Goldene Jahre
Die erste Gesichtsblitz, der Blick aus den Hansastudios: Acht Wegmarken im Leben und Werk von David Bowie
1967 Gehversuche
Wären es nicht Militarycuts und toupierte 3-Wetter-Taft-Helme gewesen, den Spießbürgern von Bromley hätte die Haarpracht zu Berge gestanden, angesichts dieses exaltierten Wesens, das da Mitte der 60er-Jahre am Arm seiner Mutter über die Straße promenierte. Oder mit verschiedenen Bands spielte, und dabei mit knapp 20 so reizend pathetisch war, dass man ihm sogar einen Theaterauftritt als „Cloud“ verzeihen muss: Während David Bowie im Wolkenoutfit „When I Live My Dream“ sang, schminkte sich auf der Bühne des Oxford New Theatre einer als Pierrot, ein anderer fuhrwerkte als Harlekin herum, und das ist natürlich furchtbar, doch 1967 evozierten Pierrots und Harlekins eben noch nicht prinzipiell Brechreiz. „The Laughing Gnome“, ebenfalls 1967 entstanden, handelte in einer Zeile gar von jenem Beatnik-Vorurteil: „Didn’t they teach you to get your hair cut at school? You look like a Rolling Gnome!“ sagt Bowie darin zum Gnomengast, und der antwortet: „Not at the London school of eco-gnomics!“ Jenni Zylka
1971 Meilensteine
Hunky Dory“ und „Scary Monsters“ scheinen zunächst nicht viel miteinander zu tun zu haben. Das eine Album, Bowies viertes, entstand 1971, und er scheint darauf – nach dem harten Rock von „The Man Who Sold The World“ – auf dem Rückweg zu seinen poppigen Singer/Songwriter-Wurzeln. Zum Zeitpunkt seines Erscheinens wurde das Album freundlich als schöner Schritt für Bowie, aber eher beiläufige Bewegung für die Menschheit bemerkt: Eingängig, charmant, konventionell. „Scary Monsters“ wiederum wird 1980 allgemein als die Verteidigung seines Claims – abgesteckt in der vorangegangenen Berlinphase – gegen die Generation New Wave gesehen, gegen Devoeske Künstlichkeit und die artsy Histrionic David Byrnes.
Tatsächlich funktionieren beide Alben eher umgekehrt: „Hunky Dory“ ist ein großartiges Aufbruchalbum in die Postmoderne. Bowie wirkt weniger als Chamäleon, das unter der Tarnung sein Wesen bewahrt. Vielmehr gibt er auf „Hunky Dory“ (mehr noch als im eleganten Kitsch von Hits wie „Life On Mars“) von der Garbo-Pose über die Hommagen an Warhol, VU und Dylan seine Autorenidentität dran, zieht sich gleichsam in eine Warholfiktion des Stars zurück, setzt auf Konstruktion, Zitat und Pastiche. Das im Jahr darauf folgende Spektakel um Ziggy Stardust, das ihn zum Popstar machte, und dessen Band hier schon voll versammelt ist, wird ein erstes, ausformuliertes Beispiel des Konzepts.
„Scary Monsters“ schließt diese Phase ab. Wenn die Waver ihm viel Postmodernes verdanken, ist das gerade kein Grund, sich als Original zu behaupten. Bowie spielt auf Songs wie „Ashes To Ashes“ und „Scary Monsters“ – deren Modernität weder den Talking Heads noch Devo nachstehen – einfach mit: Als Spiegelung einer Spiegelung, wie es ja auch das Cover mit seinem Schattendoppelgänger anspielt, das als Motiv interessanter scheint als die etwas zeitgeistige Harlekinmaskierung. Schick natürlich, wie er so cool seinen eigenen Major Tom als Junkie erledigt, und so noch einen kleinen, unerwarteten Schlenker ins Spiel bringt. Nach „Scary Monsters“ geht es direkt aus dem Diskurs und ab nach Las Vegas, mit gerichteten Zähnen, hollywoodfähigem Croonen und einem wörtlich genommenen „Pop-wie-in-Populär“-Begriff. Markus Schneider
1975 Irrungen
Was die Bowie-Bewunderer gerne vergessen, wenn sie – wie seit „Where Are We Now?“ wieder – über seine Berliner Zeit fabulieren: Sein Hang zur Stadt und zu allem Deutschen speiste sich auch aus einer unguten, in den mittleren Siebzigern ziemlich ungebrochenen Faszination für den Nationalsozialismus. „Hitler war einer der ersten Rockstars“, hatte er schon 1974 in einem Interview mit dem „Playboy“ befunden, „er war genauso gut wie Mick Jagger!“ Gegenüber dem „NME“ beklagte er 1975 den „Liberalismus“ in den USA und prophezeite den baldigen Anbruch einer neuen rechtsgerichteten „Diktatur“, die gesellschaftlich ebenso „durchfegen“ werde wie einstmals der Rock’n’Roll. Zum Skandal kam es 1976 in London, als er anlässlich der Veröffentlichung von „Station To Station“ seinen Fans in der Victoria Station den Hitler-Gruß zeigte. Nach den allseits empörten Reaktionen darauf beteuerte er zwar umgehend, dass er den Arm nur „zum Winken“ gehoben habe. Plausibler erscheint indes die Erklärung, die er in den Achtzigern für sein Verhalten fand: Seine Kokainsucht habe ihm das Gehirn derart zerfressen, dass er nicht mehr wusste, was er tat. Jens Balzer
1976 Übersong
Ain’t there one damn song that can make me break down and cry?!“ ruft David Bowie 1975 als „The Young American“, hilflos swingend an den Seilen von David Sanborns lachendem Altsax, und schon im Jahr darauf meint er, dieses Lied gefunden zu haben. Es wurde von dem Duo Tiomkin/Washington als Titelsong für einen Film geschrieben, den George Cukor 1957 inszenierte (in den Hauptrollen Anna Magnani und der schreckliche Anthony Quinn; er spielte einen Mann, der die Schwester seiner verstorbenen Frau heiratet, aber im Netz seiner Erinnerungen gefangen bleibt), und gesungen wurde er von Johnny Mathis, einem sich vorzugsweise in exklusive Freizeitkleidung hüllenden, cremefarbenen Crooner mit einem dunklen Timbre, aber weißer, salbungsvoller Stimme.
So wie bei vielen Filmsongs sollen die ersten Takte dafür sorgen, dass man sich an die Dunkelheit im Saal und an das Licht des Traums auf der Leinwand gewöhnt: eine Mundharmonika, aus der jede „blue note“ sorgfältig herausretuschiert wurde, ein Fächer aus Geigen und ein im Himmel erwachender Chor von Frauenstimmen, der die Laken für die voice von Mathis zurückschlägt, der sich faul wie ein falsches, aber samtweiches Kompliment in dein Ohr schmeichelt. „Love me, love me, say you do/ Let me fly away with you“, gurrt er, von Klang umhüllt und ohne an eine bestimmte Person zu denken, „For love is like the wind/ And wild is the wind“. Mit diesen letzten Worten, dem Titel des Liedes wie des Films, enden auch alle anderen Strophen, in denen um „more than one caress/ Satisfy this hungryness“ gebeten und die Geliebte dazu ermutigt wird, sich an ihn zu klammern wie ein Blatt an den Zweig eines Baumes: „For we are creatures of the wind/ And wild is the wind“. Und es bleibt nur noch die mit bedeutungsvoll gesenkter Stimme gesungene Coda „Wild is my love for you“, dann noch einmal das Aufwehen der Streicher und nach knapp zweieinhalb Minuten ist alles vorbei.
Nicht so bei David Bowie, dessen Coverversion von „Wild Is The Wind“ bis heute nicht zu Ende ist: Sie rauscht leise, aber deutlich hörbar weiter, und dieses Rauschen ist nicht nur in all jenen Liedern zu hören, die er seitdem aufgenommen hat, sondern auch in allem, was er vorher eingespielt hat. Der Titel der LP, die mit diesem Song endet, „Station To Station“, verweist sowohl auf die eigene, von Figur zu Figur und von einem Aliasnamen zum anderen weitereilende Laufbahn, als auch auf die von Outer über Central zur Inner führende Strecke, die Marlow, der Erzähler aus Joseph Conrads Novelle „Herz der Finsternis“, unterwegs zu Kurtz auf dem Dschungelfluss zurücklegen muss, und außerdem vielleicht auch noch auf die 14 Stationen des Kreuzwegs. Bowie, der Proteus der Popmusik, der es schaffte, nicht der Zeit in die Hände zu fallen, indem er jedes Mal, wenn er greifbar zu werden drohte, seine äußere Erscheinung änderte, war zur Zeit von „Station To Station“ bei seiner letzten Häutung angelangt: „The Thin White Duke“, ein vom Kokain ausgehöhlter Soulcrooner in search of a soul, sah mit seinen orangefarbenen Haaren und den schwarzen Ringen unter den lichtscheuen Augen aus, als habe man ihn aus den transsylvanischen Bergen oder vom Set zu Viscontis Film „Die Verdammten“ weggeschleppt, und als würde er das, was von seinem Leben noch übrig war, bedenkenlos weggeben, wenn man ihm dafür noch einmal erlaubte, etwas zu fühlen. One damn song.
Sein Ruf nach einem Lied, das der Maskerade ein Ende bereitet, ist vergleichbar mit dem Verlangen, mit dem der Soldat in Jan Jacob Slauerhoffs gleichnamiger Erzählung „Das Ende des Liedes“ herbeisehnt: „Etwas zu begegnen, dem sich noch kein Sterblicher vor Ihnen näherte, und das so schrecklich ist, dass es Ihnen Ihre anderen Schrecken austreibt, etwas Rätselhaftes, das Ihre größten Geheimnisse enträtselt und selbst geheim bleibt.“ Slauerhoffs Soldat findet dies schließlich in einem Kloster auf der Krim, wo ein Chor von Mönchen jede Nacht ein Lied anstimmt, mit dem er singend eine Frau aus dem Griff der dunklen Erde zu befreien versucht. Aber in dem Moment, als sie fast erlöst ist – nur ihre Beine werden noch unterirdisch festgehalten -, sinkt der „schaurige, schnelle Gesang“ plötzlich in sich zusammen, wie eine Menschenpyramide, die ein wenig angehoben wird. Der nächtliche Chor muss aufgeben, nicht weil die Mönche keine Kraft mehr hätten, sondern weil sie das Ende des Liedes nicht kennen.
Keine Streicher, keine Harfe, kein Chor. Bowie singt „Wild Is The Wind“ praktisch nackt, nur, und das auch aus ehrfürchtiger Entfernung, begleitet von Gitarre, Bass und Schlagzeug, die ihn beim Versuch unterstützen, seine Seele, seine Inspiration und sein Gefühl aus den rauchenden Trümmern seines Geistes hervorzuziehen. Ein homöopathologischer Versuch: mit so viel Überzeugung ein unechtes Gefühl mimen, dass das Leben dazu verführt wird, mit einem echten zu antworten. Und das gelingt ihm nicht schlecht. Indem er alle Luft in seinem Inneren in seinem Kehlkopf zusammenballt und im Opernstil an seinen Stimmbändern entlangpresst, schafft er es zweimal, den höchsten Punkt der Brücke zu erreichen: „Yououou touch me/ I hear the sound of maaandoliiins/ Yououou kiss me/ With your kiss my LIFE begins“, und schließlich, nur noch getragen vom Wind, der durch sein Herz weht: „Dont’t you know you’re life itseeelf?“
Gitarre, Bass und Schlagzeug halten kurz den Atem an, aber als die Antwort ausbleibt, da sehen sie sich genötigt, sich wieder in die Riemen zu legen, und Bowie kann wieder von vorne beginnen. Auch er kennt das Ende des Liedes nicht. Oder vielleicht verhält es sich auch so, dass er, genau wie Karl, die Klavier spielende Hauptfigur aus Kafkas Roman „Amerika“, als das Ende in Sicht war, „in sich ein Leid entstehen fühlte, das, über das Ende des Liedes hinaus, ein anderes Ende suchte und es nicht finden konnte.“ Dadurch verwandelt das Suchen nach dem Ende des Liedes sich allmählich in ein noch verzweifelteres Suchen nach einem Ausgang aus dem Lied. Roel Bentz van dem Berg
1977 Mauerstadt
Bowie und Eno schreiben, Visconti produziert und dann kommt Fripp, sucht und findet den perfekten Abstand von Fripp zu Box, koppelt zurück und baut einen Ton, wie es ihn noch nie gegeben hat. Aus dem Fenster des Hansastudios sieht Bowie auf die Mauer, davor stehen der Produzent und seine Geliebte, Antonia Maass, sie küssen sich. Bowie schreibt den Text, der mit dem grandios vermessenen „I will be king“ beginnt und mit „Just for one day“ endet, innerhalb von Minuten. Er erzählt die Liebesgeschichte des 20. Jahrhunderts, Schüsse inklusive, er singt wie Kokain und LSD und Heroin und schließlich wie Entzug. Am Ende ist der Song so perfekt, dass sein Titel apostrophiert werden muss. Uli Edel, der ewig Unterschätzte, verfilmt diese Gänsefüßchen kongenial in einem der besten Momente deutschen Films: Christiane F. und ihre Clique hasten mit dem Groschenglück eines Kioskbruchs durch die betongewordene Absurdität Westberlins, des Europacenters, immer höher bis an den sich drehenden Mercedesstern. Und immer ist da Fripps Ton, selbstbewusst und zärtlich auf- und abschwellend, der beweist, dass Euphorie und Melancholie kaum mehr als einen Hauch auseinanderliegen. Dennoch kommt von den unzähligen „Heroes“-Coverversionen, von Oasis bis Gunter Gabriel, die beste ganz ohne diesen Ton aus. Begleitet von einem, das Lied bis kurz vor das Gehtnichtmehr entkernendem, stoisch gehämmertem Barpiano, singt Tally Brown und man kann keine Worte dafür finden, nur Tränen. Peter Huth
1979 Avantgarde
Als David Bowie im Dezember 1979 bei der US-Fernsehshow „Saturday Night Live“ im Stewardessenkostüm „TVC 15“ sang, zogen hinter ihm zwei Gestalten in futuristischen Anzügen einen riesigen pinkfarbenen Papp-Pudel über die Bühne. Einer der beiden Hundehalter war der Performance-Künstler Joey Arias, der andere – ein weiß geschminkter kleiner Mann mit Alienfrisur – hieß Klaus Sperber und kam aus Immenstadt im Allgäu. Er war 1973 nach New York gezogen, und gegen Ende des Jahrzehnts trat er unter dem Namen Klaus Nomi als queerer außerirdischer Countertenor in subkulturellen Vaudeville-Shows im Max Kansas City und dem Mudd Club auf. Das Pseudonym ist ein Anagramm des Sci-Fi-Magazins „Omni“ und zugleich ein Spiel mit dem Gleichklang des englischen „know me“, das die unsichere (sexuelle) Identität dieser Kunstfigur ironisch aufnimmt. Dass Bowie Arias und Nomi in eine Mainstream-Samstagabendshow einlud, zeigt exemplarisch seine Kunst, avantgardistische Strömungen massenkompatibel zu adaptieren. Der überdimensionale Anzug, den er an diesem Abend bei seiner Performance von „The Man Who Sold The World“ trug (seine Gäste sangen hier die Harmonien), gefiel Nomi so gut, dass er sich für seine eigenen Bühnenshows auch so einen schneidern ließ. Man kann ihn auch auf dem Cover seines Debütalbums von 1981 bewundern. Maik Brüggemeyer
1983 Discoausflug
Immer hat er nur über Brian Eno und Iggy Pop geredet, und nie über mich!“ Die Zusammenarbeit mit David Bowie Ende 1982 war für den Gitarristen und Chic-Chef Nile Rodgers eine gemischte Tüte. Einerseits hatte Bowie ihm als Produzenten fast unbegrenzte Freiheit eingeräumt, Hauptsache, die Platte würde nur halb so gut wie Rodgers Solo-LP „Adventures In The Land Of The Good Groove“. Andererseits fiel es Bowie dadurch leicht, sich nach dem Erscheinen von „Let’s Dance“ sowohl künstlerisch davon distanzieren zu können, als auch den massiven kommerziellen Erfolg des Albums trotzdem mitzunehmen. Für Rodgers insgesamt eine herbe Enttäuschung. Immerhin schlug doch ein Art-Rocker-Herz auch in seiner Discobrust. Nachdem ihn Bowie vor allem wegen seiner Teilnahme an Bill Laswells Avantgarde-Funk-Projekt Material angesprochen hatte, fühlte er sich dennoch am Ende als bahnbrechender Musiker, der er war, nicht ernst genommen. „Aber wenn man sich, Let’s Dance‘ genau anhört, begreift man, dass es wirklich hohe Kunst ist. Doch stattdessen taten die Leute so, als wäre es nichts anderes als, Funky Town‘.“ Hans Nieswandt
2003 Klopfzeichen
Längst war es zur Gewohnheit geworden, dass jedes neue Bowie-Album mit dem zweifelhaften Lob „das beste seit, Scary Monsters'“ begrüßt wurde. Im Jahr 2003 wusste niemand, dass ein langes Schweigen folgen würde; die Reaktionen auf „Reality“ waren sofort zartbitter. Ja, „Bring Me The Disco King“ als Rezitativ zu minimalistischem Schlagwerk, das fast klassische „New Killer Star“, der neuerliche Pixies-Versuch „Pablo Picasso“, das entrückte „The Loneliest Guy“, das irre „Looking For Water“ – gar nicht schlecht. Dann nicht mehr aufgelegt. Die Wahrheit ist: Wenn auf einem Bowie-Album vier, fünf große Stücke sind, dann handelt es sich um eine gute Bowie-Platte. Bowie-Platten müssen nicht aus einem Guss sein, denn er ist ein eklektischer Künstler.
Dasselbe Problem hatte die Kritik schon 1984 mit „Tonight“: „Loving The Alien“ ist natürlich ein sehr typischer Bowie, aber ein glänzendes Stück; das nervöse „Blue Jean“ schließt an „China Girl“ an, „Tonight“ ist eine strahlende Ballade und „Don’t Look Down“ ein eleganter Reggae nach Bowie-Art, der so wenig sein durfte wie seine Version des (damals noch nicht zu Tode gespielten) „God Only Knows“ von Brian Wilson und „I Keep Forgettin'“ von Jerry Leiber und Mike Stoller. Ja, die Songs passen nicht zusammen. Mit einem Begriff: Bowie! Arne Willander