Grüner Tee aus Sheffield
Mit dem neuen Album fusionieren die Arctic Monkeys britischen Kleinstadt-Realismus mit der Weite der amerikanischen Wüste. Die Band ist reifer geworden, bodenständig war sie immer.
Am Anfang habe ich einfach nur unser Leben und das unserer Freunde in Sheffield beschrieben“, sagt Alex Turner. „Auf dieser neuen Platte schöpfe ich die Themen, über die ich singe, aus mir selbst. Die Texte sind eine Mischung aus meinen früheren Beobachtungen und einer assoziativen und abstrakteren Herangehensweise.“ Turner sitzt mit deutlich überdimensionierter Sonnenbrille an einem Tisch und wirft mit geübter Geste eine Zigarette in die Luft, die er beim ersten Versuch nonchalant mit den Lippen auffängt, ohne auch nur einen Moment seine Rede zu unterbrechen. Der Sänger ist dünn, blass – every inch a rockstar.
Doch sind dies vor allem oberflächliche Insignien der Veränderungen, die dieser, ja, man muss es inzwischen sagen: Mann in den letzten Jahren durchgemacht hat. Interessanter und wichtiger ist die Entwicklung des Gesprächspartners Alex Turner. Den pickelgesichtigen, einsilbigen und wenig eloquenten Burschen früherer Jahre konnte man nur schwer in Einklang bringen mit dem wortgewaltigen und überaus präzisen Liedtexter, der er von Anfang an war. Turner war zur Zeit von „Whatever People Say I Am …“, dem Debüt der Arctic Monkeys, ein schüchterner, bisweilen unbeholfen wirkender nordenglischer Junge. Nun spricht der Sänger in zusammenhängenden, gut verständlichen Sätzen. Ein wacher Geist, der viel nachdenkt, lange Pausen macht und sich sichtlich Mühe gibt, die richtigen Worte zu finden.
Auf dem inzwischen vierten Album seiner Band, „Suck It And See“, singt Turner unter anderem über Geschäfte mit Grizzlybären, vergleicht Frauen mit Gewitterstürmen, erfindet Kung-Fu-Kämpfer auf Rollerskates und versieht das Ganze mit Reise-nach-Jerusalem-haften Titeln wie „Don’t Sit Down Cause I’ve Moved Your Chair“. Dennoch sind Zeilen wie „I feel like the Sundance Kid behind a Synthesizer“ nicht halb so albern, wie sie zunächst wirken mögen.“Das ist eine Metapher für Einsamkeit und Verlorenheit“, sagt Turner.
Man sieht ihm die Strapazen der vergangenen Jahre an. Turner ist der einzige Monkey, der im Prinzip seit dem Debüt keine Pause eingelegt hat. Nach seinem Ausflug mit den Last Shadow Puppets hat der Sänger zuletzt den Soundtrack zu Richard Ayoades Film „Submarine“ veröffentlicht. Davor schrieb er eine Kurzgeschichte, arbeitete mit Dizzee Rascal und zahlreichen anderen. Großen Wind um diese Aktivitäten macht er indes nicht: „Richard ist ein Freund von uns. Er hat mich gefragt, ob ich einige Songs zu seinem Film beitragen möchte. Ich hatte noch ein paar Ideen herumliegen, und die haben wir dann ausgearbeitet, keine große Sache.“
Im Mittelpunkt der Turner’schen Aktivitäten stehen ohnehin nach wie vor die Arctic Monkeys. Vergangenen Sommer verbrachte der Sänger einige Monate mit seiner Freundin Alexa Chung in New York. Dort entstand auch die überwiegende Mehrheit der Melodien und Texte der neuen Songs. Irgendwann kam dann der Monkeys-Gitarrist Jamie Cook dazu, und die beiden vervollständigten Turners Fragmente. Ein neuer Ansatz für diese Band: In der Vergangenheit hatten sie die meisten Songs aus zahlreichen, während gemeinsamer Jam-Sessions entstandener bits and pieces zusammengefügt, jetzt wurde alles klassisch durchkomponiert.
Danach haben die Musiker das neue Material ausführlich geprobt – gemeinsam mit James Ford. Auch das übrigens ein Novum: Nie zuvor hatten die Arctic Monkeys jemand Außenstehenden in den Proberaum gelassen. Bereits in dieser frühen Phase galt der Fokus jenen zwölf Songs, die es nun auch auf das fertige Album geschafft haben. Als es schließlich im Januar 2011 ins Studio in L.A. ging, konnten sich die Monkeys darauf konzentrieren, das Erarbeitete so stringent und gut wie möglich einzuspielen – überwiegend live und aus einem Guss.
Leider lassen sich über „Suck It And See“ nicht ganz so gute Geschichten erzählen wie zum letzten Album, als die Monkeys mit Josh Homme aufnahmen, dabei im ehemaligen Zimmer von Gram Parsons in Joshua Tree untergebracht waren und P. Diddy einen Besuch abstatteten – aber dafür ist die Musik besser. Was auf „Humbug“ nicht ganz gelang, fügt sich nun zu einem stimmigen Bild: Die Vermengung von Psychedelic- und Stoner-Rock im Stile der Queens Of The Stone Age mit Lee-Hazlewood-Referenzen, Scott-Walker-Grandezza und jenem stürmisch-britischen Aplomb, für den die Arctic Monkeys ursprünglich standen. Produziert hat das Werk Dauer-Band-Intimus James Ford. Ein Mann, der seit dem zweiten Album als Ratgeber und Co-Produzent involviert war. „Er ist zu jung, um unser Onkel zu sein“, sagt Schlagzeuger Matt Helders, „aber als Korrektiv ist James für uns unverzichtbar.“
Endgültig eingefunden hat sich auch der „neue“ Bassist Nick O’Malley, von dem man zunächst nicht wusste, ob er auf Dauer bleiben oder nur eine Übergangslösung für den tourmüden Andy Nicholson werden wird. „Andy ist glücklich mit seiner Entscheidung“, sagt Helders, der immer noch mit Nicholson befreundet ist. „Er macht noch ein bisschen Musik und betreibt einige Bars in Sheffield.“
Die Arctic Monkeys sind vor den Augen der Weltöffentlichkeit erwachsen geworden. Sie waren in dieser schwierigen Phase trotzdem eine überaus produktive Band, abgesehen von Nicholson sind keine „Opfer“ zu beklagen. „Es hilft sehr, dass wir so gute Freunde sind, dadurch haben wir uns immer wieder gegenseitig aufrichten können“, sagt Turner, und nimmt noch einen Schluck grünen Tee. Außer Zigaretten und Alkohol die einzige Droge, die die Monkeys nehmen, wie er sagt.
Ein weiterer Grund für ihre Bodenständigkeit. torsten gross