Goodbye Country, hello Rock
Ein Hauch von Abschied hatte über allem gelegen, als die Jayhawks im November ’95 ihren letzten Auftritt im Troubadour absolvierten. Los Angeles, das sei wie ein homecoming, hatte Mark Olson gemurmelt, und was dann folgte, war ein langer, schöner Abend voll vornehmer Tristesse. Erst, als gegen Ende des Sets ein paar Black Crowes tätige Mithilfe beim Zergrölen von Dylan-Hits leisteten, geriet der Festakt aus den Fugen, die Feierstimmung war hin. Ein großartiges Konzert, trotzdem. Und ein würdigesyürewell. Doch das wußten wir nicht.
„Wir auch nicht“, sagt Gary Louris, „Mark hat uns erst Tage später von seinem Entschluß unterrichtet, die Gruppe zu verlassen, um mehr Zeit mit seiner Frau verbringen zu können. Wir dachten, das wäre das Ende Jayhawks. Es dauerte Monate, bis wir begriffen, daß uns Marks Abgang keineswegs den Boden unter den Füßen wegzog – und daß wir unbedingt weitermachen wollten. Nur die Musik hat sich etwas gewandelt.“
Eine Untertreibung. Der filigrane, detailgenaue Stil der früheren Jayhawks ist einem flächigeren, härteren Sound gewichen, die bittersüßen Harmonies gehören der Vergangenheit an, die Pedal Steel hat ausgedient. Sehniger Pop statt elegischem Country Rock. Louris, der sich stets das Spotlight mit Olson teilen mußte und heute die Bühnenmitte allein ausfüllen darf macht eine wegwerfende Handbewegung. „Diese Country-Schiene war doch ohnehin nur künstlich. Mit mir persönlich hatte das wenig zu tun. Ich bin schließlich nicht auf einer Farm aufgewachsen und habe in jungen Jahren nicht George Jones gehört, sondern The Clash. Country Rock war doch nur eine Formel, die eine Weile gut funktioniert hat.“
Hoppla. Wenn das keine Ernüchterung ist. Da aber auch Bassist Marc Perlman eifrig nickt, liegt der Verdacht nah, daß Olson wohl der einzige Country-Schwärmer war in dieser Country-schwärmerischen Band. Perlman: „So schwarzweiß würde ich das nicht sehen.“ Louris schon: „Nüchtern betrachtet, war es eine Marktlücke, nichts weiter. Als wir damals die Jayhawks formierten, gab es in Minneapolis die Replacements und Hüsker Du, aber keine Country Rock-Band. Wir wollten anders sein. Inzwischen ist es eine Masche, also höchste Zeit für uns, etwas Neues zu probieren.“ Schwer zu sagen, ob die unwirsche, unsympathische Art, mit der Louris das Jayhawks-Erbe abfackelt und ihre Musik im nachhinein zum taktischen Geplänkel schmälert, darauf zurückzuführen ist, daß er schon von Hause aus wenig von einem Charmeur hat, oder ob es der Lärm ist in dieser texanischen Hotelbar und die Ablenkung, die ihn möglicherweise zu unüberlegten Äußerungen veranlaßt. Im Fernsehen vor unserer Nase laufen die NCAA-Playoffs (College-Basketball is big in America), die Kellner hantieren geräuschvoll – und dann ist da noch der in Ketchup und Mayo ertränkte Kadaver-Klops, der Louris‘ Aufmerksamkeit fordert. Der Mann ist im Streß.
Angespannt, ja angestrengt hatte er auch auf der Bühne gewirkt, als die Jayhawks hier in Austin nächtens unter freiem Himmel ihre neue Visitenkarte abgaben. Musikalisch näher an Fleetwood Mac (ca.’76) als an den Eagles, muskulös rockend und verstärkt durch Fiddlerin Jessy Green, die ihre Brötchen sonst mit den Geraldine Fibbers verdient und als Blickfang einiges hermacht, spielten die Jayhawks hauptsächlich neues Material – alte Favoriten nur, wenn sie aus Louris‘ Feder stammten. Die naheliegende Frage, ob die Abkehr vom Roots-Rock und der elegante Dreh in Richtung Pop denn auch darauf zurückzuführen sei, daß da einer wieder eine interessante Marktlücke erspäht habe, weisen Perlman und Louris entrüstet und unisono zurück. Ebenso wie meine Mutmaßung, Geld könnte dahinterstrecken.
Immerhin heißt es, die Jayhawks hätten einen riesigen Schuldenberg abzutragen. „Eine Lüge“, meint Louris. „Frei erfunden.“ Perlman assistiert: „Wir wissen nicht einmal, wer dieses üble Gerücht in Umlauf gebracht hat. Es wird ja bereits im Internet verbreitet. Das Schlimmste ist, daß uns die Leute mitleidig behandeln. Glaub mir, wir haben wirklich keine Schulden.“
Das neue Jayhawks-Album heißt übrigens „Sound Of Lies „.