Großbritannien ist überall
Der britische Songschreiber und Wahlkalifornier Richard Thompso hat keine Probleme damit, geografisch weit von seinen musikalischen Wurzeln entfernt zu leben
Dass Richard Thompson in Kalifornien lebt, scheint einem immer noch seltsam. Das ist, als würde Bruce Springsteen in einem alten Schloss in Cornwall residieren. Ob mit Fairport Convention, seiner Ex-Frau Linda oder solo: Das Koordinatensystem seiner Songs war immer ein britisches, seine Musik beeinflusst von keltischem Folk, selbst sein Gitarrenstil ist weniger von alten Bluesklischees als vielmehr vom Klang von Dulcimer, Sackpfeife oder Fiddle inspiriert „Ich fühle mich nicht gut, wenn ich den Blues spiele“, sagt er. „Ein amerikanischer Komiker hat mal gesagt: , Weiße sind nicht dazu da, um den Blues zu spielen, sie sind dazu da, ihn zu erzeugen.“ Auf seinem letzten Album, „Mock Tudor“, beschäftigte er sich daher auch lieber mit den Problemen der Bewohner der Londoner Vorstädte als mit denen des Mississippi-Deltas.
Bei unserem Interview sitzt Richard Thompson am Frühstückstisch im sonnigen Los Angeles. Ob er sich da nicht manchmal selbst ein bisschen schizophren vorkomme, will ich wissen. „Nein. Ich habe eine Landschaft in meinem Kopf. Da ist es ganz egal, wo ich mich aufhalte. Außerdem ist Kalifornien doch eine alte Kolonie unseres British Empire“, lacht er. Dieser Akzent, die Ironie und wie er „unseres British Empire“ sagt, geben bereits erste Einblicke in diese Landschaft, die größtenteils noch genauso auszusehen scheint, wie sie in den traditionellen Balladen beschrieben wird.
Ja, es ist seltsam. Irgendwie scheinen uns heute immer noch die gleichen Dinge zu berühren wie vor 200 Jahren. Das merke ich besonders bei Konzerten. Die Leute hören am liebsten meine langen, manchmal auch recht düsteren Balladen, in denen richtige Geschichten erzählt werden, wie zum Beispiel in „1952 Vincent Black Lightning“. Diese Tradition lebt also durchaus noch.“ Dass diese Balladen sich trotzdem weit über die Nebel der Vergangenheit erheben, ist vor allem Thompsons Schärfe und Witz zu verdanken, die ihn zu einem der wohl größten britischen Songschreiber überhaupt machten. „Ich mag Songs, die komische und dunkle Elemente miteinander verbinden. Wenn ich die Songs live spiele und die Leute anfangen zu lachen, hab ich sie gepackt, dann wird der Song dunkler und dunkler und sie folgen mir und ihre Mienen verfinstern sich. Das ist faszinierend.“ Das neue Album heißt passenderweise „The Old Kit Bag“, nach dem Song „Rack Up Your Troubles In „Your Old Kit Bag And Smile, Smile, Smile“, der die Moral der britischen Truppen während des ersten Weltkrieges heben sollte. „Ich mag dieses Paradox. Neben dir rauschen die Kugeln vorbei, und alle sind guter Laune.“
Gute Laune herrschte wohl auch bei den Aufnahmen zu diesem Album. Zusammen mit seinem Freund und musikalischen Langzeitpartner Danny Thompson und dem Schlagzeuger Michael Jerome spielte er freier und ausgelassener als auf jedem anderen seiner Alben. „Ich wollte mit einem kleinen Ensemble spielen und nicht nur im engen Songformat arbeiten.“ Bei diesem Balanceakt zwischen Improvisation und Lied zeigt sich erst richtig, wie nahe Jazz und britischer Folk sich in seinen Arbeiten manchmal sind.
Dass der eingängiste, musikalisch fröhlichste Song des Albums ausgerechnet „Destiny“ heißt, scheint Thompson nicht bemerkenswert.
„Bei uns in Britannien nahm man solche Worte eh nie so bierernst.“ Am
nächsten Tag sollte es regnen in Los Angeles.