Going Overground
Eine Auswahl der besten The Jam Singles
Stolz ist Paul Weller auf The Jam immer noch. Auch wenn’s nach der Auflösung der Band vor mehr als 20 Jahren jede Menge böses Blut gab, das einstige Trio immer noch ungern miteinander spricht. Und auch wenn er nicht vergessen kann, wie oh man vor allem ihn kritisiert hat. Dem Ärger stehen eben viele unvergessliche Songs gegenüber. Das weiß Weller: „Ich bin heilfroh, dass unsere Singles so eine lange Haltbarkeit haben. Auch wenn das vielleicht großkopfig klingt: Ich glaube, dass sich gute Musik letztendlich immer durchsetzt.“
Im Folgenden kommentieren neben Weller auch Schlagzeuger Rick Buckler und Produzent Vic Coppersmith-Heaven (alias Vic Smith) die größten Jam-Singles – und die gefürchtete britische Presse kommt eben- falls zu Wort: Gary Crowley, Adrian Thrills und Tony Fletcher begannen ihre Karriere bei Punk-Fanzines und landeten irgendwann bei der Mainstream-Musikpresse – ungefähr zur gleichen Zeit, als The Jam von einer viel versprechenden Schul-Band zu Nummer-eins-Lieferanten wurden. Es war eine spannende Zeit in London, Ende der 70er Jahre – und kaum eine Band hat diese Aufregung besser eingefangen als The Jam. Es war seitdem auch keine mehr mit Singles dermaßen erfolgreich.
In The City 1977
Schon bevor Paul Weller diese frenetische Punkhymne vollendete, hatte er sich einen Anstecker mit dem etwas ausufernden Originaltitel gebastelt: „In The City There’s A Thousand Things I Want To Say To You“. Unschuldig, naiv, aber mit einem melodisch makellosen Prachtriff – das die Sex Pistols später für „Holidays In The Sun“ abkupferten – war „In The City“ von allen frühen Jam-Songs sofort der eindeutige Favorit fürs Vinyldebüt.
„Paul war viel jünger als die Mitglieder der meisten großen Punkbands“, merkt Adrian Thrills an, „gerade mal 18, als sie ‚ln The City‘ aufnahmen. Und mit nur 20 Jahren schrieb er einige der größten Songs seiner Generation. Ich gab zu der Zeit ein Fanzine raus, ’48 Thrills‘, und die Bands unterstützten uns damals sehr. Als sie ‚ln The City‘ im Polydor Studio an der Bond Street aufnahmen, war ich dabei. Ich brachte die ungehefteten Seiten des Fanzines mit, und in ihren Aufnahmepausen setzten sich Paul, Bruce und Rick zu mir und halfen wie selbstverständlich beim Sortieren und Heften.“
PAUL WELLER: „Supernummer. Vielleicht ein bisschen naiv, aber ich war ja auch erst 17 oder 18. Für mich war der Song eine Art Teenagerhymne – zumindest hatte ich versucht, eine zu schreiben. Und wir waren zwar nicht das erste Mal im Studio – wir hatten in kleinen Studios um Surrey ein paar Demos aufgenommen -, aber jetzt ging’s um eine richtige, echte Single, das war schon ’ne große Sache. Also taten wir, was Vic (Smith) und Dick (Parry), die Produzenten, uns sagten. Wir spielten den Song im Grunde wie immer, aber es gab eben noch zusätzliche Gitarren-Overdubs. Zuerst fand ich, das ist geschummelt, und wir müssten doch genau wie auf der Bühne klingen, aber rückblickend lag Vic sicher richtig. Was die Leute heute den ‚Jam-Sound‘ nennen, das ist sein Verdienst. Wir kreierten den Sound zwar als Trio, aber der Feinschliff, der stammte von ihm.“
The Modern World 1977
Melodisch eine eher maue Single aus ihrer vielgeschmähten zweiten Platte
„This Is The Modern World“ Klingt verdächtig nach „Pictures Of Lily“ von The Who und dokumentiert Wellers frühe kreative Dürrephase. Der Song selbst überlebte in ihrem Konzertrepertoire bis zum bitteren Ende. Eine Art Minibibel für zornige junge Mods, die sich auch prompt darüber aufregten, dass die „two fucks“ im Text der Albumversion zu einem braven „a damn“ geglättet wurden. Die B-Seite mit „Sweet Soul Music“ und „Back In My Arms Again“ dokumentierte The Jams Pubrock-Herkunft: zwei dahinhastende Soulcovers, live aufgenommern im 100 Club. Gary Crowley, der im Publikum war: „Bei einem Jam-Gig kam garantiert immer irgendwann die Turboversion eines alten Soulklassikers.“
„Wir standen tierisch unter Druck beim zweiten Album“, erklärt Buckler. „Ich hatte es ewig nicht aufgelegt, und dann war ich beim Wiederhören erstaunt, was da alles drinsteckt. Die Leute haben es damals unterschätzt. Die wollten halt ein zweites ‚In The City‘, und das hatten sie nicht gekriegt.“
PAUL WELLER: „Zu der Zeit hatte ich einfach das Interesse verloren. Ich meine, ich schrieb schon noch Songs, aber die taugten nicht viel. Ich hatte mich in ein Mädchen verliebt, und man kennt das ja: Auf einmal ist alles andere egal. War vielleicht der denkbar schlechteste Moment dafür, aber so lief das nun mal. Andererseits: ohne diesen Gang der Dinge hätte es ‚AII Mod Cons‘ vielleicht nie gegeben. Es hat halt doch alles im Leben seinen Sinn.“
David Watts/A Bomb Im Wardour Street 1978
Der Wendepunkt. Dass die Doppel-A-Seite auch eine Coverversion enthielt, war Wasser auf die Mühlen der Zweifler. Jedoch: „David Watts“ von den Kinks – ein obskurer Albumtrack von 1967 – passte perfekt in den Jam-Kanon, und sein gnadenloser R&B-Drive und Ray Davies‘ clevere Charakterstudie eines Musterschülers waren auch der Funke, der Wellers kreatives Feuer wieder entfachte. „Soviel ich weiß, nahmen die Kinks den Song nach unserer Version nochmal neu auf“, lächelt Buckler. „Sie machten ihn schneller und wollten klingen wie wir. Das war schon lustig. Auch der aggressive, Clash-artige zweite Track „Ä Bomb In Wardour Street“ wurde zum integralen Knaller zukünftiger Auftritte – geradezu prophetisch analysiert Weller hier das Ende des Punk inmitten der zunehmend prügelträchtigen Konzerte im London der späten 70er Jahre.
Tony Fletcher: „Ein Jahr später, 1979, als ‚The Eton Rifles‘ in die Top Ten ging, spielten sie einen Geheimauftritt im Marquee. Die Skinheads waren aufmarschiert, um die ganzen kleinen Mods zu verprügeln, die zum Jam-Gig wollten, und Wardour Street wurde zur Kampfzone. Die Skins standen draußen, und die wenigen Security-Leute des Marquee bewaffneten sich mit Brettern – mit allem, was sie finden konnten. Ich wollte raus, aber ein Ordner zog mich zurück. In dem Moment flog ein Ziegelstein durch das Fenster, und dann war die Hölle los. The Jam hatten ihren Auftritt an dem Abend mit ,’A Bomb In Wardour Street‘ beendet und auf einmal wurde der Song Realität.“
PAUL WELLER: „Wieso wir ‚David Watts‘ aufnahmen, weiß ich nicht mehr. Ich dachte neulich erst drüber nach – es war schon eine komische Wahl. Weniger musikalisch als textlich. Aber es hat funktioniert. Ich meine, ich stand schon auf Ray Davies, als ich neun oder zehn war. Ich fand seine Songs immer toll, und nicht nur auf eine intellektuelle Art. Und die Themen – dass jemand auf so eine Weise über England schrieb. Das war schon immer ein Einfluss.“
Down In The Tube Station At Midnight 1978
Noch eine zweite Single aus dem anstehenden Album „All Mod Cons“ herauszupressen, widersprach zwar ihrer puristischen Popethik, aber „Down In The Tube Station At Midnight“ bekräftigte die kreative Renaissance nach „A Bomb In Wardour Street“.
Dabei hätte Weller den Song, den er später ein „Fernsehspiel als Drei-Minuten-Popsong“ nannte, fast schon aufgegeben. Vic Coppersmith-Heaven: „Paul war damals viel ungeduldiger als heute. Wenn etwas nicht funktionierte, warf er’s weg, statt dran zu arbeiten. ‚Tube Station‘ passte erst nicht, aber ich sah den Text, und der war brillant. Also ermutigte ich ihn durchzuhalten, und am Ende wurde ein großartiger Track draus. Die U-Bahn-Geräusche nahm ich selbst auf, in der St. Johns Wood Station, gleich um die Ecke von Mickie Mosts RAK-Studios.
Buckler fügt hinzu, „Down In The Tube Station“ sei nur deshalb eine Single geworden, „weil wir uns auf keinen anderen Track aus „All Mod Cons“ einigen konnten. Unsere Logik war: ‚Der Song taugt überhaupt nicht zur Single – also nehmen wir ihn.‘ Und komischerweise war es genau die richtige Wahl.“ Nur Tony Blackburn von „Radio 1“ sah das anders und interpretierte den Text – der sich eindeutig gegen Gewalt wendete – idiotischerweise als gewaltverherrlichend. Die B-Seite enthielt Foxtons wenig zwingendes „The Night“ – und Pete Townshends „So Sad About Us“ als Hommage an den gerade verstorbenen The Who-Drummer Keith Moon, der auch auf der Rückseite des Covers abgebildet war.
PAUL WELLER: Es war nicht meine Entscheidung, den Song als Single rauszubringen, aber wer immer es war, ich bin ihm dankbar. Ich hätte den Song wirklich fast weggeschmissen. Ich dachte, er funktioniert nicht, aber Vic Smith ließ sich nicht davon abbringen. Er sagte, das sei was Besonderes, wir müssten dranbleiben. Das zeichnet einen guten Produzenten aus, dass er sowas aus einem rausholt. Mein größter Beitrag zu diesem Song waren die kleinen zweistimmigen Gitarrenlinien.“ Going Undergroond/Dreams Of Children 1980
Die quintessenzielle Jam-Single. Aus einer solchen Melodienfülle machen andere Leute ein ganzes Album – selbst wenn sich hinter dem euphorischen Refrain Wellers sarkastische Distanz zum neuen Jahrzehnt und seinen nuklearen Gefahren verbarg.
„Daran haben wir lange gearbeitet“, erinnert sich Vic Coppersmith-Heaven. „Ich war extrem hartnäckig und ließ Paul nicht in Ruhe, bis ich die bestmögliche Vocal-Performance hatte. Er war ziemlich gefrustet, weil ich ihn manche Stellen immer wieder singen ließ. Ich mischte eine Version ab, dann holte ich ihn wieder rein und ließ ihn eine einzelne Zeile nochmal machen. ‚Muss das sein?‘ Aber als schließlich alles passte, hatte der Song eine wahnsinnige Kraft. Ich wusste, dass er im Radio rauf- und runterlaufen würde.“
So stark war der Song, dass die gleichberechtigt geplante zweite A-Seite „Dreams Of Children“ nicht den Hauch einer Chance hatte. Nicht weiter schlimm: Die Single ging von Null auf Eins in die UK-Charts, das hatte seit 1973 (Slade mit „Merry Xmas Everybody“) niemand mehr geschafft.
„Man darf nicht vergessen, dass viele Leute auf The Jam herabsahen“, sagt Tony Fletcher. „Sie galten als dreckig, dumm, vielleicht noch eine Leitersprosse über Sham 69, aber mehr nicht. Als dann ‚Going Underground‘ Nummer eins wurde, war das eine große Bestätigung für die, die an sie geglaubt hatten. Wobei Polydor damals auch wirklich alles tat, um die Platte mit einem Schlag an die Spitze zu bringen. Sie packten eine Gratis-Live-EP zu den ersten 100 000 Stück und schickten sie drei Wochen im voraus ans Radio. Dann fingierten sie Probleme im Presswerk, so dass noch eine Woche Vorab-Airplay dazukam. Heute ist so was normal, aber damals hatte man das Gefühl, die Firma wollte nichts dem Zufall überlassen. Es musste einfach ein Nummer-eins-Hit werden.“
Für die Band selbst war der Hit ein Geschenk des Himmels. Sie konnten eine strapaziöse US-Tour abbrechen. Bei „Top Of The Pops“ strapazierte Weller das strikte Product-Placement-Verbot der BBC, indem er eine „Heinz 57 Varieties“-Küchenschürze trug. Immerhin verkehrtherum.
PAUL WELLER: „Nummer eins? It was fucking unbelievable. Wir waren einerseits hin und weg, andererseits etwas ängstlich: Was macht man danach? Erst mal kürzten wir die Amerikatour ab, wir sagten uns: ‚Fuck it, fahren wir nach Hause.‘ Und frag bitte nicht nach der Schürze bei ‚Top Of The Pops‘. Weiß der Geier, was ich mir dabei dachte. Das war ja sogar noch vor den Drogen.“
Start! 1980
Unmöglich, auf „Going Underground‘ noch einen draufzusetzen, aber The Jam verteidigten ihren Thron: „Start!“, erratischer Warnschuss aus ihrer fünften LP „Sound Affects“, war der nächste Nummer-eins-Hit, ursprünglich „Two Minutes“ betitelt – und ein freches Plagiat von George Harrisons „Taxman“ aus dem Beatles-Album „RRevolver“. Die Kritiker kochten.
„Ich war während der Arbeit an, Sound Affects‘ im Studio“, gesteht Tony Fletcher, und ‚Revolver‘ lag ständig auf dem Plattenspieler. Paul spielte mir ‚Taxman‘ und ‚Eleanor Rigby‘ vor, und ich dachte: ,Wow, ich wusste nicht, dass die Beatles so gut sind.“ Dann kam ‚Start!‘ raus, mit ‚Liza Radley‘ als Rückseite. Es war offensichtlich. Bei ‚Start!‘ schnallte das ja jeder, aber ‚Liza Radley‘ wurde nicht von allen als Hommage an ‚Eleanor Rigby‘ erkannt. Ohne Wenn und Aber – es ist geklaut. Trotzdem eine klasse Single.“
„Start!“ mit seinem knallrosa Pop-art-Cover zog einen Strich unter ihre Vergangenheit und läutete eine neue Ära ein – für The Jam, und für den britischen Pop überhaupt.
PAUL WELLER: „Alle reden immmer nur von der ‚Taxman‘-Parallele, aber es ist keineswegs derselbe Song. Bloß dieses ‚Bum-bum-ba-bum-bum‘. Und damit waren wir auch nicht gerade die Ersten. Nimm den Backbeat und die Basslinie weg, dann ist das gleich was anderes. Aber ich mochte den Sound von ‚Start!‘ sehr, ganz minimalistisch und sparsam. Ein bisschen von Gang Of Four beeinflusst.“
That’s Entertainment 1981
Eines der Juwelen in Wellers Krone. Zunächst nur für (Festland-)Europa gedacht, dann auch zu Hause in England ein Hit – und aktuell bis heute: Eine bezwingende Litanei von Working-Class-Höhen und -Tiefen, die Checkliste einer sozialen Schicht – und vergleichbaren Werken von Weller-Helden wie Townshend, Davies oder selbst Lennon und McCartney absolut ebenbürtig. Nicht übel für einen Song, den er angeblich im Urlaub in Bracklesham Bay nach einer Sauftour in zehn Minuten hingekritzelt hat.
PAUL WELLER: „Damals beschäftigte ich mich nebenbei mit Lyrikbüchern und Fanzines, und das Gedicht eines Typen namens Paul Drew gab mir die Idee zu dem Song. Das war so ein Text, bei dem man einfach dasitzt, sich umguckt und ihn runterschreibt. Ich kann mich heute noch in die Situation versetzen, ich weiß noch genau, wie ich mich damals fühlte. Ich sehe meine Wohnung in Pimliko und die ganze Umgebung ganz deutlich vor mir.“
Absolute Beginners 1981
Eine Ironie, dass Paul Weller, als der Song aufgenommen wurde, das gleichnamige Buch von Colin Maclnnes gar nicht gelesen hatte, diese britische Beat-Bibel, die den prototypischen Mod-Kaffeehaus-Jugendkult im London der 50er Jahre glamourisiert. Die Cappuccino-Ästhetik prägte Wellers Arbeit erst später, bei The Style Council (die 1986 auch den Soundtrack-Song „Have You Ever Had It Blue“ zu Julien Temples verhunzter Verfilmung des Buchs beisteuerten).
Bläsersätze markieren den Beginn des letzten Jam-Kapitels – der Sound wurde clubfreundlicher, souliger. Weller fand „Absolute Beginners“ als Prototyp weißen Funks allerdings missraten. Das erste Demo (damals noch „Skirt“ betitelt) warf er im Polydor-Büro eigenhändig in den Papierkorb, weil es, so seine recht eindeutige Meinung, „Scheiße“ sei.
„Bei den Aufnahmen im Studio fand ich die Nummer fantastisch“, kommentiert Tony Fletcher, „aber wenn ich’s jetzt höre, klingt es wirklich etwas dünn. Ich weiß noch, dass die Aufnahmen an dem Tag von Charles und Dianas Hochzeit Ende Juli begannen. Paul, der Ex-Royalist, wollte an dem Tag unbedingt arbeiten und auf keinen Fall bei dem Feiertag mitmachen.“ Vielleicht sah Weller schon damals hinter die Fassade. Vielleicht wollte er nur mal wieder anders sein als alle anderen.
Trotz einer hübschen Pop-Art-Promo-Single mit Flash Edits von Roy Lichtenstein kam die Single „nur“ bis auf Platz vier, was nervös als Versagen interpretiert wurde, aber die B-Seite, „Tales From The Riverbank“ kompensierte das reichlich – die seltsam psychedelische Kindheitsreminiszenz gehört noch heute zu Wellers Favoriten und wäre auch nach Ansicht vieler Fans wohl die bessere A-Seite gewesen. „Hinterher kann man das immer sagen“, sinniert Buckler. „Aber stilistisch war ‚Absolute Beginners‘ einfach was Neues für uns, der Weg in eine andere Ära. Wir wurden smarter, ausgefuchster.“
PAUL WELLER: „‚Absolute Beginners‘ war schon irgendwie ein Leichtgewicht. Unser erster zarter Versuch Richtung Soul, er ist allerdings leider nicht wirklich gelungen. Aber die B-Seite mochte ich. ‚Tales From The Riverbank‘. Auch wieder so ein Song, der mich in diese Zeit, in diese ganze Bilderwelt zurücktransportiert.“
Tnwn Called Malice/ Precinus 1982 „Als sie mit ‚Town Called Malice‘ zurückkamen , erinnert sich Adrian Thrills, „dachte ich: „Mein Gott, The Jam sind einfach die einzige Band, die wirklich was bedeutet.‘ So gut war der Song.“ Die Single kündigte ihre sechste und letzte LP“ The Gift“ an (ihr einziges Nummer-eins-Album). Auf der einen Seite war „Town Called Malice“, dieser plastische Schnappschuss eines zerfallenden, provinziellen England samt unwiderstehlichem Motown-Beat; auf der anderen der Vorwärtsfunk von „Precious“ – ein wohlverdienter dritter Tophit, der in einem historischen Auftritt bei „Top Of The Pops“ resultierte: Sie durften beide A-Seiten hintereinander spielen (oder jedenfalls zum Playback mimen). Das hatten zuletzt nur die Beatles geschafft, 16 Jahre vorher.
„Malice“, einer der textlichen Höhepunkte in Wellers 25-jährigem Schaffen, war im Arrangement deutlich an „You Can’t Hurry Love“ angelehnt, den 1966er Hit der Supremes. „Wir nahmen einfach einen klassischen Motown-Song und drückten ihm
unseren Stempel auf“, bestätigt Buckler. „Schon komisch, dass dann Phil Collins wenig später einen Hit mit ‚You Can’t Hurry Love‘ hatte – der nahm nämlich zeitweise im selben Studio auf. Wir dachten: ‚Sag mal, der hat doch an der Tür gelauscht!'“
„Precious“ wiederum bediente sich ziemlich großzügig bei der Bassfigur von Pig Bags „Papa’s Got A Brand New Pig Bag“. „Auch das war offensichtlich“, gibt Tony Fletcher zu, „aber es war egal. Übrigens das einzige Mal, dass parallel eine 12″-Maxisingle veröffentlicht wurde. Ich lege hin und wieder als DJ auf, und ich kann dir sagen, diese Sechs-Minuten-Version von ‚Precious‘ funktioniert immer.“
„Funk war einfach eine Stilrichtung mehr, die wir mal ausprobieren wollten“, ergänzt Buckler. „Hätte es nicht funktioniert, dann hätte das niemand zu hören gekriegt.“ Er selbst ist trotzdem nicht restlos von dem Song überzeugt: „Ich muss zugeben, dass ich persönlich ‚Precious‘ nie besonders mochte. Es kam live einfach nicht rüber.“
Paul Weller: „Das waren die frühen Tage des Thatcherismus. Das ganze Land schien in Grund und Boden gewirtschaftet zu werden. Düstere Zeiten. Und wir waren das exakte Gegenteil zu den ganzen anderen Bands wie den fucking Thompson Twins mit ihren Perlen und Samt und Seide und lauter so Scheiß. Dagegen wollte ich wirklich angehen und etwas mit Inhalt schreiben. Den Sound von „‚Malice‘ finde ich immer noch super. Und abgesehen vom Song selbst, mag ich die Platte einfach. Sie hat was ganz Starkes, es ist ein Ruf zu den Waffen, Motown-Beat hin oder her – der ganze Vibe der Platte stimmt einfach. Einerseits diese Aussage, andererseits eine echte Samstagabendplatte zur Einstimmung aufs Wochenende Ein Muntermacher.“
Beat Surrender 1982
„And as it was in the beginning, so shall it be in the end.“
Bevor der Vorhang fiel, zogen sie noch mal alle Register, mit einer Soulbläserattacke und dem leidenschaftlichen Abschiedsruf „bullshit is bullshit, it just goes by different names“. Textur wie Tempo machten den Weg frei für Wellers Zukunft mit The Style Council, das gilt auch für die jazzige B-Seite „Shopping“.
„Die Single wäre ganz klar ohnehin Nummer eins geworden“, sagt Adrian Thrills, „aber ich hab sie im ‚NME‘ trotzdem zur ‚Single Of The Week‘ gemacht. Alles daran war großartig – sogar das Cover, auf dem Pauls Freundin Gill Price die Flagge hielt.“ Sie erschien auch als Doppelpack für Sammler mit einem beeindruckenden Triumvirat von Soulcovers (vor allem „Stoned Out Of My Mind“ von den Chi-Lites). Dies war keine Kapitulation, sondern ein angemessen euphorischer Absprung.
PAUL WELLER: „In dem Song hab ich einfach über die ganzen Wichser vom Leder gezogen – oder über die, die ich damals eben für Wichser hielt. Ich fand die alle total verlogen. Ich war ein sehr, sehr ernsthafter Typ. Ich meine, ich nehme heute immer noch ernst, was ich mache, aber damals war das noch extremer. Man hat mir ja immer vorgeworfen, ich war miesepetrig und verbissen, aber ich war einfach nur richtig, richtig ernsthaft. Weil mir die Musik so viel bedeutete. So nach dem Motto: ,lch meine es ernst, ich tue hier nicht nur rum. Ich bin nicht theatralisch, ich mache keinem etwas vor – Mann, das hier ist echt.‘ Es war also bloß eine Reaktion auf alles, was damals um mich herum abging.“