Gratwanderung zwischen Kingston und Leipzig
Ganz sanft versucht Tolga, jamaikanischen Dancehall-Sound nach Deutschand zu bringen
Dieser Mensch muss mit Sanftmut schon seine Windeln vollgeschissen haben. Bis heute dringt kein harscher Laut, kein lautes Wort und kaum ein Satz über Tolgas Lippen, den man nicht mit breitem Lächeln vortragen kann. Sogar all die Anglizismen, in die sich der Deutsche mit türkischem Pass aus irgendeinem Grund unsterblich verliebt zu haben scheint, hören sich an wie für rosafarbene Lullabys geschaffen. Dabei war Tolga vor ein paar Jahren noch Rapper und hat wahrscheinlich den lieben langen Tag so todernst und etwas gefährlich in die Gegend geguckt wie jetzt als Comic-Figur vom Cover seines Albums „Now That I Am Here“.
Auf dem spiegeln sich die sechs vergangenen Lebensjahre des Sängers wider und werden dabei zum erstaunlich bunten Kaleidoskop. 1994, erinnert sich Tolga, habe er „in Frankfurt einen Rastaman getroffen, der mich echt total beeindruckt hat. Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich mit der schönen Musik von Marvin Gaye und James Brown aufgewachsen bin und mir doch eigentlich schon lange ein bisschen mehr Gefühl in meiner Musik wünsche.“ Da seien Marleys alte Platten nicht der schlechteste Unterrichtsstoff und Jamaika kein übles Klassenzimmer gewesen. „Die Leute da akzeptierten mich schon beim ersten Besuch, Mann, die gaben mir einfach Liebe! Und überall, wo ich Liebe bekomme, bin ich auch bereit, selbst welche zu geben.“ Wieder so ein Satz, den der gute alte Bob hätte singen können.
Die 24 Tracks von Tolgas Album allerdings, je ungefähr zur Hälfte in Kingston und Leipzig entstanden, hören sich nun eher wenig nach Ganja-Parties am Palmenstrand an. Nicht einmal dann, wenn Tolga und Kumpel D-Flame Hymnen auf „Highssgeliebtes Gras“ anstimmen und Weedheads wie Afrob, Pionear oder Gentleman sich die Klinke zum vernebelten Studio in die Hand geben.
Nein, diesmal hat da schon eher das Presse-Info Recht, wenn es Tolgas soulful brew unter den hilflosen Oberbegriff Dancehall stellt. Kommt zwar längst nicht immer und eigentlich nie ganz hin, aber solange der Künstler selbst damit gut leben kann! „Die Jamaikaner jedenfalls“, lächelt Tolga uns sanft entgegen, „fühlen sich total geehrt davon, dass ihre Musik jetzt auch in Deutschland im Gespräch ist“ Und noch ein bisschen Prophylaxe: „Die finden es auch toll und nicht etwa lächerlich, wenn D-Flame jetzt Deutsch und Patwa im selben Song singt“ Man müsse da künftig noch mehr neue Pfade mit der Machete durch den Musik-Dschungel schlagen. Aber ganz langsam und vorsichtig…