Große Träume
Fairerweise sei betont, dass sie durchaus über eine ganze Menge sprechen will. Man muss nur ein bisschen weiter zurückschauen. Sie erzählt zum Beispiel bereitwillig, dass sie schon mit ungefähr acht Größeres im Sinn hatte, als das Castle Hill-Viertel in der Bronx, wo sie aufwuchs. Damals ging sie auf eine katholische Schule, schaute „Happy Days“ und hing Menudo-Poster an die hellrosa Wände des Zimmers, das sie mit ihrer jüngeren Schwester Lynda teilte. Aber „ich wollte etwas aus mir machen”, sagt sie. „Ich war ziemlich ehrgeizig.“
Ihr Vater hat Computer repariert, die Mutter war Lehrerin im Kindergarten und nahm sonntags nach der Kirche den Top 40-Countdown auf Kassetten auf. Jennifer war das mittlere von drei Mädchen und tanzte vor dem Spiegel in ihrem Zimmer als Rita Moreno in „West Side Story“. Als erster Job fegte sie im Kosmetiksalon einer Familienfreundin für zehn Dollar Haare zusammen und putzte die Waschbecken. Später, mit 15, hat sie gefälschte Parfüms in „einer Art Piratenbude hinter der Tankstelle verkauft”. Als Mädchen träumte sie von einem großen Barbie-Frisierkopf, aber als sie einer Cousine die Barbie klauen wollte, stürzte sie auf der Treppe. „Es kam mir vor, als ob mich etwas runter schubste. Als ob Gott sagte: ‚Du sollst keine Barbie klauen.‘” Lopez glaubt an solche Dinge, „an seherische Gaben, an Vorahnungen, an Vorhersehung.”
Ein Sensibelchen war sie nicht. Die puertoricanischen Eltern gingen streng mit ihrer Tochter um, weil die Welt hart mit ihnen umging. Ihre Mutter Guadalupe wollte eigentlich Schauspielerin werden, sie sehe aus wie Natalie Wood, hieß es. Dann bekam sie drei Kinder in vier Jahren und verkaufte Tupperware, um das Haushaltsgeld aufzubessern. Die Rolle als Versorgerin lag ihr nicht. Sie nahm ihre Töchter nicht an die Hand, sie erwartete Leistung, aber zeigte ihnen auch klar die Grenzen auf. Manchmal gab es Ohrfeigen. „So hat man die Kinder eben erzogen“, sagt Lopez. „So wurden wir erzogen, so wurde ich erzogen. Aber – man konnte auch Spaß mit ihr haben. Sie war auch die Mutter, die mich in Musicals geschleppt und mit viel ganz unterschiedlicher Musik vertraut gemacht hat. Dass ich Entertainerin bin, habe ich ihr zu verdanken. Und ich habe in diesem harten Business auch überlebt, weil ich eine toughe Mutter hatte. Ich glaube nicht, dass ihr klar war, worauf sie mich da vorbereitet hat. Aber es ist ihr gelungen.“
Lopez fügte sich, bis sie 16 wurde und einen Jungen aus der Nachbarschaft namens David Cruz datete. Er nahm sie mit zum Promball. Sie schliefen miteinander. Lupe hatte Angst, Jennifer könnte schwanger werden, also schlich sich Lopez aus dem Fenster der elterlichen Wohnung im zweiten Stock, traf sich heimlich mit Cruz. Um wieder hochzukommen, hatte sie eine Leiter versteckt. „Ich war ziemlich geschickt im Rausschleichen“, sagt sie. „Aber als sie mich erwischt haben, wurde es übel.“
Nicht ganz so übel allerdings wie in der Nacht, in der sie ihren Eltern erklärte, dass sie die Schule geschmissen hatte, um Tänzerin zu werden. „Sie hatten auf jeden Fall ihre Zweifel. Wobei mir das wohl nicht anders ginge. Also, würden wir jetzt in der Bronx leben und eins meiner Kinder käme daher und meinte: ‚Das mach ich jetzt‘, dann würde ich sicher auch erst mal sagen: ‚Bitte? – Und wie stellst du dir das vor? Du rufst einen reichen Hollywoodproduzenten an und der steckt dich in einen Film? Und dann wirst du entdeckt? Mal ernsthaft: Wach auf!‘“
Sie lacht laut über die Absurdität, soweit gekommen zu sein wie sie. „Wenn du in so einer Gegend aufwächst, dann enden große Träume normalerweise als Enttäuschung.“