Glaube, Liebe, Hoffnung (12): Die deutsche Elf muss Nordirland weghauen – und zwar klar
Merkelfußball: Ist Jogi Löw die Mutti des Fußballs? Die deutsche Mannschaft vor dem dritten Gruppenspiel gegen Nordirland - EM-Blog, Folge 12
Fascht no‘ g’fährlicher als die Uh-krah-iiiine!
Jetzt warnt Jogi Löw schon vor Nordirland. Wo sind wir denn? Dies ist die deutsche Nationalmannschaft. Die erfolgreichste Mannschaft aller Europameisterschaftsturniere. Der Weltmeister. Die deutsche Nationalmannschaft muss den Anspruch haben, ihre Spiele zu dominieren, ihrem Gegner – egal wer es nun ist, aber ganz bestimmt Nordirland – ihr Spiel aufzuzwingen, Chancen über Chancen herauszuspielen, so wie England gegen die Slowakei, auch wenn es dann nicht geklappt hat, so wie England in der zweiten Halbzeit gegen Wales, so wie die Spanier in beiden Spielen. Das ist die Aufgabe.
Die deutsche Nationalmannschaft darf keine Angst vor Nordirland haben. Sie muss die weghauen und zwar klar.
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Derzeit aber spielt das DFB-Team unter Jogi Löw Merkelfußball, Leistungssport als Physik des feinen Austarierens und Stellschrauben-verdrehens, Fußball als Geschäft einer schwäbischen Hausfrau, für die Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist. Jogi Löw ist die Mutti des europäischen Fußballs.
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Tja, aber was soll denn sonst man zu dieser deutschen Mannschaft sagen? Beide bisherigen Spiele der Deutschen waren nicht schön. Es war zwar kein Rumpelfußball alter Couleur, aber es lief auch nichts rund. Die Abwehr brachte nichts nach vorn, die Offensivspieler schwächelten in der Verteidigung. Sichtbar faltete Jerome Boateng, der sich gerade zu einem neuen Führungsspieler mausert, während des Polen-Spiels Schürrle und Müller zusammen, weil die entweder zu wenig mitarbeiteten (Schürrle) oder beim Mitarbeiten Fehler in Serie produzierten, unnötige Freistöße und Ballverluste (Müller).
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Nach der Enttäuschung des 0:0 gegen Polen wurde viel debattiert. Die einen argumentieren, es sei wieder typisch deutsch schwarzzumalen. Andererseits wirken viele Aussagen, als seien die Deutschen auch Weltmeister im Schönfärben.
Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben: Das deutsche Team hat in beiden Spielen den Sieg nur mit Riesenglück errungen. Gegen die Ukraine gewann man mit 2:0, aber das hat auch Nordirland geschafft. Ein Unentschieden wäre nicht unverdient gewesen, in der letzten Viertelstunde der ersten Halbzeit hat Deutschland die Kontrolle verloren, wie lange nicht mehr, und nur durch Glück, Boateng und Neuer gab es keinen Gegentreffer. Und gegen Polen hätte man gut verlieren können. Die DFB-Elf steht nicht gut in der Abwehr, und ist kaum in der Lage, Torchancen aus dem Spiel zu entwickeln.
Jetzt spätestens rächt es sich, dass Löw keinen weiteren Stürmer mitgenommen hat. Denn Mesut Özil ist eine großartige Offensivkraft im Mittelfeld, immerhin der Spieler mit den meisten Vorlagen in der Premier League. Sein Problem bei dieser EM ist: Die deutsche Mannschaft hat keine Stürmer, die diese Vorlagen annehmen und möglicherweise verwandeln können.
Oder Hector: Hector hatte im Polenspiel die meisten Ballkontakte aller Deutschen, er kam immer wieder auch über Flügel – nur: Da steht dann keiner, der den Ball aufs Tor schießen könnte. Schürrle ist sowieso ein einziger Irrtum, Götze als Ersatzstürmer falsch eingesetzt, Müller gerade außer Form. Was bleibt ist noch Draxler: Dieses ewige Talent wird aber nie ein Leader. Jeder weiß, nicht zuletzt er selbst, dass er sowieso nur davon profitiert, dass Reus nicht dabei ist. Draxler kann kein Spiel herumreißen, er ist ein schüchternes verhaltenes Bürschchen, das Zweikämpfe nur von der Playstation kennt.
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Alle Beobachter des deutschen Spiels sehen: Da stimmt irgendwas nicht. Deutlich ist spätestens jetzt, dass sich seit der WM mehr als ein Hauch von Selbstgefälligkeit auch in das Verhalten des Bundestrainers eingeschlichen hat. Hieß es früher immer „wir alle müssen uns weiterentwickeln, … wir müssen ein paar Dinge einfließen lassen, die uns neue Impulse geben können, …wir dürfen keinen Stillstand haben wir müssen uns auch wieder neu erfinden“, so ist seit 2014 der alte Adenauer-Slogan „Keine Experimente“ Trumpf. Seit 2014 hat Löw zwar Lahm, Mertesacker und Klose durch Rücktritte verloren, aber nur sechs Neulinge ins Nationalteam integriert – zu einem Umbruch ist es nicht gekommen. Besonders schmerzhaft vermisst man – auch im Vergleich mit anderen Teams, den Spaniern, den Engländern oder selbst den Belgiern und den Franzosen – das Fehlen von guten Außenverteidigern mit Offensivqualität. Hector hat dies noch am ehesten, aber Schmelzer hätte man, das zeigt der Verlauf der ersten beiden Spiele, schon aufgrund seiner kämpferischen Qualitäten mitnehmen müssen. Bei der deutschen Mannschaft kommt gar nichts über Außen, auch weil die Auswahl potentieller Spieler nicht da ist. Aber auch aus Saturiertheit. Deutschland spielt bei der EM im Wesentlichen mit der WM-Mannschaft.
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Aber jede Mannschaft braucht immerfort neue Impulse. Die gibt es so wenig wie Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft. Alte Verdienste allein schaffen Respekt, aber keine Resultate. Man wünschte sich, die Deutschen würden mehr Risiko gehen, sie würden in der Abwehr mit einer Dreierkette spielen. Man wünschte sich, Löw würde einige der „jungen Wilden“, Weigl, Sané und meinetwegen Kimmich einsetzen, die er jetzt mitgenommen hat.
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Andere können es ja auch: Spanien, England und auch Belgien in der zweiten Halbzeit gegen Irland haben gezeigt, wie moderner Fußball funktioniert: Als Kombinationsfußball durch Variablen und über die Flügel. Warum können die Spanier das und wir nicht?
Klar ist eines: Es gibt immer Europameister der Vorrunde, die dann sang- und klanglos ausscheiden. So wie die Holländer vor acht Jahren. Aber es gibt auch Teams, die mit Vorschußlorbeeren starten und dann nie in einem Turnier ankommen. Es gibt kein Abonnement aufs Halbfinale.