Grizzly Bear: Flucht zu Oma
Weit weg vom Großstadtstress haben die Brooklyner Indie-Rocker Grizzly Bear eine Insel der Glückseligkeit gefunden.
New York ist eine hektische Stadt, anstrengend ist sie- so als würde ständig jemand Geburtstag feiern. In Brooklyn, wo die Mieten niedrig sind, wohnt in jedem Block eine andere Band, experimentiert, macht Krach. Nichts könnte davon entfernter sein, als jene kleine unbewohnte Felseninsel irgendwo in der Nähe von Cape Cod, Massachusetts: Veckatimest. In diese Gegend verzogen sich Ende letzten Jahres die vom Großstadtstress erschöpften vier Mitglieder von Grizzly Bear, um dort das nach der Insel benannte Album einzuspielen, ihr drittes.
„Wir haben im Haus meiner Großmutter unser mobiles Studio eingerichtet. Es wurde langsam kälter, wir machten Feuer im Kamin, konnten so lange spielen, wie wir wollten, und hatten dort diesen wundervollen Sound“, erinnert sich Edward Droste, Sänger und zweiter Songschreiber neben dem Gitarristen Daniel Rossen.
Die Session in Großmutters Haus muss eine besonders glückliche Zeit gewesen sein. Die Songs wirken organisch und entspannt. Christopher Bears hypnotisches Schlagzeug raschelt, glockenhelle, luftig gezupfte Gitarrenakkorde schallen im Raum, dazu hier und da Einsprengsel vom Mellotron, Flöten oder Geigen. Ein Pop-Album, das klingt, als wäre Phil Spector mit seinen Ronettes in eine Hippiekommune gezogen, kurz bevor sie alle ihre Unschuld verloren haben. Droste singt mit geschmeidigem Timbre und einem harmonischem Gespür, das derzeit neben den Grizzlybären nur eine andere Tierband beherrscht: die Fleet Foxes. Es ist psychedelische Musik, die weit weg ist vom bärtigen Gefrickel des New Weird America.
Folk und Country, überhaupt alles erdig Schwere, scheinen Grizzly Bear fern zu sein. Sonst wären sie wohl nicht bereits mit ihrem zweiten Album „Yellow House“ (2006) auf dem englischen Elektronik-Label Warp gelandet. Glück haben Grizzly Bear nicht nur bei der Arbeit zu„Veckatimest“ verspürt, schon vorher fügten sich einige glückliche Ereignisse aneinander. Radiohead und Feist nahmen sie mit auf Tour, und bei einem Festival in Frankreich wurden sie von einer kleinen Seitenbühne auf die Hauptbühne geholt, weil sich der Festivalchef als Fan entpuppte.
Ein weiterer Fan ist Paul Simon, der sie letztes Jahr neben David Byrne zu seinen Konzerten in die „Brooklyn Academy of Music“ einlud, nachdem er ihre Version von „Graceland“ gehört hatte. Weil Grizzly Bear bei aller Pop-Versiertheit ihre Songs so komplex strukturieren, dass sie auch in den Ohren klassisch ausgebildeter Musiker wirken, wollten selbst die Brooklyn Philharmonics mit ihnen konzertieren.
„Wenn wir live spielen, können wir diese Komplexität gar nicht abbilden. Mit dem Orchester haben wir uns dann aber an Songs gewagt, die wir nie zuvor live ausprobiert haben“, erinnert sich Droste. Bei den Arrangements unterstützte sie der 28-jährige Komponist Nico Muhly, der schon bei Bonnie „Prince“ Billy, Björk und Antony & The Johnsons ausgeholfen und zuletzt den Soundtrack zu „Der Vorleser“ geschrieben hat. Nur ein weiterer spannender Schritt auf dem sicher noch langen Weg dieser glücklichen Band.
Jacek Slaski