Glaube, Liebe, Hoffnung (26): Bei Abpfiff Frieden?

Heute ist auch mit Wales Schluss, oder? - EM-Blog, Folge 26

„Às armas, às armas! … Zu den Waffen, zu den Waffen! Für das Vaterland kämpfen, … marschieren, marschieren!“

Portugiesische Nationalhymne

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Eine sonderbare Erinnerung: EM ’76, die erste an die ich mich überhaupt erinnern kann. Im Finale verschoss dann Hoeneß den Elfmeter für den amtierenden Weltmeister gegen die CSSR. 1976, 31 Jahre nach Kriegsende, „erst“, denkt man heute. Die EM lag mitten in den Ferien in einem der heißesten Sommer des Jahrhunderts, einer der schönsten Feriensommer in meinen Kindheitserinnerungen. Ich machte Ferien auf Amrum bei Freunden meiner Eltern mit deren Nichten, ich las Karl May, „Die Felsenburg“, die Antenne des Schwarzweißfernsehers in dem Ferienhaus auf den Dünen südlich von Wittdün war eine Katastrophe, man sah vom Halbfinale gegen die Jugoslawen mehr elektrisches Schneegestöber als das Spiel.

Der Empfang funktionierte nur halbwegs gut, das hatten die Gastgeber herausgefunden, wenn einer ein großes Metallgerät in der Hand hielt, die offenbar irgendeine Spannung ableitete, oder als Hilfsantenne funktionierte, weißgott warum – Physik war noch nie meine Stärke. Und  meine wirre Erinnerung an dieses Spiel ist dominiert von einem ostpreußischen Opa, dem alten Vater der Gastgeberin, der die ganze Zeit, also über 90 Minuten plus Verlängerung, den Spaten aufrecht in der Hand hielt, neben dem Fernseher stehend, von dessen Bild er kaum etwas sehen konnte. Er stand stramm, mit dem Spaten in der Hand. Was für Erinnerungen hatte er schon, und was für Körper vergraben mit den Spaten seines Lebens? Einer der jugoslawischen Spieler hieß Popivoda, was man als Kind noch lustiger fand, und spielte bei Eintracht Braunschweig.
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Portugal gegen Wales – welch‘ sonderbare Kombination für ein Halbfinale. Erst recht weil hier auch noch Cristiano Ronaldo gegen Gareth Bale antritt.

Die Portugiesen, so meinte sogar meine bald 80-jährige Mutter zu mir, „haben ja so schlecht gespielt, die haben noch kein Spiel gewonnen.“ Ich meinte zwar, dass ein Sieg in der Verlängerung natürlich auch ein Sieg ist, aber man kann das so sehen. Andererseits haben sie nun auch noch kein Spiel verloren, im Gegensatz zu Wales. Portugal wird es Wales nicht so leicht machen wie Belgien mit seiner blinden Offensive. Gut möglich, dass sich die Waliser an den Portugiesen totlaufen. Da die Waliser aber kräftig und zäh sind, also lange brauchen, bis sie ermatten, tippe ich aber auf Verlängerung, und dann ein 1:0 für Portugal. Denn die Naturgesetze setzen sich am Ende auch im Fußball durch. Und diese EM zeigt eher das Schlechte im Fußball, nicht das Schöne.
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Mit einem Bilderstrom geht es los: Krieg und Friedensdemo, Dynamik, Coolness. „Bei Abpfiff Frieden“, der seit einer Woche im Kino läuft, ist nicht nur ein Fußball-Film, sondern auch eine ziemlich gute Fake-Doku. Im Zentrum steht ein Fußballspiel zwischen Israel und Palästina, dessen Ausgang den Nahost-Konflikt entscheiden soll. „Was wir mit Reden, Steinen Gewehren nicht erreichen konnten…“, „Das wird das Camp David des Fußballs…“

Eine Politsatire also. Im Zentrum stehen die beiden Verbandsfunktionäre und der deutsche (!) Trainer der Israelis (Detlev Buck), der nur mäßig interessiert ist, aber einen Crash-Kurs in jüdischer Geschichte verabreicht bekommt.

Einig sind sich alle in der Romantik der Straßenkids, die einfach Fußball spielen jenseits von Politik. Und so ist dieser Film nett und nachdenklich, aber er stößt mit der Zeit auch an deutliche Grenzen.
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Bereits zu Beginn der EM kam die Nachricht, dass die DFL für den Neuverkauf der Bundesliga-Rechte ab 2017 4,64 Milliarden Euro einnimmt. Ein Wahnsinn! Das entspricht einer Steigerung von 85 Prozent gegenüber der laufenden Vergabeperiode von 2013/14 bis 2016/17, in der insgesamt 2,51 Milliarden Euro unter den 36 Profivereinen verteilt wurden. Die durchschnittlichen Jahreseinnahmen steigen von 628 Millionen Euro auf 1,159 Milliarden Euro. „Das Ausschreibungsergebnis ist ein wichtiger Schritt mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit des deutschen Spitzenfußballs. Die Bundesliga hat nun beste Voraussetzungen, weiterhin zu den drei umsatzstärksten Fußball-Ligen der Welt zu gehören und damit Spitzensport auf höchstem Niveau zu präsentieren“, kommentierte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert das Rekordergebnis.

Weiterhin hat Sky die Mehrzahl der Übertragungsrechte für die Bundesliga-Spiele. Alle Samstag- und Sonntag-Spiele überträgt der Pay-TV-Sender. Daneben Eurosport, die alle Freitagsspiele und die neu eingeführten Partien am Montag übertragen. Die üblichen „Sportschau“ und „Das aktuelle Sportstudio“ bleiben natürlich erhalten.
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Für die Auszeichnung „Fußballbuch des Jahres“ wurde der Roman „Ruhm und Ruin“von Imran Ayata nominiert. Die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur verleiht diese Auszeichnung im Rahmen des Deutschen Fußball-Kulturpreises zum 11. Mal, sie ist mit 5.000 € dotiert.

In „Ruhm und Ruin“ erzählt Ayata davon, dass Fußball das Leben ist – für Spieler, Schiedsrichter, gescheiterte Jahrhunderttalente, aktive Ehrenamtliche im Verein und einen ganzen Stadtteil. Im Zentrum des Romans steht ein türkischer, ehemals ziemlich erfolgreicher Kiezklub. Er verkörpert die Hoffnung (oder gar Utopie) der Migranten auf ein besseres Leben in einer urdeutschen Domain: dem Vereinswesen. Doch zwischen politischen Ansprüchen, dem Profifußball und den Ambitionen Einzelner werden viele Hoffnungen und Träume zerstört.

Elf Menschen erzählen ihre Geschichte: vom Aufstieg und Niedergang des Vereins, von dessen Instrumentalisierung durch Politik und DFB, Rassismus auf dem Spielfeld, internen Machtkämpfen, scheinbar generösen Förderern, aber auch von Sehnsüchten und Ängsten, Fremdheit und Vorurteilen, Familie und Freundschaft. Eine Innenansicht aus dem Mikrokosmos Verein – pointiert und mitreißend geschrieben.

Der Roman basiert auf dem Theaterstück „Liga der Verdammten“, das Imran Ayata zusammen mit dem Regisseur Neco Çelik 2013 im Berliner Ballhaus Naunynstraße auf die Bühne brachte.

Dieser Roman über Kicker, Krisen und Kulturkämpfe ist ein „Deutschland trifft auf Deutschland“-Spiel. In Ayatas „Multi-Kulti-Kiez-Klub“ entdeckt man den Mikrokosmos unserer bunten Gesellschaft ziemlich konkret.
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Das Genre des Fußballbuchs ist relativ jung. Bis tief in die 90er Jahre hinein dominierten mit Ausnahmen großformatige Bildbände zu den wichtigen Turnieren und Einzelbiographien die einschlägigen Verlagsprogramme. Damit hatte es ein Ende, spätestens seit dem überwältigenden Erfolg von Nick Hornbys „Fever Pitch“, als sich eine Generation junger Autoren aufmachte, Fußball nicht nur plastisch zu beschreiben sondern als das wahrzunehmen, was er im Grunde eigentlich ist: Ein Massenphänomen, das einen immensen gesellschaftlichen Einfluss ausübt.

Dieser Entwicklung trägt die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur seit 2006 Rechnung. Mit der Auszeichnung zum „Fußballbuch des Jahres“ zeichnet sie literarische Werke aus, die den Fußball auf eine besondere Weise präsentieren und dabei dem Leser eine neue Perspektive von der Sportart bieten. Der Autor des Siegerbuches erhält neben dem Max ein Preisgeld von 5.000 €

Über die Auszeichnung wacht und entscheidet eine zwölfköpfige Jury mit FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube und der ehemaligen Fußball-Nationalspielerin Katja Kraus an der Spitze.

Informationen zur Jury und den Nominierten finden sich übrigens hier.
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Morgen dann Deutschland gegen Frankreich. Das zweite Halbfinale wirft seine Schatten voraus: Ob Löw sich wohl traut auf Emre Can oder Julian Weigl einzusetzen? Schön wärs. Ich tippe mal, dass Weigl gegen Frankreich beginnen wird.
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Ein etwas merkwürdiger Vorschlag kommt zu guter Letzt jetzt noch vom Berliner Filmregisseur Dietrich Brüggemann („Drei Zimmer, Küche, Bad“; „Heil“). Ich teile ihn nicht, will dies aber trotzdem weiterleiten: „machen wir es kurz: Fußball ist wirklich total toll, aber es geht auch ohne“, mailt Brüggemann und schließt sich einer Initiative von Bernd Reinink an: „lassen wir die beiden Halbfinales diesen Mittwoch und Donnerstag links liegen und begeben uns stattdessen ins gesellschaftliche Abseits.“ Die EM-Alternative sei zumindest in Berlin die Filmvorführungen von „Dillinger ist tot“ (von Marco Ferreri, Italien 1968) am Mittwoch, 6.7. und „Themroc“ (von Claude Faraldo, Frankreich 1973) am Donnerstag 7.7. Die Filme laufen parallel zum Anpfiff an 21 Uhr im „Autoteile“ (Yorckstraße 70).

Weiter kommentiert der Filmemacher: „Man muß das übrigens gar nicht so hoch hängen (korrupter Fifa-Scheißverein / patriotische Fähnchenmonokultur / Prügelorgien und Sponsorenhorror / etcetera). Das ist verschwendete Schimpf-Energie. Uns ist das einfach alles nur egal. Wer mit diesen Gefühlen etwas anfangen kann, möge vorbeikommen. Laßt uns aus umfassender Indifferenz und Wurschtigkeit eine neue, aufregende Energie erschaffen.“

Mal sehen…

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