Götz George: Leader Of The Pack
Der Mann, der Schimanski war: Zum Tod des flammenden Schauspielers Götz George
Von allen Schimanski-Momenten ist der allererste naturgemäß der schönste, denn später waren sie immer schon als Schimanski-Momente geschrieben, inszeniert und gespielt. „Duisburg-Ruhrort“ beginnt mit einem Blick auf den Rücken eines Mannes, man sieht das rote T-Shirt und die dichten, wilden Haare, hinter dem trüben Fenster verschwimmt Ruhrort, die Schlöte und Stahlwerke, Kräne und Fabrikhallen.
Und dann sieht man ein klobiges Kassettenradiogerät, so eins mit Tasten, und wie der Mann eine Taste drückt und sich abwendet, und dann singen die Shangri-Las „Leader Of The Pack“, ein Lied, das von einem verwegenen Typen handelt, der eine Motorradbande anführt und in den die Erzählerin sich sehr verliebt, obwohl ihre Eltern und ihre Freundinnen sie vor ihm warnen.
Der Mann geht jetzt in die Küche, man sieht seinen unwahrscheinlichen Schnauzbart, seine Muskeln und seine weit über die Hüften gezogenen Jeans, und die Küche ist unordentlich, ein kleines Gewürzregal hängt schief an der Wand, Töpfe stehen herum, und der Mann schaltet eine Herdplatte ein, nimmt zwei Eier aus dem Kühlschrank, schaut sich eine Pfanne an und schaltet die Herdplatte wieder aus. Er nimmt ein Glas, schlägt die Eier hinein und trinkt Dotter und Eiweiß. Er schaudert, wirft ein paar leere Bierlaschen in eine Plastiktüte, dann nimmt er seine Jacke und verlässt die wüste Wohnung, an einer Wand erkennt man die schlechte Schwarzweißzeichnung von einem Gehöft.
Die Schimanski-Jacke: das Männerkleidungsstück der 80er-Jahre
Götz George spielte 1981 zum ersten Mal Horst Schimanski, einen Kommissar der Kriminalpolizei, der so wenig wie ein Beamter wirkt, dass er immer seine Dienstmarke vorzeigen muss, und auch dann glaubt man ihm nicht. Natürlich gab es im Deutschland von 1981 keinen Polizisten wie Schimanski, und nur wenige Polizisten wetteten routinemäßig bei Pferderennen, trieben sich mittags in Kneipen herum, hielten keine Distanz zu Zeugen und Verdächtigen, prügelten sich und soffen und kamen zu spät zum Dienst.
Götz George musste später immer wieder erzählen, wie er jene Militärjacke aus dem Schrank zog und entfärben ließ, die als „Schimanski-Jacke“ zum prägenden, ja ubiquitären Männerkleidungsstück der 80er-Jahre wurde. Neenee, sagte George: Kinder, dieser Schimanski trägt keine schnieke Lederjacke, auch keine Jeans-Jacke oder einen Trenchcoat – er trägt eine schmuddelige Armeejacke, und die ist auch noch hell, dann ist sie noch schmuddeliger. Und Eberhard Feik als Christian Thanner musste einen Anzug tragen und spießig sein, was Feik nicht gefiel, aber Feik spielte die Rolle seines Lebens, bis er sehr früh starb.
Der Regisseur Hajo Gies wusste genau, wer Schimanski ist und wer Thanner, er wusste, was Duisburg ist, was eine Kneipe ist, ein Binnenhafen, eine vermüllte Wohnung, ein Imbissladen, ein kaputter Typ und eine verlebte Frau. In „Duisburg-Ruhrort“ stimmen die Dialoge manchmal nicht ganz, und sie werden gut, aber nicht vollkommen richtig gesprochen, und die Autos und die Amtsstuben und Telefone stimmen sowieso, denn es war ja 1981. Dieser „Tatort“ des WDR und der Kommissar Horst Schimanski waren ein Fanal, ein Attentat auf den Sonntagabendkrimi und die Obrigkeitshörigkeit: Schimanski ist nicht korrupt und hat immer nur Schwierigkeiten mit der Dienstaufsicht, er ist ein impulsiver, getriebener und gerechtigkeitsfanatischer, ein ungebildeter, grobschlächtiger und ungeschickter, kurz: ein rührender Mann.
Die Tageszeitungen und die Leserbriefe in den Fernsehblättern hätten Schimanski beinahe erledigt. Und dann wurde er die beliebteste und berühmteste Gestalt des deutschen Fernsehens, und Götz George wurde Schimanski, und für den Rest seines Lebens blieb er Schimanski und versuchte ihm zu entkommen. George war 42 Jahre alt, als er zum ersten Mal, und er war 74 Jahre alt, als er zum letzten Mal den Schimanski gab.
Der Vater, abgemagert am Tor des Lagers
Aber Götz George, am 23. Juli 1938 in Berlin geboren, hatte eine andere Karriere. Er wuchs in einem herrschaftlichen Künstlerhaushalt am Wannsee auf, sein Vater Heinrich George war einer der deutschen Großschauspieler der 30er-Jahre, seine Mutter Berta Drews eine gefeierte Aktrice. Heinrich George, ein imosanter Wüterich und Gemütsmensch, war während es Krieges der Intendant des Berliner Schiller-Theaters, er lavierte, er half jüdischen Schauspielern und Bühnenarbeitern, blieb ein Günstling der Nazis, spielte in „Jud Süß“ und „Kolberg“ und starb 1946 in dem sowjetischen Internierungslager Sachsenhausen. Götz George erinnerte sich immer an den Abschied von seinem abgemagerten Vater am Tor des Lagers und die lange Fahrt in der Bahn durch Berlin, zurück nach Hause.
Schon 1950 spielte er am Hebbel-Theater sein erste Rolle, er studierte bei Elese Bongers beim UFA-Nachwuchsstudio, trat neben seiner Mutter Berta auf und hatte die erste Filmrolle 1953 neben Romy Schneider in „Wenn der weiße Flieder blüht“. Von 1958 an war im Ensemble des Deutschen Theaters in Göttingen, sein entscheidender Lehrer war Heinz Hilpert. Später spielte er in Gogols „Revisor“, in Tschechows „Platonow“, in Büchners „Dantons Tod“, in Tennessee Williams‘ „Tätowierter Rose“. Mit den Kinofilen „Jacqueline“ (1959) und „Kirmes“ (1960) wurde George ein Jungstar und Jugendschwarm; neben dem Deutschen Filmpreis und dem Preis der Filmkritik bekam er 1961 den „Bambi“. Und 1962 spielte er den Rancher-Sohn Fred Engel im ersten Winnetou-Film, „Der Schatz im Silbersee“. Wie Steve McQueen wollte George stets alles selbst machen; noch als 70-Jähriger war er stolz darauf, bei jedem Stunt selbst zu agieren; er fuhr Fahrrad und Motorrad, schwamm und lief, kein großer Mann, aber enorm kräftig.
1971 scheiterte die Fernsehserie „Diamantendetektiv Dick Donald“, eine bizarre Kostbarkeit deutschen Serien-Bemühens, es waren magere Jahre mit Rollen in „Derrick“ und „Der Alte“. 1977 spielte George seine erste monströse Rolle, den Nazi Rudolf Höss, Lagerkommandant von Auschwitz, in „Aus einem deutschen Leben“. Berta Drews notierte nach dem Kinobesuch über ihren Sohn: „Tief beeindruckt. Putzi deckt mit knappsten Mitteln ein Schicksal auf. Es beschäftigt mich.“
In seinen großen Darstellungen – in „Die Katze“, „Der Sandmann“, „Solo für Klarinette“, „Nachtschicht“, „Nacht ohne Morgen“, „Tod einer Polizistin“ und „Der Totmacher“ – spielt Götz George manische, halb verrückte, schuldig gewordene Grenzgänger, die an ihrer Vergangenheit verzweifeln, die nicht vergeht. Es wurde an Götz George bemäkelt, er könne nicht richtig gehen und nicht richtig sprechen, er bewege sich breitbeinig, er schnaufe und nuschle. Das alles tat er in der Wirklichkeit nicht, aber er rief zum Beispiel „Kinder, was macht ihr mit mir!“, wie Schimanski es tat.
Er wollte nicht spielen, er wollte sein
George hatte nicht viele Mittel des Ausdrucks, aber er hatte sehr wirkungsvolle. In den Farcen von Helmut Dietl war er am falschen Platz, vor allem als Alter Ego des Regisseurs in „Rossini“, denn für George galt: „Action is character.“ Die Neurosen des Intellektuellen waren ihm fremd, er war nicht nervös, er lebte alles aus. Götz George war ein Kontrollfreak, der immer vom Professionellen sprach, und die heute stanzenartige Klage über schlechte Drehbücher und niedrige Budgets hatte er erfunden. Er wollte nicht spielen, er wollte SEIN, in der Nachfolge seines Vaters, des faunischen, vulkanischen Heinrich George.
Er hat nicht geglaubt, dass er es je schaffte. Als er das sagte, war ein 72-jähriges Kind, ausgezeichnet mit dem Darstellerpreis der Filmfestspiele von Venedig, für „Der Totmacher“. Kinder, wenn ihr mir den Preis geben wollt, ich bin auf Sardinien, na gut, ich komme.
Die Taste des Cassettenradios drücken, ins Grau draußen schauen, am Hintern kratzen, die leeren Bierflaschen in eine Tüte werfen, die Jacke überwerfen, aus der Tür gehen. „They say he came from the wrong side of town/ They told me he was bad/ But I knew he was sad/ That’s why I fell for the leader of the pack.“
Götz George starb am 19. Juni 2016 und wurde in Hamburg begraben.