Gleich in etlichen Formaten wird jetzt wieder einmal das Werk von Charles Bukowski interpretiert – die Ergebnisse sind so erstaunlich wie unterschiedlich

Da sitze ich also. Sitze ich also. Im Dunkeln an einem wackeligen Tisch. Es ist Sommer, ich sitze im Stadtbad, es ist nach zehn, und draußen gießt es in Strömen. Was man auch riecht: Überall nasse Socken in zu löchrigen Schuhen. Die Tischdecke aus Plastik muss – na klar – fingernagelrot sein, alles muffig und puffig. Der Notizblock für Bestellungen, den ich der Kellnerin abgeluchst habe, ist so gut wie aufgebraucht, ein paar vollgekritzelte Seiten kleben in der Lache, die meisten im Aschenbecher.

Jeder hat sie irgendwann gelesen, Hank Chinaskis Geschichten von den Underdogs und Außenseitern, vom Mann mit der Ledertasche und flinken Killern. Schund und Stories vom verschütteten Leben, Romane, die mit „Und dann…“ anfangen, die keinem gewidmet sind oder schlechter Schreibe. Lauter Sachen, die massig Nachahmer inspirierten, nicht nur Zeugs aufzuschreiben, sondern es schlecht zu machen und das dann auch noch zu veröffentlichen.

Dann war es irgendwann genug, und man machte wieder andere Sachen. Seit fast zehn Jahren ist nun Schluss mit Aufzeichnungen von einem, der dann doch nie im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang, und da landet ein neuer Gedichtband auf der Fußmatte. „439 Gedichte“ (Zweitausendeins), fast tausend Seiten, gebunden und mit Lesebändchen. Richtig seriös, fast wie eine Bibel. Oder ein Gesangsbuch. Honorabei denn auch die Reaktionen auf den Kulturseiten, verfasst von Leuten, die nicht mehr die Gummihandschuhe überstülpen, wenn sie an den Grobian nur denken: So übel is’s ja auch wieder nicht, hatte was, der Abgesang.

Schon schreien die andern, was ich hier und heute, nachts im Stadtbad/Prenzlauer Berg höre, was alle Unterhaltungen abwürgt: „Die Leute sagen, Bukowski sei ein Verräter/ weil er einen BMW hat…“ Die das in den randvollen Saal brüllt, hat Flittchenfummel an. Marie Grubers Mimik und Intonation sind das Werk einer Schauspielerin (Tatort, Polizeiruf 110, Von Fall zu Fall), und schon mag man Karl-Heinz Heil nachtrauern, der in der Bar-Revue „Bukowski Waits For Us“ der Mann in der Ledertasche war, mitsamt Zigarre und Plaudereien von der Rennbahn. Musikalisch gibt das Pingpong zwischen Zitiertem und Songs auf jeden Fall mehr her, well außer Waits auch Cohen, Cave und weitere gecovert werden von Matthias Behrsing am Piano, Jens Saleh am Kontrabass und Michael Kiessling, dessen Sandpapierstimme in Keller und Frequenzen torkelt, bei denen einem schlicht die Lichter ausgehen.

Tja, und die Texte? Der erste kommt von Gerald Locklin („Ein todsicherer Tip“, Ariel-Verlag), der Buk kannte, die Kritik an seinem Benehmen oft verstand und irgendwann bemerkt: „Bukowski kann einem auf den Keks gehen, und sein Werk und seine Persönlichkeit können in Weitschweifigkeit und Wichtigtuerei auseinanderfallen, aber er ist fast immer meilenweit vom Reich der Langeweile entfernt.“ Marie macht weiter mit Buk, aber auch Lewis Carrol, Dornröschen… Locker und manchmal verlottert zusammengehalten von dem Motto „Bukowski ist tot“ – aber ich habe ihn gut gekannt.

Und Marie Gruber, inzwischen in anderem Kostüm, mal in der Rolle der Zicke, dann der Ex, dann der Muse… Marie Gruber macht ihren Job gut, verdammt gut. Macht, was einem schon auffiel, wenn man die frühere Bar-Revue (5-Jahres-Hit auf Kleinkunstbühnen) mehr als einmal sah, daher auch das Publikum begucken konnte: Sie greift nicht allabendlich aus ihrem Innersten, sie manipuliert – wie jeder Profi. Klingt technisch, ist es auch – und macht den Abend unvergesslich.

Egal.

Pur, also 100% Buk, ist das, was ohne Tischdecken und mit kleinerer Getränkeauswahl auch zu Hause laufen kann: „Explicit Lyrics“ (Deutsche Grammophon), die CD, auf der Christian Brückner zwischen und in den Klängen von Yakou Tribe liest. Nett, wohnzimmerkompatibel und wie geschaffen für die anfangs erwähnten Servierer von Hochkultur. Kann nicht anstinken gegen eine Liveshow oder „Bukowski Waits For Us“ (Vol. 1 und Vol. 2 als CD bei BuschFunk), mag aber manchem besser gefallen, da nie muffig puffig.

Wenn man dann noch an das Charles-Bukowski-Gelese von Götz George denkt oder an die Elektro-Collage von Red Sparrow (alias Matthias Spittler, der Originalzitate aus Lesungen mit PC-Klangschaften montiert), dann beeindruckt doch die Vielfalt der Interpretationen, der möglichen Lesarten.

Jörg Fauser überzeugte 1974, „dass sich hier einer nur auf sich selbst verlässt“. Monate später ergänzte Helmut Salzinger in „Sounds“: „Viele nennen das, was er schreibt und wie er es schreibt, seine Masche: es sei immer wieder dasselbe. Es ist immer wieder dasselbe. Gerade darin besteht die Ehrlichkeit von Bukowskis Gedichten (und Geschichten): dass er es nicht verschweigt oder beschönigt oder zu Kunst verarbeitet: dass es immer wieder dasselbe ist.“

Ob es einem nun passt oder nicht, Charles Bukowskis Werk, dieses Manipulieren von Erwartungen, sein Spielen und Kitzeln hier, das Penetrieren und Nerven dort es ist ohne Zweifel das Werk eines Profis.

Immer wieder dasselbe in neuen Variationen – langweilig wird das nie, und totzukriegen ist es offensichtlich auch nicht.

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