„Größer als LSD“
Gitarrist Pete Townshend (The Who) über die Magie des Jimi Hendrix, der auf der Bühne zum „wundervollen Tier“ mutierte.
Wer Jimi Hendrix allein auf Basis seiner Aufnahmen beurteilen muss, kann einem nur leid tun. Erst in Fleisch und Blut war er wirklich einmalig – ein Alchemist, der sich auf der Bühne ständig häutete, sich sogar körperlich zu verändern schien. Und dass er auf der Bühne zu diesem geschmeidigen, wundervollen Tier mutierte, hatte nicht nur damit zu tun, dass die Zuschauer möglicherweise gerade auf Acid waren – auch wenn das, keine Frage, damals sicher nichts Ungewöhnliches war. Wobei Hendrix gleichzeitig eine Gelassenheit und innere Kraft ausstrahlte, die einen vom Trip wieder auf den Boden der Realität zurückholte. Ja, Jimi war größer als LSD.
Er spielte natürlich unglaublich laut, hatte aber auch ein Ohr für Nuancen und Zwischentöne. Er schlug die Brücke zwischen der authentischen Blues-Gitarre – etwas, worum sich Eric Clapton viele Jahre lang bemühen musste – und modernen Sounds, den Syd-Barrett-meets-Pete-Townshend-Sounds, diesen Wall-of-Screaming-Guitar-Sounds, die U2 später populär machten. Und er lieferte dazu eine visuelle Magie, die beim bloßen Hören seiner Aufnahmen nun einmal verloren geht. Er schlug einen Akkord, und dann fuhr seine linke Hand im weiten Bogen durch die Luft, so dass man für einen Augenblick vergaß, dass da ein Gitarrist auf der Bühne stand und die Musik tatsächlich aus seinen Fingerspitzen kam. „Wahrscheinlich warst du komplett zugedröhnt“, bekommt man angesichts solcher Erinnerungen zu hören. Aber ich war nicht zugeknallt, ich war auch nicht betrunken. Ich kann mich nur erinnern, völlig überwältigt gewesen zu sein. Die Bilder und Assoziationen, die er auslöste, waren auf natürliche Weise psychedelisch – so wie damals unsere ganze Umgebung diese surreale Qualität zu haben schien. Ging man in einen Club, wurde man gleich von einer wabernden Lightshow empfangen.
Privat war Hendrix völlig anders. Er war ein absolut unscheinbarer Bursche in einer Militär-Jacke, die so versifft war, als hätte er ein paar Nächte in ihr geschlafen. Wenn er auf die Bühne ging, wurde er eigentlich von niemandem beachtet, aber wenn er dann von der Bühne zurückkam, umschwirrten ihn die attraktivsten Frauen. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen – und schon liefen sie ihm hinterher. Auf der Bühne strahlte er einfach Erotik aus, so wie – aus der Sicht eines Mannes – ein Mick Jagger Erotik ausstrahlte. Das war keine schwule Fantasie, sondern eine reine, fast schon spirituelle Art von Erotik. Man wollte Teil von ihm sein, wollte wissen, wie er es anstellte, so viele Menschen zu berühren. Johnny Rotten hatte diese Qualität, Kurt Cobain auch. Als Mann wollte man einfach Teil ihrer Clique sein.
Hendrix war schüchtern und freundlich und unglaublich nett, aber er war auch abgefuckt und unsicher. Ich hatte das Glück, mit ihm nach Gigs ein paar Stunden rumhängen zu können und dabei zu beobachten, wie sich diese energiegeladene, schillernde Bühnen-Persona wieder in Jimi Hendrix verwandelte. Und ich sah einen Aspekt, der mich wirklich beunruhigte: Hendrix hatte eine hedonistische Ader, und zum Ende seines Lebens ließ er ihr freien Lauf. Das taten damals natürlich viele Musiker, aber es machte mich traurig, auch Hendrix in diese Falle tappen zu sehen.
Auf seine Fähigkeiten als Gitarrist war ich nie neidisch, weil ich wusste, dass er eh in einer anderen Liga spielte. Ich hatte so etwas wie Mitleid für Eric (Clapton), der damals vielleicht hoffte, in seine Fußstapfen treten zu können. Er tat mir leid, dass er sich überhaupt mit derartigen Vergleichen beschäftigte – weil er ohnehin ein wundervoller Gitarrist war. Vielleicht sind das voreilige Unterstellungen, aber ich glaube schon, dass sie zutreffen. Ich kann mich an einen Abend erinnern – ich glaube, Jimi spielte im Scotch Of St. James“ -, als Eric und ich uns an den Händen fassten: Was wir da sahen, war einfach überwältigend.
Das dritte oder vierte Mal erlebte ich Jimi als Vorprogramm der Who im Saville Theatre. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit brennender Gitarre sah. Weltbewegendes passierte nicht: Er schüttete etwas Feuerzeugbenzin über die Gitarre – und spielte am nächsten Tag die gleiche Gitarre, die nur etwas angekohlt war. Ich erinnere mich noch daran, dass ich ihm sagte: „Das bringt’s nicht. Du musst schon einen richtigen Flammenwerfer einsetzen, um sie völlig zu zerstören.“ Wir kriegten uns über das Demolieren von Gitarren beinahe in die Haare. Ich sagte: „Wenn schon, denn schon. Du musst sie in ihre Einzelteile zerlegen und die Teile dann ins Publikum werfen, damit sie nicht wieder zusammengebaut werden kann.“ Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
Wenn ich mich zu erinnern versuche, wie ich damals von Jimi beeinflusst wurde, dann muss ich gleichzeitig auch feststellen, dass ich mich etwas ausgenutzt fühlte. Bis zu einem gewissen Grad waren The Who immer eine alberne kleine Band, die letztlich nur meine Kunstschul-Ambitionen umsetzte. Die Ideen und Texte waren arg an den Haaren herbeigezogen, und dazu gab’s ein paar coole Pop-Songs. Einige der Sachen waren schon okay, aber vieles war einfach ironisch gemeint – oder zumindest behielten wir uns vor, selbst die Ironie-Karte zu zücken, wenn das Publikum zu lachen anfing. The Who taten eigentlich immer so, als meinten sie es nicht wirklich ernst. Man zertrümmert eine Gitarre, geht von der Bühne und sagt. „Fuck it. Es ist sowieso nur Mist.“ Es war eigentlich die Vorstufe eines Selbstverständnisses, wie es später von den Punks kultiviert wurde. Aber dann kam Jimi an – mit richtiger Musik.
Er machte die E-Gitarre zu etwas Schönem. Sie hatte eigentlich immer diese Aura des Gefährlichen, der unterdrückten Wut. Als John Lee Hooker in den 40er-Jahren sein Mikro in die Gitarre steckte, klang seine Gitarre plötzlich bösartig, aggressiv, gefährlich. Die Gitarristen aus den Fünfzigern, die später auch mit den frühen Rockmusikern arbeiteten – James Burton, der mit Ricky Nelson und den Everly Brothers spielte, oder Steve Cropper mit Booker T. -, all die Nashville-orientierten Gitarristen hatten diesen stählernen Rasiermesser-Sound. Wenn man die wundervollen frühen Elvis-Nummern hört, dann klampft ja zunächst Elvis auf Songs wie „Hound Dog“ auch selbst – bis dann plötzlich eine E-Gitarre dazukommt. Und das ist kein wohlklingender Sound. Das Gleiche bei den frühen Blues-Gitarristen – Muddy Waters, Buddy Guy, Albert King: Sie wollten, dass unsere Ohren schmerzen. Jimi sorgte dafür, dass die E-Gitarre schön klingt – und dass es in Ordnung ist, dass sie schön klingt.