Großer Junge als kleiner Gangster
Tim Roth ist wie das Sesamstraßenspiel: Eines der Dinge gehört nicht zu den anderen. Für seine Jeans mit den aufgekrempelten Aufschlägen und das superenge T-Shirt ist er eigentlich zu alt. Vielleicht sieht er auch nur zu jung aus für seine 36 Jahre. So steht er vor ungefähr zehn Paar bunten Kinderschuhen und sucht passende für seinen zweijährigen Sohn Hunter aus. Daß dieser große Junge Vater sein soll, ist schwer zu glauben. Genauso wenig, daß er seine Managerin durch Londons Läden schickt, um ihm diese Kollektion Kinderschuhe zur Ansicht ins Hotel zu bringen. Macht Arnold Schwarzenegger das, wundert sich keiner. Sagt man zu einem wie Roth, „Hey, Sie sind doch ein Hollywood-Star“, würde er sich garantiert umdrehen, um zu sehen, ob jemand hinter ihm gemeint sein könnte.
Auch in seinen Filmen wirkt Roth manchmal grandios fehl am Platze. Zum Beispiel in Woody Aliens neuem „Alle sagen: I Love bu“. Darin wird er als Ex-Sträfling in eine piekfeine Familie eingeladen, da Goldie Hawn sozial engagiert ist Ihr haut er zur Begrüßung auf den Arsch und knutscht dann die Tochter Drew Barrymore ab. So was macht man nicht in solchen Kreisen, aber jeder ahnt, daß Tim Roth zehnmal besser küßt als Drews langweiliger Verlobter.
Oder in „Gridlock’d – Voll drauf“, da spielt er einen Junkie, der von der Droge wegzukommen versucht und mit seinem schwarzen Kumpel, dargestellt vom Rapper Tupac Shakur, von einem Amt zum anderen rennt, um die Genehmigung für ein kostenloses Entziehungsprogramm zu bekommen. Doch die Behörden haben alles andere als auf ihn gewartet In der geregelten Bürokratie wirkt er wie ein Alien, und ihm wäre es sowieso lieber, ließe man ihn in Ruhe. Den Entzug macht er nicht aus Überzeugung – sondern dem Freund zuliebe. Und so schlufft er hinter Tupac durch Detroit und macht, weil er so lässig-sorglos ist, ständig Mist.
„Ich habe keine Methode, mich auf meine Rolle vorzubereiten“, sagt Tim Roth. „Es ist eher wie ,try and error‘. Kommt es hin, ist es gut, wenn nicht, wird der Regisseur mir sagen, wie er es anders wilL Und dann versuche ich es halt anders. Ich spiele einfach nach Instinkt“
So ist er und so spielt er. Immer ein bißchen wie eine^ der etwas anderes vorhatte, dann zufällig an einem Drehort vorbeigeht, und der Regisseur meint: „Hey Sie, Sie würden gut in meinen Film passen.“ Ahnlich muß er seine Rollen auch gekriegt haben. Eigentlich wollte Rom, der in London geboren wurde, Bildhauer werden. Geld verdiente er, indem er Leuten am Telefon irgendwelche Produkte aufschwatzte, und nebenbei spielte er etwas Theatet 1983 suchten sie für den TV-Film „Made In Britain“ jemanden, der einen Skinhead spielen sollte – Roth hatte sich zufällig gerade den Schädel rasiert Danach war er in Stephen Fears „The Hit“ zu sehen und in Peter Greenaways „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“.
Als Roth 1990 in Amerika Robert Altmans „Vincent und Theo“ promotete, entdeckte ihn Quentin Tarantino, der gerade sein Debüt „Reservoir Dogs“ vorbereitete. Seine Rolle als Mr. Orange alias Freddy Newendyke, einem Undercover-Cop in einem Gangstersextett, dessen Überlebende sich nach dem gescheiterten Überfall in einer Lagerhalle treffen, ist seine bisher bravouröste. Mit einem Bauchschuß liegt er auf dem Boden in seinem Blut und winselt, als glaube er nicht, daß er verwundbar und wie er in diese Scheiße geraten sei. In einer Rückblende ist Freddy zu sehen, wie er die Gangsterrolle einstudiert und knurrt: „bu’re not gonna get hurt, ‚cause you’re super cooL“ Das gilt auch für Tim Roth.
Bekannt ist er den meisten jedoch durch „Pulp Fiction“ als Pumpkin, der am Anfang mit seinem Honey Bunny einen Coffee Shop überfällt Weil es mit Quentin so gut klappte, spielte er auch in dem Episodenfilm „Four Rooms“ mit und blieb in den USA. „Dort kann ich die Filme machen, die mir gefallen“, erklärt er in klassisch englischem Akzent „Hollywood gibt mir Arbeit, und dafür liebe ich dieses Land. Ohne Job werde ich schnell depressiv und ziemlich unausstehlich.“ Die ersten zwei Jahre fühlte sich der Brite dort jedoch nicht wohL Für den politisch Interessierten, der sich über die Wahl Tony Blairs freute wie ein Junge über den Sieg seines Fußballvereins, war Amerika ein Kulturschock. „Dort kann man nicht mal den ,Guardian‘ kaufen.“ Auch von dem Trubel hält er sich fern. Man sieht ihn eher in Kneipen um die Ecke als auf Parties. „Ich will auch nicht der Star in so einem 200 Millionen Dollar Film sein.
Ich würde nicht mehr ruhig schlafen, weil ich ständig Angst hätte, irgend so ein Newcomer sägt mir am Stuhl. Grauenhafte Vorstellung.“
Obwohl Tim Roth nicht wirklich etwas dagegen hat, viel Geld zu verdienen. „Ich habe schließlich eine Familie und zwei Kinder. Die wollen satt werden.“ Erstmals richtig viel Geld verdiente Roth mit „Rob Roy“, der ihm eine Oscarnominierung für die beste Nebenrolle einbrachte. Lieber spielt er aber in kleinen Filmen, in Erstlingswerken von jungen Regisseuren. „Die arbeiten oft Jahre an ihrem ersten Film. Sie wissen oft viel genauer, was sie wollen, als jemand, der seinen zwanzigsten Film macht“, sagt er. „Alle sind daran interessiert, daß der Film gut wird. Es ist wie in einer Familie, die für eine gemeinsame Sache kämpft. Alle sind enthusiastisch und engagiert.“
Ahnlich war es mit „Gridlock’d“, dem Regiedebüt von Vondie Curtis HalL Zuvor war der 40jährige Amerikaner hauptsächlich als Schauspieler zu sehen. Zum Beispiel in „Passion Fish“ von John Sayles oder zuletzt in „Romeo und Julia“ von Baz Luhrmann. Mit „Gridlock’d“ hat er jetzt einen Teil seines Leben verfilmt: Seine Jugend als Junkie in Detroit Und als er mit 17 vom Heroin wegkommen wollte, erlebte er eine ähnliche Odyssee durch die Behörden wie seine beiden Hauptdarsteller im Film. Seinen Part spiel Tupac Shakur, der vier Wochen nach Drehende erschossen wurde. „Das war schon verrückt“, erzählt Tim Roth. „Stets hatte Tupac seine Bodyguards dabei, richtig gefahrliche Kerle. Und es war auch dauernd ein Security-Team der Nation Of Islam am Set. Ich habe Tupac gefragt, wie er das denn aushält, immer in dieser Gefahr zu leben, ständig Angst haben zu müssen, erschossen zu werden. Er sagte, für ihn sei das normal, er sei so aufgewachsen. Seit er 16 war, trug er immer eine Waffe bei sich. Und er sagte auch, das sei nun mal ,the nature of beast and I created it Ich konnte kaum glauben, das jemand so redet.“ Trotzdem fällt es Roth schwer, über Tupac zu reden. „Wir haben uns sehr gut verstanden. Und als ich jetzt den Film sah, mußte ich rausgehen.“
Er steht auf, damit keiner merkt, daß ihm der Tod des Rappers doch ziemlich nahe geht, und wendet sich wieder den Kinderschuhen zu. Endlich hat er sich für zwei Paar entschieden. „Wieso nehmen Sie denn nicht gleich alle?“ – „Sind Sie wahnsinnig? Wissen Sie, was so ein Paar Schuhe kostet und wie schnell so ein Kind da rauswächst?“ Das ist der Unterschied. Arnold Schwarzenegger hätte alle zehn genommen.