Glitzernder Stern
Ron Sexsmith Berlin, Studio/Admiralspalast
Wir haben uns schuldig gemacht. Haben uns so sehr an Ron Sexsmith gewöhnt, dass wir seine Kunst für selbstverständlich nahmen und Album für Album verstreichen ließen, ohne ihn mit Hamsterkäufen in die Hitparaden zu bugsieren. Am Ende wusste der Kanadier sich nur noch mit Rock zu helfen. Genauer gesagt mit Bob Rock. Dem Produzenten fürs grobe Handwerk von Metallica bis Michael Bublé, der die Sexsmith’schen Songperlen klingen ließ wie das Tribut einer Melodic-Rock-Band an die Beatles. Aber das ist ja nicht wenig. Es gibt vier, fünf Songs auf „Long Player, Late Bloomer“, die schreibt auch Paul McCartney heutzutage nur alle paar Jahre mal an einem besonders guten Tag.
Sexsmith kommt im Glitterjackett auf die Bühne, hinter ihm seine Band – immerhin kann er sich die mittlerweile leisten. „Heart’s Desire“ macht den Anfang, der Sänger steht breitbeinig, wippt leicht mit, schaut auf seine Füße und kratzt sich den Wuschelkopf wie der tüdelige Bob Dylan, Mitte der Neunziger. Die Begleitmusiker spielen unauffällig, aber durchaus filigran. Nur der Gitarrist lässt seine verzerrte Slidegitarre ein bisschen zu oft und zu laut aufheulen und fällt bei den neuen Songs „Get In Line“ und „The Reason Why“ unangenehm auf. „Thinking Out Loud“ gerät dagegen sublim, „Just My Heart Talking“ muskulös, „Hard Bargain“ verläppert leider ein wenig, „Believe It When I See It“ ist inklusive George-Harrison-Gitarre berauschend. „Der nächs- te Song befindet sich auf meinem ers- ten Album“, kündigt Sexsmith, der mit einem linkischen Humor durchs Programm führt, „Wastin‘ Time“ an. „Auf dem Cover bin ich noch ein bisschen schlanker und weniger grau, dafür glitzere ich heute mehr.“
Als die Musiker bis auf den Keyboarder die Bühne verlassen, „weil diese Songs einfach zu komplex sind für meine Band“, beginnt mit „Nowadays“ der intime und vielleicht schönste Teil des Abends. Es folgt ein zerbrechliches „Tomorrow In Her Eyes“. Er habe in Los Angeles nach einem Konzert seinen Lieblingsschauspieler John C. Reilly getroffen, der ihm gesagt habe, „Whereabouts“ sei sein liebstes Sexsmith-Album, erzählt er und spielt mit „Right About Now“ einen seiner größten Songs. Doch es gelingt ihm tatsächlich, das nach Rückkehr der Band noch einmal zu übertreffen: „Not About To Lose“, „Love Shines“ und ein shuffliges „All In Good Time“ sind die Höhepunkte dieses Abends, der so viele brillante Songs bietet, dass man den Schweinerock von „Eye Candy“ locker verschmerzen kann. „Everytime I Follow“ schließt das Set. Die Zugaben „Secret Heart“ und „Whatever It Takes“ zeigen noch einmal den puren Sexsmith, mit Tim-Hardin-Sentiment und Bill-Withers-Soul. Er sei zur falschen Zeit geboren worden, hat Elvis Costello einmal über Sexsmith gesagt. In den Sechzigern wäre er mit diesen Liedern ein Star geworden. Für zwei Stunden war er das auch an diesem Abend in Berlin.
maik brüggemeyer