Glaube, Liebe, Hoffnung (7): Der Sieg der alten Männer Italiens
Coolness siegt über Heißsporne, Teamgeist über Einzelkönner: Italien besiegt Belgien und Gladiatoren 2:0. EM-Blog, Folge 7
„Die richtigen Spieler mit den richtigen Eigenschaften auf den richtigen Positionen mit den richtigen Laufwegen und mit Selbstvertrauen.“
Mehmet Scholl über die italienische Mannschaft
Aus mir unerfindlichen Gründen handelt man die Belgier immer wieder als Mit-Favoriten großer Turniere. Warum? Verwechselt man sie mit den Holländern, weil Belgien einst die „Spanischen Niederlande“ waren? Die Niederlande spielen aber einfach viel schöner und besser. Vor allem haben sie ein klares System und eine Spielidee – von beidem war bei Belgien in ihrem Auftaktspiel gegen Italien nicht viel zu erkennen.
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Dies war ein Spiel mit ähnlicher Struktur wie das Deutschlands gegen die Ukraine am Tag zuvor: Die einen stürmten wüst und nur optisch gefährlich, die anderen warteten cool ab. Das Spiel war schnell, auf hohem Niveau. Beide Teams kamen viel und oft über Außen, die Italiener waren gefährlich, wenn sie mal vorn waren, zeigten aber immer wieder Schwächen im Aufbau, und unnötige Verluste ins Seitenaus. Ab der 18. Minute erspielten die Belgier für eine Weile ein leichtes Übergewicht, kamen zu drei, vier Ecken; trotzdem gab es nie eine große Gefahr fürs italienische Tor. Dann aber fiel in der 32. der Wirkungstreffer der Italiener. Und nun war eigentlich das Spiel schon entschieden. Von Anfang an hatten die Italiener ihrem Gegner signalisiert: Kommt mal Jungs, zeigt, was ihr könnt, Lücken werden wir Euch keine anbieten, ihr müsst das Spiel schon gewinnen, denn verlieren werden wir es nicht.
Ab der 40. Minute gab es noch einmal ein ermüdendes, für den Zuschauer bezauberndes Hin und Her – ein Schlagabtausch voller Intensität mit 5-2 Chancen für Belgien. Dann war alles verpufft. Erst nach der 70. Minute kam es wieder zu tollen Angriffen und Chancen für die Italiener. In der Nachspielzeit dann fast schon mit Ansage dann das entscheidende zweite Tor, ähnlich wie das für die Deutschen.
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Eine hervorragende Leistung von den erwartbar abgezockten Italienern. Ein sehr sehr schlauer Auftritt eines homogenes Teams, das einander vertraut, das Spaß und Lust hat. Während die Belgier über ein paar gute Einzelspieler verfügen, aber über keine Mannschaft.
Mit diesem Auftritt ist endgültig klar: Italien ist ein Favorit. Die selbstbewussten Schlawiner-Italiener hatten sich bei der Münchner Niederlage gegen Deutschland nicht so gezeigt, wie sie spielen können.
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Und nebenbei: Die Italiener vom Montag waren besser, schöner und effektiver, als die Deutschen vom Sonntag. Es scheint klar, dass die deutsche Mannschaft, sollte sie im Viertelfinale auf Italien treffen, ausscheiden wird.
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Die Mannschaft, mit der die Italiener am Montag gegen Belgien antraten, war die älteste Startformation in der Geschichte aller Europa-Meisterschaften.
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Hans Mayer sagte später im Gespräch vollkommen richtig: Spanien und Italien hätten „von der ganzen Konzeption her bisher am fehlerlosesten“ gespielt. Diesen Satz sollte man sich merken. Denn Spanien hatte gegen die Tschechische Republik einen ausgezeichneten und fehlerfreien Auftritt hingelegt. Nur die Tore fehlten. Und man kann die risikolose Art der Spanier natürlich kritisieren, man kann einwenden, sie müssten halt mit einem zweiten Stürmer noch etwas offensiver spielen. Aber man sollte schon erkennen, dass sich alle Gegner der Spanier auch immer extrem hinten reinstellen.
Seit 60 Jahren wird der Fußball immer defensiver, seit 60 Jahren gilt besser 1-0 gewinnen, als 5-4 und seit 60 Jahren legen die Trainer vor allem Wert darauf, dass der Gegner ein Tor weniger erzielt, als die eigene Mannschaft, nicht darum, dass die eigene Mannschaft ein Tor mehr erzielt, als der Gegner. Das ist den Spaniern, auch ihren Vereinsmannschaften seit zehn, fünfzehn Jahren fast immer perfekt gelungen.
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Trotz alldem hat es noch kein 0-0 während dieser EM gegeben. Zugleich sehr viele späte Tore..
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„No pain no gain“, also „Ohne Schmerz kein Sieg“. Dies könnte das Motto für die Italiener sein. Tatsächlich ist es der Titel einer Ausstellung im Berliner „Museum für Kommunikation“. Darin geht es um Computerspiele, die ihren Benutzer für Fehler ganz real bestrafen, durch Hinzufügung von Schmerzen. Gestern gab es im Rahmen der Ausstellung auch einen Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Christine Kutschbach Titel: „Panem et circenses 2.0. Tödliche Spiele in Film und Literatur“. Darin schlug sie einen Bogen vom antiken Rom, wo das Publikum in der Arena des Colosseums noch live bei der Inszenierung von Gewalt dabei war, zu dem heutigem Gebrauch derartiger „tödlicher Spiele“. Im Historienfilm Hollywoods, wie in Gladiatoren-Computerspielen werden sie nicht nur medial re-inszeniert, sondern auch zunehmend auch als Vehikel für Gesellschaftskritik eingesetzt. Ausgehend vom Erfolg der Buch- und Filmtrilogie „The Hunger Games“ („Die Tribute von Panem“) erkundete der Vortrag die gesellschaftliche Funktion die Darstellung und Betrachtung von Gewalt im Spiel.
Mit der EM hat das alles insofern zu tun, als dass man Kutschbachs Überlegungen auch leicht auf den Profifußball übertragen kann. Denn auch dort findet Gewalt statt, auch dort erfüllt sie Funktionen. Denn sowohl die durch ungeschriebene Gesetze wie durch das – vom Schiedsrichter als Exekutivkraft abgesicherte – Regelwerk zivilisierte Gewalt, als auch auch deren zum Teil gezielte, zum Teil spontane Übertretung in Form von Fouls sind essentieller Teil des Spiels. Und damit sind nicht die Hooligans gemeint.
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Währenddessen lief alles schlecht für die Österreicher, die vor ihrem ersten Spiel mein persönlicher Geheimfavorit waren. Dann kam noch der Platzverweis dazu, und am Schluss hatten sie gegen die Ungarn 0:2 verloren. Ausgerechnet gegen die Ungarn! Aber noch ist nichts verloren. Jetzt müssen sie eben die Portugiesen schlagen, die gegen Island auch keine Bäume ausgerissen haben.