungewissem Ausgang.
„Wir haben uns Weihnachten bei der Familie getroffen, und er hat nur zur Geburt meines Sohnes gratuliert“, erklärt Chris. „Aber es gab drei Jahre kein vernünftiges Gespräch.“
„Wir lieben uns, aberwir mögen uns nicht immer“, sagt er. Da aber erstens keiner der beiden mit seinen Soloaktivitäten an frühere Erfolge anknüpfen konnte und sich beide zweitens für ein Lebe n als Privatier zu jung fühlten, fanden sie nach einer gemeinsamen Jam-Session doch wieder zusammen. Denn es ist so: Chris kann ohne Rieh keine vernünftige Musik schreiben, jener wiederum ist auf die Stimme und die Feinjustierungen seines älteren Bruders angewiesen. „In unseren Adern fließt das gleiche Blut“, bestätigt Chris.
Inzwischen habe er seine Lektion gelernt, nicht zuletzt vertieft durch die schmerzhafte Scheidung von Hudson vor ändert‘ halb Jahren. „Es ist falsch, andere Menschen kontrollieren zu wollen.“ Resultat der gewonnen Einsicht: Mit der Exfrau kümmert er sich gemeinsam um den inzwischen vierjährigen Sohn, mit dem Bruder macht er wieder Musik, „weil das der einzige Bereich ist, in dem wir uns blind verstehen“.
Der Titel des Albums, das die beiden schließlich mit zwei neuen Bandmitgliedern aufnahmen, bezieht sich jedoch mitnichten auf den ewigen „Bruderkrieg“, sondern ist eine Kampfansage. „Die politische Rechte spricht immer von Weiten“, so Robinson. Angeblich geht es ihnen um Freiheit und Frieden. Nun: Wir sind auch für Freiheit und Frieden. Und wenn sie diese Begriffe negativ besetzen, müssen wir eben ein substansielleres Wertesystem dagegensetzen: Liebe. Kunst, Integration und Verantwortungsbewusstsein gegen Hass, die Manipulation des Einzelnen, gegen Lügen, Gier, Diskriminierung und die Religion des Geldes.“ Dann sagt der grundsympathische Chris Robinson einen Satz, der so antiquiert klingt wie die Musik seiner Band: „Rock’n’Roll-Platten zu machen ist ein Teil dieser Gegenkultur.“