Glück ist machbar
Es gibt Tage, da übertrifft die Realität alle Erwartungen. Der Taxifahrer zum Beispiel fährt bereits zum zweiten Mal durch die sonntäglich leeren Straßen Manhattans am Hotel vorbei. Ohne den alltäglichen Stau ist er einfach zu schnell.
Ungewöhnlich auch die Stunde für ein Gespräch mit einem der respektiertesten Vertreter der musizierenden Zunft. Ein Mann, der als skurril, kompliziert, sarkastisch, also schlichtweg schwierig beschrieben wird, schwer gezeichnet durch Lust und Last vergangener, wilder Zeiten – und der nur in Gegenwart seiner persönlichen Publizistin reden mag. Walter Becker ist dieser Mann, und er hat lange auf sein Solo-Debüt warten lassen. 15 Jahre lang, und obwohl ihm Grammies, Millionenverkäufe und sogenannter Kultstatus als Teil des Unternehmens Steely Dan verwöhnten, scheint es für ihn nicht leicht zu sein, als Künstler mit dem eigenen Namen zu firmieren.
„Natürlich hinken Vergleiche, aber wir wären vermutlich alle Einzelkinder, könnten die Frauen die Schmerzen einer Geburt nicht wundersamerweise vergessen“, amüsiert sich Becker. „Die schmerzvolle Geburt einer Produktion vergißt man ebenso schnell. Also macht man das nach ein paar Jahren wieder. Außerdem wollte ich endlich mal die Freude des Resultats ganz allein geniessen.“ Walter Becker ist ein Jahr älter als Donald Fagen. Er wurde 1950 geboren, machte erste musikalische Entdeckungen angeblich als kleiner Junge beim Geräusch der Scheibenwischer im Auto seines Vaters, und nach Melodika, Tenorsaxophon, eifrigem Hören von Miles Davis-, Bob Dylan und Blues-Platten übte er so lange Gitarre, bis er alle Standards beherrschte. Da war er 17, studierte am Bard-College in New York Kunst und wurde vom Kommilitonen Donald Fagen entdeckt „Als wir ’72 unser erstes Album „Can’t Buy A ThrM“ aufnahmen, wußten wir genau, was wir wollten. Wir hatten vier Jahre lang Songs für andere geschrieben und kannten das Rezept: Ein guter Song darf weder zu lustig noch zu düster sein. Wir hatten Bühnen und Studioerfahrung; die machen andere heute im Heimstudio oder nur durch teure Fehler.“ Sieben Steely-Dan-Alben in acht Jahren, verhaßte Tourneen, zum Beispiel als Opener für Elton John, die Beach Boys, die Kinks und Uriah Heep. Trotz Singles-Verachtung Millionenverkäufe mit „Do It Again“. Zunehmender Konsum von Alkohol, Rauchwaren und Drogen jedweder Provenienz. Donald Fagen zog sich vom selbstzerstörerischen Partner Becker zurück und ging nach New York. 1980 wurde Becker von einem Taxi angefahren, seine Freundin Karen starb an einer Überdosis – eine düstere Zeit „Trotzdem sind diese bösen Erinnerungen letztlich gute Erfahrungen für mich gewesen. Zunächst einmal habe ich überlebt. Wenn man jung ist, nimmt man jede Herausforderung an, will alles ausprobieren. Es bleibt aber nicht viel. Was also soll das dann alles? Man braucht den ganzen Kram nicht mehr, höchstens als Ideenmaterial sind ein paar gute Ideen dabei. Und dann mit 40, wenn man alles hatte, Ruhm, Kinder, Reichtum, da braucht es neue Ziele.“
Walter Becker zog nach Maui, Hawaii, hörte auf zu rauchen, zu trinken, fing mit Yoga an, richtete sich ein lichtes Studio ein, heiratete, begann zu produzieren (China Crisis, Rickie Lee Jones und Freund Fagen) – er begann sein neues Leben. „In Hawaii bin ich total auf mich angewiesen, woanders wäre ich automatisch wieder in Musiker-Cliquen. Donald und ich haben die Siebziger ja ausschließlich in dunklen Studios verbracht. Mein Maui-Studio hat Fenster, man kann rausgehen, Bäume und das Meer sehen. Ich habe erst in den letzten 14 Jahren entdeckt, wie erfüllend das normale Leben sein kann.“
„11 Tracks Of Whack“, elf Songs wie Kurzgeschichten, über den Sohn Kawai, den plötzlichen Tod eines Freundes („Surf And/Or Die“), über sich selbst als „Rüde Bastard“, jazzverbrämte Melodien mit Tanzeinlagen. Darf ich bitten? „Nur, wenn mich keiner sieht, haha.“ Die Songs entstehen so, als ob ihm jemand über die Schulter schaut und diktiert Und Freund Fagen half aus wie damals „dies ist aber kein Steely Dan-Album!“
Nach 27 Jahren als aktiver Musiker geht es Walter Becker heute darum, weniger zu feilen, dafür neue Sphären zu entdecken. „Wie ein Fenster zu den Gefühlen zu öffnen, die mir früher verborgen waren. Vermutlich war die Musik meine Rettung und ist es noch. Es gibt kaum Leute, die mit ihrem Leben etwas wirklich Leidenschaftliches angefangen haben. Wie sagte mal jemand: ‚Baseball war immer gut zu mir.‘ Bei mir war’s die Musik.“
Vielleicht ist Glück ja wirklich eine Eigenleistung. Jedenfalls gibt es Tage, da gilt es, vorgefaßte Meinungen gründlich zu revidieren. Dieser Sonntag war einer davon.