Graham Nash im ROLLING-STONE-Interview: Weiter, immer weiter
Der legendäre Songschreiber Graham Nash hat sich noch einmal verliebt, mit 81 Jahren sein „persönlichstes Album“ aufgenommen - und ist um sein Land besorgt.
Graham Nash ist im Hier und Jetzt angekommen. Das hat er nicht nur dem Alter, sondern auch David Lynch zu verdanken, denn der hatte Nash und dessen dritter Ehefrau, Amy Grantham, vor einigen Jahren einen Kurs für Transzendentale Meditation geschenkt.
„Ich habe das Gefühl, dass ich durch Meditation endlich anfange zu erkennen, wer ich wirklich bin“, erklärt Nash. Zwar ist sein neues Studiowerk, „Now“, nicht unbedingt ein spirituelles Album geworden — dafür aber sein persönlichstes, wie der 81-Jährige betont. Was in den meisten Fällen kaum mehr als eine PR-Floskel darstellt, ist im Fall von „Now“ nachvollziehbar, denn die Entstehung des Albums hat viel mit einer Lebenskrise zu tun.
Es war einer der vielen Wendepunkte im Leben des Musikers, die der Ausgangspunkt für sein neues Album sein sollte: 2016 ließ er sich nach 38 Jahren von seiner zweiten Frau, Susan Sennett, scheiden. „Ich war damals 75 Jahre alt und dachte, dass ich mich nie wieder verlieben würde. Und dann ist es doch passiert.“ Mit diesem Gedanken beginnt auch das Album: „I used to think that I would never love again/I used to think that I’d be all on my own/ I really thought that it was coming to an end/ And just the thought of it chilled me to the bone“, singt Nash dort. Nostalgie und der Blick zurück sind nichts, was Nash sonderlich interessiert. Aber ein kurzes Innehalten darf es mittlerweile sein. „Ich habe immer im Rock’n’Roll gelebt und nie wirklich innegehalten. Aber jetzt nähere ich mich dem Ende meines Lebens. Ich würde zwar gern noch zwanzig, dreißig Jahre hier sein – aber vielleicht falle ich mitten in unserem Gespräch tot um — wer kann das schon wissen?“, sagt er.
Die Endlichkeit ist allgegenwärtig
Die Endlichkeit ist allgegenwärtig, das hat ihn auch der Tod seines Bandkollegen David Crosby gelehrt. „Ich vermisse David ganz außerordentlich! Ich wünschte, wir hätten mehr Musik zusammen gemacht. Er und ich haben eine Menge toller Songs zusammen geschrieben. Aber es hätten mehr sein sollen.“ Zu einer Versöhnung der beiden zerstrittenen Songwriter kam es nicht mehr, aber kurz vor Crosbys Tod gab es immerhin eine Annäherung. „Wir haben am Ende wieder miteinander kommuniziert. Wir schickten uns Sprachnachrichten. David wollte sich noch dafür entschuldigen, dass er damals den Mund zu weit aufgemacht hatte, besonders was Neil Young anging.“
Auch das Politische klammert Nash auf „Now“ nicht aus — denn das geht mit dem Privaten einher, wie er betont. So ist in dem Stück „Golden Idol“ unter anderem die Rede von den „MAGA-Touristen, die den Hügel übernommen haben“ (gemeint sind hier die Ausschreitungen von Trump-Anhängern auf dem US-Kapitol in Washington im Januar 2021). Die Lage in seiner Wahlheimat USA sieht der gebürtige Brite besorgt: „Viele sprechen von einem drohenden Bürgerkrieg — und das macht mir eine Heidenangst!“, sagt er. Auch dass Atomenergie (gegen die er in den späten 70er-Jahren protestierte) eine Art Renaissance erlebt und mancherorts wieder als sichere Art der Energiegewinnung gesehen wird, bekümmert ihn. „Kein vernünftiger Wissenschaftler würde einem erklären, dass sie wirklich sicher ist!“
Dennoch: Nash bleibt ein unverbesserlicher Optimist, wie er auf dem zweiten und zweifellos hippiehaftesten Stück der Platte, „A Better Life“, bekennt. „Heutzutage Optimist zu sein ist schon etwas Außergewöhnliches. Aber was ist denn die Alternative? Der Tod, das Nichts. Ich muss optimistisch bleiben. Obwohl mir der Zustand der Welt natürlich Sorgen macht, sowohl politisch als auch ökologisch. Aber wir haben die Möglichkeit, die Welt zu verändern — und die Musik kann dabei helfen.“
Der Mann, der mit Crosby, Stills, Nash & Young Geschichte schrieb, ist trotz aller Erfahrung vor der Veröffentlichung von „Now“ ein wenig aufgeregt, zeigt sich dann aber selbstbewusst: „Zeit ist dieser Tage die einzige relevante Wärung. Aber ich weiß, dass ich eure Zeit mit diesem Album nicht verschwende.“