Goldgräber im eigenen Garten
Grant-Lee Phillips spielt jetzt endlich die geschichtsträchtige Americana-Musik, die sich viele für seine Solo-Platten gewünscht hatten
Der Area Code für ein Telefonat mit Grant-Lee Phillips ist nach wie vor derselbe, der angekündigte Umzug von Los Angeles nach East Nashville hat also doch nicht stattgefunden. Oder nur noch nicht? „Es gibt einige Orte, von denen ich dachte: Hey, hier kann ich leben“, sagt der Ex-Grant Lee Buffalo-Kopf, der vor 20 Jahren in die Stadt der Engel zog. „Aber die Entscheidung wird noch Zeit brauchen, also hab ich einfach das Nächstbeste getan, nämlich Duane wieder an die Westküste gelockt.“
Gitarrist Duane Jarvis, früher in L.A. lange für Lucinda Williams tätig, hat in Phillips‘ Band immerhin einen Job mit Familienanschluss: Sein Bruder Kevin trommelt dort schon länger. Die Konzerte werden anders klingen als das neue Album „Virginia Creeper“. Mit reduziertem Gitarren-Line-up setzt Phillips seine Hoffnung auf die „Essenz der Platte“ und die „Energie der Band“.“Virginia Creeper“ scheint jedenfalls genau die Platte zu sein, die Phillips schon nach dem Ende von Grant Lee Buffalo hätte machen können – die er aber nicht machen wollte, um mit der einsamen Studio-Nummer „Mobilize“ einen Ablenkungsballon steigen zu lassen., Ja, das ist eine faire Einschätzung“, bestätigt er. „Es war wichtig, mir selbst zu beweisen, dass ich noch ein paar andere Tricks im Ärmel habe.“
Entgegen der Planung war Phillips nach „Mobilize“ auch allein auf Tour gegangen: „Die Einsamkeit brachte mich wieder zurück zum Songschreiben, zu dem, was ich daran liebe, einfach mit einer Gitarre herumzuspielen. Ich bekam Sehnsucht, wieder mit richtigen Musikern zu spielen.“ Gut, dass zur Ablenkung noch der Filmmusikauftrag für „Easy“ reinkam, der gerade beim Sundance-Festival Premiere hatte, bevor die „Virginia Creeper“-Sessions begannen, mit dem Geiger Eric Gorfain, der das Album noch mehr prägt als die Sängerin Cindy Wasserman, die er über seinen Freund John Doe (früher bei der Punkband X) kennengelernt hatte. „Ich war sofort begeistert von ihren Harmonies und auch offener für Experimente – auch, weil meine eigene Stimme einfach besser geworden ist. Es war, als ob wir seit lOO Jahren zusammen singen.“
Ähnlich weit zurück reichen manche Songs auf „Virginia Creeper“. Auf seiner Reise zu den Mythen Amerikas ist Grant Lee Phillips dabei auch in seiner eigenen Familiengeschichte gelandet. So birgt „Josephine Of The Swamps“ die Erinnerung an das idyllische Huckleberty-Finn-Setting seiner Jugend im nordkalifornischen Stockton. Für das bezaubernde Klavierstück „Susanna Little“, das auch als Allegorie auf die aktuelle US-Politik funktioniert, standen Oma, Ur-Oma, Onkel und Großtante Pate, ihre Biografien als native Americans auf dem trail of tears gen Oklahoma. „Ich begann mich einfach zu fragen, wie sehr mich dieses Erbe als Persönlichkeit geformt hat Und ich wollte diese Geschichte am Leben halten für die nächsten Generationen. Ich fürchtete immer, darüber zu sprechen, könne es trivialisieren. Ich wollte nicht ab laufender Cartoon dastehen. Heute habe ich ein angenehmes Level der Obskurität erreicht Da kann ich über Dinge schreiben, die mir wichtig sind, ohne gleich unter dem Mikroskop zu liegen.“
So ist der Gelegenheitsschauspieler, der gerade in der TV-Serie „The Gilmore Girls“ einen abgehalfterten Troubadour gibt, über ein paar Umwege sogar noch zum Herzen von Americana vorgedrungen. Ist das nicht fast eine ironische Wendung, wenn er jetzt Gram Parsons‚ „Hickory Wind“ singt? „Ja“, gluckst Phillips. „Viele Leute haben ja Merle Haggard oder Ray Price erst über Gram entdeckt. Mich hat eher die alte Country-Musik zu ihm geführt. Klar kannte ich die Flying Burrito Brothers. Aber erst jetzt schien die Zeit reif. Es war einer der Songs, die ich immer mit Cindy sang, und er blieb hängen. Es ist ja meine erste Coverversion auf einem Album überhaupt“
Er hätte einen schlechteren Start wählen können aber kaum einen passenderen Ausklang Sir „Virginia Creeper“.