„Good Bye, Lenin!“-Regisseur Wolfgang Becker über seinen neuen Film „Ich und Kaminski“
Mit „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997) und „Good Bye, Lenin!“ (2003) drehte der Regisseur Wolfgang Becker zwei der erfolgreichsten Filme des neuen deutschen Kinos. Nun läuft nach langer Pause am 17. September sein neues Werk, „Ich und Kaminski“, an, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Daniel Kehlmann. Daniel Brühl spielt den ehrgeizigen Journalisten und selbsternannten Kunstexperten Sebastian Zöllner, der eine Biografie des Malers Manuel Kaminski (Jesper Christensen) schreiben will. Kaminski, Schüler von Matisse und Picasso, erlangte vor allem Berühmtheit, weil er nach und nach erblindete, je weniger er sah, desto berühmter wurde er. Irgendwann zog er sich aus dem Kunstbetrieb zurück und wurde vergessen. Zöllner wittert die Chance, nach dem vermutlich bald eintretenden Ableben des greisen Künstlers mit seinem Buch groß rauszukommen, interviewt Weggefährten und Freunde und macht sich schließlich auf die Reise zu Kaminskis abgelegener Residenz in den Alpen.
Nun sind zwölf Jahre vergangen seit Ihrem letzten Spielfilm „Good Bye, Lenin!“. Man würde ja denken, nach einem so erfolgreichen Werk wird gleich das nächste nachgelegt.
Wäre ich Til Schweiger, dann hätte ich sicher in kürzester Zeit „Good Bye, Lenin! 2“ gemacht, oder „Good Bye, Stalin!“. Aber es ging nicht darum, den Erfolg des Filmes auf einen zweiten Film zu erweitern und damit einfach nur Kohle zu machen. Ich bin damals ziemlich lange um die Welt gereist, Promotion überall. Mein Reisebüro war „Good Bye, Lenin!“ – GBL Reisebüro. Ich bin die merkwürdigsten Routen geflogen. Von Tel Aviv nach Rom, dann weiter nach Tokio und zurück nach Namibia. Ich kam mir vor wie eine Flipperkugel, die durch die Welt geschossen wurde. Wenn ich nachts in irgendeinem Hotel aufwachte, wusste manchmal gar nicht, wo ich war. Der Erfolg war wie ein Tsunami, der einen unglaublich weit ins Inland hineinträgt. Es dauerte sehr lange, bis ich wieder an einem Punkt stand, von dem aus ich weitermachen konnte. Relativ am Ende dieser Zeit war ich mit Daniel Brühl in den USA auf Kinotour. Der Film war ja für die Golden Globes nominiert und der Verleih machte sich Hoffnung auf eine Oscar-Nominierung. Ich saß in einem schicken Beverly Hills Hotel beim Frühstück und hatte einen Termin mit zwei Agenten, die mich für ihre Agentur gewinnen wollten. Ich habe denen gesagt, dass ich nicht sicher sei. Ich wäre um die ganze Welt gefahren und im Moment nur müde. Die meinten nur „Burn-out“. Das war das erste Mal, dass ich das Wort „Burn-out“ gehört habe – 2004 in Amerika. Ich hatte also etwas, von dem ich nicht mal das Wort kannte. Ein paar Jahre später kam das auch in Deutschland in Mode. Ich brauchte eine gewisse Zeit, um mich davon zu erholen – die Tour mit dem Film war anstrengender als die Produktion des Films selbst. Man fängt wieder bei Null an. Und ich bin auch nicht der Schnellste, nie gewesen.
Warum haben sie sich schließlich für eine Adaption des Romans „Ich und Kaminski“ von Daniel Kehlmann entschieden?
Ich habe Daniel Kehlmann beim ORF in Wien kennen gelernt. Wir waren Gäste in derselben Kultursendung. Er stellte „Ich und Kaminski“ vor und Daniel Brühl und ich „Good Bye, Lenin!“. Nach der Sendung haben wir noch in der Garderobe gesprochen und er hat mir ein Exemplar in die Hand gedrückt. Ich habe den Roman auf meiner Weltreise dann angefangen zu gelesen, habe ihn aber dummerweise irgendwo liegen gelassen. Der Stoff kam erst viele Jahre später wieder zurück zu mir. Erst da habe ich festgestellt – der Roman gefällt mir, den will ich verfilmen.
Kehlmann schreibt ja Dialoge, die man direkt fürs Drehbuch übernehmen kann, oder?
Das ist richtig, Daniel schreibt sehr gute Dialoge. Die größte Komik erzielt er aber durch die indirekter Rede, was er in „Ich und Kaminski“ schon ausprobiert, eine Fingerübung vor „Die Vermessung der Welt“, wo er dieses Stilmittel dann perfektioniert hat. Es ist nicht leicht, diese Dialog in direkte Rede zu bringen, denn oft geht dadurch genau der Humor verloren.
„Es ist schon ärgerlich, dass der Film mehr und mehr Figuren präsentiert, die maßgeschneidert sind für die Facebook-Generation und ihre Like-Buttons.“
Indirekte Rede lässt sich filmisch ja nicht umsetzen. Ich kann mir vorstellen, auch die Hauptfigur hat es Ihnen nicht einfach gemacht. Der „Held“ ist ein ziemlicher Kotzbrocken.
Und das genau hat mich interessiert und gereizt. Solche Figuren sieht man leider viel zu selten im Film, dafür immer mehr diese glatten, positiven Helden, denen man höchstens eine Charakterschwäche oder Macke dazuschreibt, um sie ein bisschen zu brechen. Oder gleich abgrundtief böse, monströse Figuren. Aber so empfinde ich Menschen nicht. Wir sind alle vielschichtig und interessant, aber auch zwielichtig und widersprüchlich – es ist schon ärgerlich, dass der Film sich von diesen Figuren entfernt und mehr und mehr Figuren präsentiert, die maßgeschneidert sind für die Facebook-Generation und ihre Like-Buttons. Es ist interessant, wie sich dieses Liken und Disliken aus den sogenannten sozialen Netzwerken in unserem täglichen Leben eingenistet hat, was sich nur in 10, 15 Jahren verändert hat. Die Menschen scheinen süchtig zu sein nach Likes und Daumen-Hochs. Jeder ist bemüht, seine beste Seite zu zeigen, gutgelaunt und lässig zu wirken. In Talkshows wird der Disput, die Kontroverse mit all den innewohnenden Gefahren tunlichst vermieden, jeder konzentriert sich darauf, möglichst positiv rüber zu kommen. Die Kehrseite sind die Nutzerkommentare im Internet, wo mit Häme und Gehässigkeit Menschen auf die übelste Weise anonym niedergemacht werden.
War es wichtig, die Figur des erst mal unsympathischen Protagonisten mit einem großen Sympathen wie Daniel Brühl zu besetzen?
Ich habe ihn nie ausschließlich als den großen „Sympathen“ gesehen. Das erste Mal habe ich Daniel in „Das weiße Rauschen“ gesehen, und da ist er überhaupt keine sympathische Figur, da spielt er einen paranoiden Schizophrenen, der wirklich gruselige Momente hat. Meine Freundin war damals erschrocken, als ich ihn für „Good Bye, Lenin!“ besetzen wollte. Sie fand ihn viel zu unsymphatisch, die Figur aus „Das weiße Rauschen“ hatte sich bei ihr eingebrannt. Aber da sieht man eben, was er kann. „Good Bye, Lenin!“ hat Daniels Image stark in Richtung „Sympathen“ geprägt, und er wurde sehr oft in ähnlichen Rollen besetzt. Aber das ist die Einengung eines Schauspielers auf ein bestimmtes Rollenprofil durch fantasielose Regisseure oder Produzenten. Die Gründe liegen auf der Hand. Ich hatte immer vor, mit Daniel einen Film zu machen, in dem er eine zwielichtige Figur spielt, die beim Zuschauer aber nach und nach Empathie hervorruft. Ich kenne ihn eben auch privat, und ich weiß, was alles noch in ihm so schlummert. Er war für mich die einzig mögliche Besetzung, und ich kenne niemanden, der das sonst hätte spielen können.
Ohne ihn hätten Sie den Film nicht gemacht?
Genau. Für mich ist diese Figur Sebastian Zöllner auch ein Teil seines Wesens und seiner Ausstrahlung. Man kann das nicht alles künstlich herstellen. Es ist ein Missverständnis, dass ein Schauspieler alles herstellen kann. Um überzeugend zu sein, muss er die menschlichen Schwächen und Abgründe schon kennen. Daniel hatte jedenfalls viel Spaß an dieser Kotzbrocken-Rolle voll bösem Humor.
Hatte Daniel Brühl denn von Anfang an Lust auf die Rolle?
Ja, schon auf Basis des Romans. Er war zu dem damaligen Zeitpunkt bereits auf der Suche nach Rollen, die ihn nicht auf den Sympathen festlegten, und da kam die Rolle des Zöllner gerade richtig. Für unsere erneute Zusammenarbeit gab es eher zeitliche Probleme. Daniel ist ein gefragter Schauspieler, mittlerweile auf der internationalen Ebene, was sich damals schon abzeichnete. Der Film hatte wahnsinnige Finanzierungsschwierigkeiten und es wurde verschoben und nochmal verschoben.
„Immer wieder musste ich mir anhören, dass die Figuren nicht sympathisch genug sind, die ach so wichtige Läuterung des Helden fehlt.“
Der Regisseur von „Good Bye, Lenin!“ hat Probleme, Geld für einen Nachfolger aufzutreiben?
Keiner meiner Film war jemals so schwierig zu finanzieren wie dieser Film hier. Immer wieder musste ich mir anhören, dass die Figuren nicht sympathisch genug sind, die ach so wichtige Läuterung des Helden fehlt. Vielleicht war in der Zwischenzeit auch so viel Zeit vergangen war, mit einer neuen Generation von Filmförderen und Geldgebern, um noch an den Erfolg von „Good Bye, Lenin!“ anknüpfen zu können. Da kann ich nur spekulieren. Die Finanzierung war jedenfalls kein Zuckerschlecken. Es stand kurz davor, dass dieser Film nicht stattgefunden hätte.
Ist es in Deutschland generell schwierig, einen Film zu finanzieren?
Der mittlere Bereich ist problematisch, was so zwischen 7 und 10 Millionen liegt, ist schwierig zu finanzieren ist. Aber man ist mit so einem Etat international einfach nicht konkurrenzfähig. Zum Beispiel braucht ein historischer Film ein gewisses Budget, um die vergangene Zeit glaubwürdig herstellen zu können, siehe „Jeder stirbt für sich allein“ von Fallada, gerade produziert bei uns im eigenen Hause. Der Film war allein in Deutschland nicht zu finanzieren, das ging nur mit verschiedenen europäischen Koproduzenten. Aber dann muss man auf Englisch drehen. Dieser wunderbare deutsche Autor wird nun auf Englisch gedreht, weil man in Deutschland das Geld dafür nicht zusammen kriegt. Es mag komisch sein, wenn ich das sage, aber ich glaube, man kann Filme nur schneller finanzieren, indem man deutlich billiger produziert. Dafür muss man aber die richtigen Geschichten haben, die mit einer reduzierten Anzahl an Schauspielern und Drehorten und einer deutlich verkürzten Drehzeit gemacht werden können. Stars sind dann nicht mehr möglich, auch keine production values, kein VFX. Für technisch opulentes Star-Kino, wie es das Publikum von Mainstream-Filmen gewohnt ist, braucht es einen viel größeren Etat als die in Deutschland üblichen. Mit der Zeit werden heute noch extrem teure technische Mittel und Möglichkeiten sicher billiger und vielleicht spielen irgendwann auch hier die Schauspieler dann alle im grünen Anzug vor Grün, dann können wir auch Ausstattung und Kostüm sparen. Vielleicht wird auch noch der selbst leuchtende Schauspieler erfunden, dann braucht man nicht mehr soviel Licht. Oder alle sind 3D gescannt und werden nur noch am Computer animiert.
„Ich und Kaminski“ erzählt, wie all Ihre Filme, auch etwas über Deutschland. Ist das immer Teil des Plans, das Land mit zu erzählen?
Bei meinem Film „Kinderspiele“ war es mir wichtig, dass er nicht zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region von Deutschland verankert ist. Der Film sollte eine Zeitlosigkeit haben, eher einen sozialen als geografischen Lebensbereich erzählen. „Deutschland überall“ habe ich das damals genannt. Das hatte einen verblüffenden Effekt. Verschiedenste Menschen aus verschiedenen Ländern, die den Film gesehen hatten, meinten: Das ist genau meine Kindheit, das habe ich genauso erlebt. Woher wissen Sie davon? Bei „Ich und Kaminski“ wird im Roman ja schon jegliche Ortsangabe vermieden. Wir wissen nur, dass das Haus von Kaminski in den Alpen liegt und die Reise ans Meer geht. Und dass der Film Mitte der Neunzigerjahre spielt. Ich habe auch bei diesem Film eine genaue geografische Verortung vermieden, aber das hatte eher andere Gründe.
Die Zeit, in der der Film spielt, ist schon wichtig – nicht nur, weil es noch keine Smartphones gab. Was ist das besondere an dieser Zeit?
Der Film spielt ja im Kunstbereich, der den Hintergrund für die Geschichte bildet. Der Kunstmarkt zum Beispiel hatte noch nicht diese grotesken Auswüchse genommen, die jetzt, 20 Jahre später, vorherrschen. Der Film wäre als Beschreibung der heutigen Verhältnisse völlig untauglich, denn der Kunstmarkt ist in der Zwischenzeit völlig aus den Fugen geraten ist. In der medialen Aufmerksamkeit ist Kunst, vor allem die zeitgenössische, vorrangig Geldanlage und Spekulationsobjekt der Superreichen. Nicht die Kunst selbst steht in Fokus, sondern die Rekordpreise, die bei Versteigerungen erzielt werden. Mir scheint, dass die zeitgenössische Kunst mehr und mehr in Bereiche des Selbstreferentiellen, des Recyclings und der absurdesten Alleinstellungsmerkmale abdriftet, das Sinnstiftende, die gesellschaftliche Relevanz dabei auf der Strecken bleibt. Das ist ein äußerst spannender Themenbereich, der jedoch eines völlig anderen Filmes bedürfte.
Nach 40 Jahren treffen sich ein Künstler und seine große Liebe und Muse wieder – sie hat ein ganz normales Leben geführt, er ein Werk geschaffen. Aber im Moment des Treffens ist er ein Nichts – sie will ihre liebste Game Show nicht verpassen.
Es ist Jahrzehnte her, dass sich die Wege des großen Malers und seiner geliebten Muse getrennt haben. Er ist berühmt geworden, hat ein bedeutendes Werk geschaffen, aber der Weg zum Ruhm ist gesäumt von Menschen, die er auf unterschiedliche Weise für seine Zwecke benutzt hat. Sie wirkt wie eine graue Maus im Meer der grauen Mäuse, hinterlässt der Nachwelt „nur“ Kinder und Enkelkinder. Was ist am Ende eines Lebens wertvoll? Wie wollen wir im Gedächtnis der Nachwelt bleiben? Was soll die Zeit überdauern? Das ist für mich ein zentraler Punkt dieses Films.