Groß gescheitert
Der frühere "Titanic"-Chefredakteur Oliver Maria Schmitt hat einen "Punkroman für die besseren Kreise" geschrieben
Als ich Oliver Maria Schmitt via Mail um ein Interview zu seinem neuen Buch anging, zeigt er sich sogleich ziemlich kooperativ. „Lass laufen, Alda, immer rein mit den Zwiebeln in den Kuchen! Hier schon mal zwei Antworten: ,Klar, das war jederzeit möglich, außer nach den Konzerten.‘ Und: ,Die Summe stimmt aber nicht.‘ Hast du die passenden Fragen dazu?“
Hatte ich nicht. Und ich musste mir auch noch etwas Zeit ausbedingen, um „AnarchoShnitzel schrieen sie“ (Rowohlt Berlin, 19,90 Euro), diesen laut Untertitel „Punkroman für die besseren Kreise“, zu Ende zu lesen. Auch dafür zeigte er volles Verständnis: „Immer schön langsam lesen, damit die Tiefenstruktur nicht verschwimmt! AnarchoShnitzel givs U da Punk inda Headz!“ Ich ahnte schon, dass es kein richtiges Interview geben würde. ,AnarchoShnitzel“ ist der erste Roman des Mannes, der noch vor wenigen Jahren als „Titanic“-Chefredakteur bestimmte, was komisch ist und was nicht, und sogar selbst ein kleines bisschen Punkvergangenheit ins Treffen führen kann, als Gitarrist der Heilbronner Band Tiefschlag, die es dann doch nicht zu einem Eintrag in die Annalen gebracht hat. Wohl zu Recht – resp. zu unserem großen Glück -, wenn die Ähnlichkeiten zur „Gruppe Senf, deren grandioses Scheitern Schmitt hier satirisch aufbereitet, nicht rein zufällig sind. Ich frage ihn zunächst, ob man mit ihm ernst über sein Buch reden könne. Oder ist das Interview nur eine ‚ weitere Windung mehr auf der unendlichen Satireschraube? „Das ernste Gespräch ist das Maß aller Dinge“, beruhigt er mich. „Fragen zur Zeit, Nachdenken über Deutschland – dafür bin ich immer zu haben. Jetzt muss wieder Klartext geredet werden. ‚Irony ist over‘, das hat schließlich auch das ‚Popkulturelle Quintett‘ gefordert, diese jugendliche Wichsgemeinschaft um die Herren Kracht und Stuckrad-Barre. Und ihr Vordenker – Peter Hahne – hat ja auch das Ende der Spaßgesellschaft gefordert. Da hat er natürlich recht.“ Also Klartext! Ob es eine Satire auf den Punk braucht, darf man bezweifeln. Der lieferte ja – zumindest im Idealfall – seine ironische Brechung gleich mit. Wie gesagt, wir reden hier nicht vom körnerfressenden, veganen straight edge hardcore und auch nicht vom
Fußgängerzonen-Anachronismus mit Schäferhund, sondern vom guten alten, selbstreflexiven Kunststudenten-Punk.
„Den es allerdings viel zu selten gab“, fällt mir Schmitt ins Wort. „Der Plan, The Wirtschaftswunder, Foyer des Arts, die Goldenen Zitronen und solche Dinge, die arbeiteten ja alle auch schon schwer ironisch. Darauf braucht’s bestimmt keine Satire und das ginge wohl auch gar nicht, jedenfalls nicht von mir – denn dazu müsste ich sie angreifen wollen, und dazu habe ich als alter Bewunderer gar keinen Grund.“
Stellt sich gleich die nächste Frage: Ist das überhaupt eine Satire? Die hat ja einen konkreten Gegenstand, die will was – und eben nicht nur lachen machen. Hier jedoch emanzipiert sich das satirische Prinzip, der Pointendreschflegel haut auf alles ein, die Komik selbst ist das einzige Ziel. „Als Großform ist das ,AnarchoShnitzel‘ bestimmt keine Satire, nein, das würde man auch kaum lesen wollen. Es ist ebenso ein Entwicklungsroman wie ein Reiseroman wie ein Rock’n’Roll-Roman mit satirischen Elementen. Ein Bastard eigentlich. Wahrscheinlich ein völlig misslungenes Buch. Keine Ahnung, warum die Menschen es trotzdem kaufen.“
Die angemessen untalentierte Gruppe Senf hat in den 8oer Jahren einen kleinen Hit mit ihrem Song „Scheißstaat“, wird allerdings vom Manager verraten und verkauft und löst sich deshalb auf. 20 Jahre später bekommt der Ich-Erzähler Peter Hein (aha!) einen Anruf. Seine unglückliche Liebe von einst, Frontfrau Itty Lunatic, mittlerweile als Bürgerrechts-Aktivistin in einem Erdloch im tiefsten Ostdeutschland hausend, plant eine Band-Reunion. Heins Gefühle für sie kochen erneut auf großer Flamme, und so macht er sich auf den Weg, die alten Kombattanten zusammentrommeln. Einer lebt schon nicht mehr, wurde von einer Walze überrollt, die anderen sind genau die Hänger, Verlierer und Schmarotzer geworden, die so eine Punk-Sozialisation eben generiert – so wollen es jedenfalls das Stereotyp und Oliver Maria Schmitt. Eine Odyssee durch den „deutschen Orient“ nimmt nun ihren Lauf, die dem Autor die Gelegenheit, gibt, noch einmal die gesammelten „Titanic“-Zonenwitze abzuarbeiten. Man kennt das alles schon und lacht trotzdem. Schließlich ist die Band tatsächlich im Kölner Studio, und erneut hat sie ihr Manager reingelegt. Aber jetzt nimmt die Band grausame Rache.
Hier ist nichts ernst gemeint – und doch alles scharf kalkuliert. Schmitt adaptiert die eklektizistische, plagiatorische Montage-Ästhetik des Punk – und zwar auf allen Ebenen. Sorgfältig hat er etwa Scheißwitze, ausgelutschte Sprüche, abgekaute Phrasen aufgelesen, sie virtuos in Szene gesetzt und in beeindruckender Konzentration über die Seiten verteilt. Zudem hat er Rock-Geschichten und -Lexika ausgewertet und seine Exzerpte zu ewig schlaumeiernden Dialogen collagiert, was Punk sei und ausmache. Kein Mensch redet so. Hein 6& Co. durchaus, seitenlang, und das ist auch nicht ohne Witz. Genauso zusammenkopiert liest sich die Geschichte. Sie beginnt als Parodie von „Fear and Loathing in Las Vegas“ und mutiert zu einer trashigen Melange aus „Blues Brothers“ und „Wir können auch anders“. Muss man über Punk mit der Poetik des Punk schreiben?
„Ich wusste nicht, dass der Punk auch schon eine Poetik hat. Aber wahrscheinlich ist das richtig. Ich bin schließlich nicht vom Fach, bin ja Kunsthistoriker und Radfahrer. Das mit der Eklektizistik höre ich allerdings nicht so gerne, ich habe ja von der ersten bis zur letzten Zeile versucht, in der mir eigenen, in der orginären OHver-Maria-Schmitt-Sprache zu schreiben – jetzt erfahre ich, dass es sie gar nicht gibt. Ich bin gescheitert, verdammte Scheiße. Aber ich glaube, das passt ganz gut, Punk ist ja letztlich nichts anderes als die Geschichte eines großartigen Scheiterns.“
Da stimme ich ihm sofort zu. Denn Schmitt nimmt auch das Romanschreiben nicht wirklich ernst. „AnarchoShnitzel“ ist nur die mehrfach gebrochene Parodie, die ironische Simulation eines Romans – und also in letzter Konsequenz der einzig wahre Punk-Roman: ein fulminant scheiternder. „Ich bin entsetzt, dass man meinen Roman auch dekonstruiert lesen kann“, meint er gelassen. „Ich für mich selbst habe eigentlich einen klassischen, runden Bandroman geschrieben mit allem Pipapo und Zugabe. Aber wahrscheinlich ist’s schon so, wie meine Romanfigur, der unglückliche Komponist Rolfi, es formuliert: „Kaputte Welt, kaputte Musik.‘ Erzählt in kaputter Sprache. Die allerdings auf höchstem Niveau, logisch.“