Gottes einsamste Schwester
In der Serie „Nurse Jackie“ spielt Edie Falco eine drogensüchtige Zynikerin, die zwischen Leben und Tod nach ihrem eigenen Gesetzeskatalog handelt.
In den „Sopranos“ spielt sie die Gattin des Provinz-Paten als eiserne Hausfrau, die Cannoli macht, den Ennui tagsüber mit Prosecco herunterspült, die Tonys Affären ignoriert, die Kinder ermahnt und an einsamen Abenden mit dem katholischen Pfarrer so lange Gemütsfilme schaut, bis der seine Gefühle nicht mehr verbergen kann. In ihrer Villa mit der langen Auffahrt bewahrt sie die Fassade des Bürgerlichen, während der muffige, schwerfällige Ehemann in Unterhemd und Bademantel zum Kühlschrank schlurft. Edie Falco war diese Carmela Soprano bis zum Ende der Serie, die Ehe hielt bis zu jenem Besuch in einem Diner, bei dem die Spannung sich ins Unerträgliche verdichtet, während ein Song von Journey aus dem Radio plärrt.
Wir wissen nicht, was aus den Sopranos wurde. Aber der Pragmatismus, die Duldsamkeit und stille Verzweiflung der Mafia-Mama ist jetzt übergegangen auf die Krankenschwester Jackie Peyton, die in einem katholisch verfassten Krankenhaus in New York regiert und im Vorort ein Familienleben mit einem Mann und zwei Kindern führt. Zu Beginn liegt Jackie auf dem Boden und schaut in weißes Licht – vielleicht hat sie sich sogar aus dem Weißen materialisiert. Sie schnupft Medikamente, die Brocken werden in Großaufnahme gezeigt, sie sehen aus wie farbige Steine, die in einem Sauger verschwinden.
Jackie ist das Denkmal für all die anonymen Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte, die selbst die Segnungen der Pharmazie brauchen, um die Schichten durchzustehen – die verstümmelte Menschen sehen, grauenhafte Verletzungen, kaputte Knochen und Unmengen von Blut, die zu wenig Schlaf bekommen und an beschädigten Rücken und Hüften leiden, die vor lauter Anspannung Sex suchen oder drei Minuten Ruhe auf der Krankenliege. Nurse Jackie ist aber auch etwas, das keine Krankenschwester sein kann: eine Zynikerin.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass Krankenschwestern barmherzig, gut und tapfer sind, dass sie beruhigen und trösten und immer zur Stelle sind. Ihrem Selbstbild nach verrichten sie eine heilige Aufgabe, und bloß die sogenannte Oberschwester darf desillusioniert, mürrisch und bärbeißig sein, weil sie weiß, dass alle Hilfe nur temporär ist.
Edie Falco nun rebelliert gegen den Umstand, dass Patienten sterben und Gott immer das letzte Wort hat.
In dem Thriller „Brooklyn’s Finest“ beklagt sich Ethan Hawke als korrupter Polizist bei seinem Beichtvater darüber, dass Gott offenkundig keinen guten Job macht, aber niemals um Verzeihung bittet. Hawke mordet für Geld, damit seine Familie in ein anderes Haus ziehen kann, in dem es nicht schimmelt. Jackie dagegen bittet Gott in der ersten Folge: „Bitte mach mich gut – aber jetzt noch nicht.“ Die Prokrastination kennen wir aus der Kindheit, wenn etwas so schön ist, dass es Ewigkeit haben muss.Für die Krankenschwester ist natürlich alles Routine – doch Jackie nimmt es persönlich, sie mag die Praktikantinnen still und frech und kujoniert die jungen Ärzte, die noch nicht wissen, dass es sich um ihren Operationsraum handelt. Sie verliert ungern Patienten. Und wenn doch, dann fälscht sie schon mal eine Patientenverfügung, damit die Organe verwendet werden können.
Edie Falco hat bereits alle Preise für die Serie gewonnen, die derzeit auf TNT Serie läuft und jetzt auch auf DVD erscheint. Wäre „Nurse Jackie“ ein Spielfilm, bekäme Falco sofort den Oscar. Aber jede Folge dauert kaum 30 Minuten, das Ambiente ist künstlich wie bei „Ally McBeal“, und geredet wird das Drehbuchsprech von philosophisch gebildeten Autoren. Der Realismus von „Emergency Room“ ist der reinen Künstlichkeit gewichen, einem aseptischen Zwielicht zwischen Leben und Tod, in dem eine Schwester es mit dem Freund Hein aufnimmt, mit Gott, der Theologie und dem Aberglauben. Wie Pfarrer Fliege glaubt Nurse Jackie, dass derb reden darf, wer um das Heil der Menschen besorgt ist. Empathie ist hier eine Sache, die pragmatisch gelöst wird: Dem Diplomaten, der eine Hure aufgeschlitzt hat, wird das Geld weggenommen – Jackie gibt es der schwangeren Frau eines Fahrradkuriers, der soeben gestorben ist.
In der gleißenden Leere des weißen Lichts – oft wird das Fegefeuer im Kino so dargestellt – erfüllen sich die Schicksale von Menschen, die vor einigen Stunden noch andere Pläne hatten. Jackie Peyton wirft ihre Pillen ein: Im Warteraum der Vergänglichkeit korrigiert sie die Fehler der göttlichen Ordnung.