Glück, das geteilt wird: die hermetische Welt des Songwriters Calvin Russel

Calvin Russell personifiziert den Outlaw schlechthin. Texas wurde in den letzten Jahren immer häufiger gegen die rollende Heimat des Tournee-Busses, quer durch Europa, getauscht. In den wenigen freien Tagen, die nicht mit Gigs, Interviews und anderen Promotion-Aktivitäten besetzt sind, versucht er in seinem Amsterdamer Apartment, neue Energie zu tanken. Russell lebt das vermarktete Image eines Keith Richards in einer jeden Sekunde: Jack Daniels verkommt bei ihm nicht zum Zierat der Werbung – er wird getrunken.

Der Album-Titel „Songs From The Fourth World“ steht Russell ins markante Gesicht geschrieben. „Natürlich ist die Dritte Welt bedrückend – aber doch meilenweit von Texas entfernt. Die vierte Welt findet ausschließlich in deinem Kopf statt, in einsamen Hotelzimmern, wenn du von Selbstzweifeln zerfressen wirst. Und die Angst, das alles nur diesem verdammten Hotelzimmer in die Schuhe zu schieben. Die Legitimation ist der Tour-Stress, das Trinken mit den falschen Leuten und eben dieses immergleiche Hotelzimmer. Der Affe in meinem Kopf ist ja schon beinahe verliebt in mich“, fügt er lachend hinzu.

Calvin Russells Anspruch an sich selbst ist enorm. Daß er einige der besten Rock-Songs der letzten Jahre geschrieben hat, mag er so nicht glauben – doch seine ersten beiden Solo-Alben sind der hörbare Beweis. Russell weiß, daß man mit dem, womit man lebt, letztendlich nie richtig umgehen kann – egal wie groß der Wunsch, wie übermächtig der Gedanke ist. „Frauen, Alkohol, Fatalismen ich kann nur sagen, daß ich damit nicht leben kann. Aber ohne das will ich auch nicht leben. Selbst wenn ich es wirklich könnte!“

Das klingt wie ein typischer Russell-Song, weil es ein typischer Russell-Song ist. Seine Freundschaft zu Townes Van Zandt hat zusätzliche Furchen in sein Gesicht gezogen – ein Gesicht, das nur aus solchen besteht. Keith Richards ist dagegen der reinste Kinderpopo. Calvins Freundschaft ist gelebte Wahrheit: Besorgnis und Betroffenheit sind von Verzweiflung über Van Zandts Schicksal durchsetzt Niemals aber hat Russell Angst vor einem ähnlichen Schicksal. Daß sein Leben in seinen Händen liegt, kann er sich an den Fingern abzählen.

Daß der Erfolg sich indes nicht so recht einstellen will, zumindest hierzulande, ist kaum begreiflich. Jeder Anhänger würde seinen heiligen Schrein darauf verwetten, daß dieser Typ mehr als nur Insider-Ruhm verdient hätte. In Frankreich verkaufen seine Alben immerhin 150 000 Stück. Kaum jemand räumt bei Konzerten dort derartig ab – ob im Publikum die „Angels“ oder Studenten stehen. Sogar Musikjournalisten reihen sich da nahtlos ein. Nun hat Calvin endlich auch hier einen Betreuer gefunden, der das mag, was andere nur als lästigen Job empfinden.

In den seltenen Momenten, in denen Russell lacht, ahnt man, was Glück bedeutet, das geteilt wird. Nicht das Geld ist unglücklich nur die, die damit in Berührung kommen.

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