Goodsella

Nach dem Millioneneriolg von Titanic setzt die Plattenfaranche auf glänzende Geschäfte mit der Musik aus Filmen. Zu fast jeder Kinoproduktion wird derzeit ein Soundtrack rausgehauen. Doch viele Platten sind getarnte Compilations mit beliebigen Songs. "Godzüla" ist das jüngste Beispiel dreisten Etikettenschwindels.

Size does matter. Der kleine, alte Mann ähnelt Heinz Rühmann, wie er in strammer Haltung und mit erhobenem Haupt im Studio der aufklärerischen Schwatzbude „Stern TV“ den Kärtchenfragen Günther Jauchs trotzt Eigentlich habe er Violine gelernt, in den späten zwanziger Jahren aber am Klavier mit einer Kapelle, die sonst in Kneipen aufspielte, das lautlose Leinwandgeschehen in Lichtspieltheatern orchestriert. Und so läßt Jauch ihn typische Melodienstakkati der Stummfilmzeit klimpern, zur ältesten bewegten Bildergeschichte zum Untergang der „Titanic“, deren größter Spezialeffekt ein Modellbauschiff ist, das wie eine Nußschale in der Badewanne gegen ein Papierknäul schaukelt. Ob er auch zu Ausschnitten von James Camerons „Titanic“ spielen könne, lockt der Moderator sorgenvoll, als gelte es ein Gewicht zu stemmen, unter dem sein Gast zerbrechen könnte. Jawohl, entgegnet der knapp mit jenem entrüsteten Tonfall, der alten Leuten eigen ist, wenn man ihnen etwas nicht mehr zutraut Alles Improvisation. Während die Szenen ohne Ton rasch in loser Folge vorüberhuschen, haut der Pianist in die Tasten, die Tonleiter rauf und runter, piano bei Kate und Leo, als sie sich vor dem glutroten Sonnuntergang am Bug im Fahrtwind knuddeln, und/orte, als der Schiffsleib schäumend in die Tiefe drängt Und siehe, plötzlich wirkt der größte Film aller Klassen und Kassen ganz klein und alt Der nicht ganz so betagte Filmkomponistjames Homer kann da natürlich nur schmunzeln. Seine music front the motionpicture „Titanic“ wurde bereits mehr als 20 Millionen mal abgesetzt und peilt eine neue Bestmarke als erfolgreichster Soundtrack aller Zeiten an. Das sind mit rund 25 Millionen verkaufter Platten in immerhin 20 Jahren noch die Disco-Evergreens aus „Saturday Night Fever“, die allerdings oft als reguläres Album der Bee Gees eingeordnet werden. Homers orchestrales Getöse hatte nun vier Monate lang alle anderen Platten versenkt, wo und mit wem auch immer sie veröffentlicht wurden: Madonna, Pearl Jam, Natalie Imbruglia, Eric Clapton, Pulp – wer nicht wartete, bis sich die Wagen über der Sinfonie der unsinkbaren Liebe geglättet hatten, mußte sich hinten anstellen. In den deutschen Charts wurde sogar dem nationalen Nostalgie-Soundtrack der „Comedian Harmonists“ trotz der beachtlichen Verkäufe das Treppchen ganz oben verwehrt Werjedoch Soundtracks produziert, muß zur Zeit nicht völlig verzweifeln. Als sich am Anfang des Jahres der Umsatz an Soundtracks gegenüber 1997 um die Hälfte zu verschlechtern drohte, obgleich sich die Zuschauerzahlen fast verdoppelt hatten, verschaffte „Titanic“ dem Markt neuen Auftrieb.Jahr für Jahr wurde zu immer mehr Filmen ein Soundtrack rausgehauen, erst jetzt aber scheint dieser Sparte der Durchbruch gelungen. Ein Dutzend Soundtracks ist in den Billboard-Charts, darunter die von „City Of Angels“ und „Godzilla“ auf den ersten beiden Rängen, gefolgt von Musik aus Filmen wie „The Player’s Club“ mit Ice Cube, „I Got The Hook-Up“, dem Schauspielerdebüt des Rappers Master P, Warren Beattys Polit-Rap-Satire JBullworth“, der Komödie „Eine Hochzeit zum Verlieben“ mit Drew Barrymore und 80er-Jahre-Hits sowie das Comeback Public Enemys für „He Got Game“. Gemeinsam im Erfolg ist diesen Soundtracks, daß sie tmcks statt sounds enthalten.

Mit rein instrumentaler Filmmusik stand zuletzt 1981 der von Vangelis geschriebene Soundtrack des Sportlerdramas „Chariots Of Fire“ auf der Poleposition der Pop-Charts. Damals hatte Homer gerade dräuende Synuiesizer-Sequenzen für den okkulten öko-Horrorthriller „Wolfen“ komponiert. Damit waren Soundtracks, von Außnahmen oder eben „Saturday Night Fever“ und Muscials wie „Grease“ abgesehen, noch nahezu unverkäuflich oder als Platte gar nicht erst erhältlich.

Bei der Musik zur „Titanic“ mögen das stets beliebte keltische Gefiedel und tremolierende Gedudel von Sackpfeifen nach dem melodramatischen Abgang der Englischen Rose in Zeiten der vielbeschworenen Millennium-Melancholie die Gemütshysterie um diesen Film kongenial begleitet haben. Und doch ist dieser klassische Score zu langweilig zum bloßen Hören. Damit hat auch der Soundtrack von „Der englische Patient“ nur leidlich verkauft. Doch dann taucht an Steuerbord der Eisberg auf und schlägt die Bresche für Homers eigentliches Kunststück: „My Heart Will Go On“, seufzt Coline Dion – und die vor lauter Ergriffenheit längst erschöpften Zuschauer wanken in den CD-Discount. Ihr Sirenengesang strahlt noch auf den banalsten Flötenton ab, der irgendwo auf der Platte erklingt.

Trotzdem ist Homer für die Bedürfnisse der Plattenindustrie ein Auslaufmodell wie einst der kleine, alte Mann am Klavier. Der wie „Titanic“ ebenfalls von Sony Classical veröffentlichte und heftig beworbene Score zu „Deep Impact“, composedandamductedby James Homer, aber ohne seine alte Freundin Celine, schlug nicht ein. Nun ist Horner gewiß ein ordentlicher Handwerket zumal mit zwei Oscars und mehreren Grammys gekrönt, dessen Gesamtwerk fast zwei Dutzend Filmmusiken umfaßt für Rühr- und Pathosstreifen wie „Cocoon“, „Stunde der Patrioten“ oder „Braveheart“. Aber sein Name allein zieht nicht Wer hört sich denn tatsächlich an- und abschwellendes Streicher-Gesäusel zu Hause an? Eben.

Seit Musik in den Anfangen des Kinos das Klappern der Filmprojektoren übertönen sollten, ist sie auch Gefühlsverstärker für Bilder und Gesten, kehrt sie das Innerliche hervor und kündigt sie das noch Unsichtbare an. Bevor ein Score zum Soundtrack wird, also auf Platte erscheint, wird man ihn oft nur unterschwellig gewahr. Darin gleichen die Scores von „City Of Angels“ und „Godzilla“ dem aus „Titanic“. Bei den Soundtracks aber geht es nicht um die Synthese aus Musik und Bildern, sondern um Synergie zwischen Film und Songs. Soundtracks sind mittlerweile Marketingdeals, mit denen trotz oder gerade wegen der immens gestiegenen Investitionen alle auf ihre Kosten kommen wollen. Mit ihrem „brandneuen“ Song „Uninvited“ gibt Alanis Morissette die Anheizerin für „City Of Angels“, und der Soundtrack wirft neben dem erklecklichen Honorar vor allem auch reichlich PR für ihr kommendes Album ab. Die Echse eignet sich noch weniger zum Popstar als die EngeL Da wird mit nichts mehr als dem Maß aller Dinge gewuchert „Size does matter“, tönt der Reklamespruch unerschütterlich, und so trampelt auch der Titel des Soundtracks im monolithischen Maßstab daher. „Godzilla: Ute Album“-das hämmert sich ein wie die zyklopischen Fußstapfen, die der Saurier in Roland Emmerichs Film hinterläßt Am Ende ist der Soundtrack dann zusammengeschrumpft auf den Song „Come With Me“ von PuffDaddy feat Jimmy Page, der den Abspann beschallt Einzig ein Fetzen von Bowies „Heroes“, den die Wallflowers gecovert haben, hallt in einer Szene bei all dem Gelärme der Spezialeffekte kaum merklich vorübet Vbn Rage Against The Machine, Ben Folds Five, Jamiroquai und den anderen keine Spur. Wie verschmäht ans Ende des des Albums gehängt, sind jedoch zwei Tracks aus David Arnolds Score zu hören, drohende Hörner und donnernde Choräle. Gene Kellys „Singin‘ In The Rain“, das Darsteller Matthew Broderick in seiner ersten Szene über Walkman mitträllert, während er im Regen Richtung Tschernobyl fährt, schaffte es nicht auf diese Compilation. Der Song ist zu alt für die Zielgruppe.

Mit dem Ton kamen auch die Musicals und wurde Musik als vermarktbares Show-Element in Filme eingesetzt Auf Druck von Produzenten mußten selbst die Marx Brothers ihre anarchischen Gags für Gesangseinlagen unterbrechen. Seit „Saturday Night Fever“ nennt sich das Cross-Promotion, und in den Achtigern begann mit inhaltlich oft dürftigen Musikfilmen wie „Xanadu“, „Footloose“, „Flashdance“ oder „Dirty Dancing“ die Popwerdung des Kinos, die inzwischen noch feiner und frecher vorangetrieben wird. Wie beim Hit des Instrumentals „Axel F“ von Harold Faltermeyer aus „Beverly Hills Cop“, erwies sich MTV als ideales Medium, um jeglichen Film durch Videos mit prägnanten Szenen und einer Single aus dem Soundtrack bewerben zu können. Seit Anfang der Neunziger wurden Popstars für viele Filme so wichtig wie die Hauptdarsteller. Toni Braxton sang für „Boomerang“ und Whitney Houston in „Bodyguard“, da sie den Soulstar gleich selbst spielte. In „Singles“ hingen die Grunger ab. Lisa Loeb brachte ihr Song „Stay“ in „RealityBites“ den Durchbruch, was Coolio mit „Gangsta’s Paradise“ für „Dangerous Minds“ ebenfalls gelang. Elton John hat mit seiner Stimme dem Veteranen Hans Zimmer und dessen Filmmusik aus“Der König der Löwen“ zu einem kommerziellen Triumph verholfen. Am Soundtrack zu „Philadelphia“ gefiel allein der Titelsong von Bruce Springsteen, der dafür den Oscar erhielt Und bei „Men In Black“ war das Video für Big Willie Smiths Rap-Song ebenso so perfekt gestylt wie der Film selbst Hollywoods Allzweckwaffe für den Abspann aber ist die tränenselige Chanteuse Coline Dion: „Schlaflos in Seattle“, „Aus nächster Nähe“, „Die Schöne und das Biest“, „Titanic“. Zwei Oscars. In den Filmen wären all diese Songs verzichtbar gewesen – und sind oft auch nicht vorhanden. Produzenten von Event Movies schnüren so Pakete für die Wfelt der Multiplexe.

Die Fusion von Pop-Glamour und Film-Größe harmonisiert nicht immer marktgerecht, etwa wie bei dem Song „The End Is The Beginning Of The End“ von den S mashing Pumpkins für „Batman und Robin“. „Viele Regisseure denken visuell und haben Probleme, Dramaturgie in akustische Bilder umzusetzen“, so der ehemalige DJ Klaus Frers, Inhaber der Agentur Daydream, die gerade an Soundtracks für Detlev Bucks „Liebe Deinen Nächsten“, Sönke Wortmanns „St. Pauli-Nacht“ und Tbm Tykwers „Lola rennt“ arbeitet. In Deutschland hat die einstige Filmhochschülerin Katja von Garnier die Lektionen der Popkultur begriffen. Mehr ab 300 000 mal verkaufte sich der Soundtrack ihres Rock’n’Roll-Road-Movies „Bandits“. Das war weitaus mehr als erhofft – nur an der Kinokasse erfüllte ihr Film die Erwartungen nicht Auf einem schmalen Grad zwischen Kinokultur und Kommerz bewegt sich auch Karyn Rachtman. Mit dem Regisseur Baz Luhrmann hat sie den Soundtrack für „Romeo & Julia“ zusammengestellt, woraus das Stück „Lovefool“ von den Cardigans ein Hit wurde. Im Film selbst werden die exzellenten und auch stimmigen Songs zwar nur angerissen, dienen dabei aber durchaus der Dramaturgie. Der tatsächliche Scott, der später veröffendicht wurde, ist atmosphärisch dem ersten Soundtrack nicht unähnlich. Auch die von Rachtman ausgesuchten HipHop-Songs in JBullworth“ passen zu der Story über einen Politiker, der in den Slums der Schwarzen landet Für „Gueless“, eine Teenager-Komödie mit Alicia Silverstone hatte Rachtman bereits den Song Just A Girl“ der damals unbekannten No Doubt fest eingeplant Doch statt dessen setzte ein Bekannter des Produzenten das Stück einer befreundeten Band durch.

Beim Soundtrack von Quentin Tarantions „Pulp Fiction“, an dem Rachtman ebenfalls beteiligt war, ist Pop jedoch nicht Musik, sondern Haltung. Tarantino sampelt Filme, Fernsehserien, alltägliche Gedanken und Gefühle – also auch Musik, die oft unersetzlich in der Handlung verankert ist wie etwa bei seinem neuen Film Jackie Brown“. Zur Virtuosität beim Einsatz von Popsongs im Film hat es auch David Lynch bei „Lost Highway gebracht. Er hatte Kompositionen von Barry Adamson, Angelo Badalamenti und Trent Reznor teilweise übereinander mischen lassen und seine schizophrene Story damit auch audiovisuell umgesetzt Selbst wenn die Kamera zu Bowies „I’m Deranged“ über den Highway rast scheinen Mittelstreifen die Einheit von Tbnund Filmspur zu symbolisieren.

Da jetzt Akt-Aktrice Sharon Kane, die in 1000 Pornofilme dabei war, die Musik ihres Gewerbes verbessern wilL denkt sie wohl ans titanische Geschäft Oder an Godzilk. Size does matter.

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