Glaube, Liebe, Hoffnung (9): Deutschland vor dem Polen-Spiel!

Mir müsset aaaabsolut zwingend spiele! EM-Blog, Folge 9.

Nein, man muss jetzt nicht vor jedem Deutschland-Spiel aus Solidarität eine Tafel Kinderschokolade essen. Das ist nicht nur ungesund, sondern wäre auch politisch das falsche Signal. Denn Kinderschokolade ist ja nur von außen braun, innen aber so weiß wie die Haut von Matthias Sammer.

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Vor dem zweiten EM-Gruppenspiel gegen Polen stellen sich sowieso ganz andere Fragen: Wie ist die Packing-Quote von Manuel Neuer? Denn mit seinen Abschlägen überspielt er ja auch mal locker acht bis elf Gegner, bevor der Ball ins Seitenaus trudelt. Und ist Neuer wirklich „der weltbeste Torwart“? Stimmt es, „dass wir Hummels und Schweinsteiger brauchen, um Europameister zu werden“ (beides Mehmet Scholl)? Spielt Podolski? Wann bringt Löw Schweinsteiger? Vor der 89. Minute? Und hält Schweini dann über die volle Restspielzeit durch?

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Mit den zweiten Gruppenspielen der Deutschen folgt traditionell ein Einbruch. Eigentlich muss man heute mit einer Niederlage für die DFB-Elf rechnen, 2008 verlor man im zweiten Spiel gegen Kroatien, 2010 gegen Serbien, 2014 gab es nur ein 2:2 gegen Kamerun. Allein 2012 konnte die DFB-Elf unter Löw das zweite Vorrundenspiel gewinnen.

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Klar beobachten lässt sich, dass diese EM von Taktik und Vorsicht dominiert ist, und viele Partien durch die Defensivsysteme der Teams zu einem Geduldsspiel verkommen, in dem es vor allem darum geht, ob es den Favoriten gelingt, den Gegner zu zermürben, indem sie Angriffswelle auf Angriffswelle vor das Tor der Underdogs lenken. Diese halten den Strafraum verriegelt, drohen mit schnellen Entlastungsstößen, und erst, wenn sie ermüdet und womöglich unkonzentriert sind, verlieren sie doch noch. Daher gab es bisher noch kein einziges Spiel mit echtem Schlagabtausch, und keinen glanzvollen Angriffsfußball. Der Modus tut ein übriges, um Vorsicht und Defensivtaktik zu beflügeln.

So, massiert abwehrbereit, mit der Hoffnung auf unerwartete Gegenstöße, dürften auch die Polen antreten. Die Deutschen wiederum werden sich darauf einstellen, nicht plump angreifen, und im Ergebnis verhakt sich das Spiel dann im Mittelfeld mit wenig Chancen auf beiden Seiten.

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Die Frage ist, ob Löw nochmal darauf vertraut, dass Götze sich zeigen will. Podolski wäre eine Alternative für Draxler. Gomez auch. Und dann hoffen wir mal auf Fernschüsse und Schnittstellenpässe von Toni Kroos und darauf, dass Müller einen besseren Tag erwischt.
Mein Tipp fürs Deutschlandspiel ist ein 1:1, weil man ja Optimist ist, aber auch Realist.

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Heute kommentieren wird ZDF, also Bela Rethy. Die ganze ARD ist so viel schlechter als das ZDF. Bis auf Mehmet Scholl. Der ist so viel besser als Oliver Kahn, erst recht, wenn man daran denkt, dass ihm die ARD-Designer eine Art Toilettenschüssel in Form eines Stehtischs hingestellt haben. Das sieht schrecklich aus, und Scholl muss immer lachen.

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Tipps sind schwer, besonders vor dem Spiel. Rumänien gegen Schweiz endete mit 1:1 und die Schweizer waren dann ja doch besser als von mir erwartet, hatten sich deutlich gesteigert. Der absolute Wahnsinn war dann aber Frankreich gegen Albanien. Gut, ich war noch nie der Meinung so vieler, nach der Frankreich zu den absoluten Topfavoriten dieser EM gehört.
Die Franzosen schafften es erst gar nicht, Torchancen zu erspielen, hatten weder Phantasie, noch praktische Lösungen, und auch kein Potential für Brechstangenfußball.

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Trotz des Sieges wirft das Spiel viel mehr Fragen auf, als es beantwortet: Wie gut wird der französische Trainer Didier Deschamps mit dem Druck fertig? Offenbar hat er es nötig, seine Topstars Griezmann und Pogba auf die Bank zu setzen, um sich Autorität zu verschaffen – ein harter, doch vielleicht übertrieben harter Schlag. Als ob Jogi Löw auf Khedira und Müller verzichten würde. Die Maßnahme ging auch überhaupt nicht auf: Auch wenn man zugesteht, dass sich die Franzosen gegen Albanien schon immer schwertaten, wie es wohl jedes Topteam gegen „die Skipetaren“ mit ihrer massiven Deckung und ihrem Supereinsatz tun würde – am Ende muss Frankreich so eine Mannschaft schlagen, Punkt Aus. Und das haben sie ja auch. Aber wie? Eben nur mit Ach und Krach, und nur nachdem der Trainer sich selbst korrigiert hat.

Auch gestern war der Eindruck vor allem: Frankreich hat kein System, es hat keinen Stil, es hat vor allem gar keine Varianten, außer Auswechslungen. Genau dieser Variantenreichtum, die Fähigkeit, Tempi zu wechseln, während des Spiels umzustellen und auf den Gegner zu reagieren, ihn auch selbst in Verwirrung zu stürzen, ist es aber, die Topteams auf Vereinsebene auszeichnet, und die man interessanterweise bei den Nationalmannschaften zur Zeit eher vermisst. Deutschland hatte sie 2010, im WM-Jahr 2014 schon weniger. Im ersten Spiel dieser EM gar nicht.

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Die „Equipe Tricolore“ tritt zur Zeit auf wie eine schlechte Kopie der Spanier. Ein massives Mittelfeld, viele Kurzpässe, aber viel schlechteres Flügelspiel als die amtierenden Europameister. Zudem zeigen die sich mit ihren zwei Stürmern Morata und Nolito überraschender und flexibler als die Franzosen. Bei denen muss Griezmann die Tore machen, und der gerade aufschießende neue Star Payet spielt in einer Art Iniesta-Rolle. Man muss also mal abwarten, welche Folgen das gestrige Spiel hat.

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