Glass Animals: Der Tipsy-Topsy-Sound der Stunde
So kann Musik 2016 klingen: Der Sound pulsiert zwischen Indierock und Electro; das psychedelische Gebimmel und Geblubber wird geerdet durch tropische Trommeln, den Groove des R&B und die Herzklopfigkeit von TripHop.
Mutti war nicht begeistert. Der Sohn schmiss das Medizinstudium in Oxford hin, um mit seinen Kumpels eine Band zu gründen, obwohl sie vom Musizieren keinen Schimmer hatten. Dave Bayley, Sänger und Kreativkopf der Glass Animals, hält inne. Ein wunder Punkt? Er lacht. „Seine Mutter ist nun unser größter Fan“, sagt Schlagzeuger Joe Seaward. „Manchmal ruft sie an und fragt: ‚Was gibt’s Neues, Junge, was hab ich da auf Twitter gelesen?‘“
Die vier Twentysomethings sitzen mit studentischer Fluffigkeit in Jeans und T-Shirt da und bilden sich so gar nichts darauf ein, vor zwei Jahren mit ihrem von Studiocrack Paul Epworth (U2, Coldplay) höchstpersönlich produzierten Debütalbum, „Zaba“, Musikkritiker entzückt und 130 Konzerte gegeben zu haben.Songwriting gegen die Schlaflosigkeit
Weil Bayley während seines Studiums an Schlaflosigkeit litt, tüftelte er nachts an Sounddesigns. Aus einer Bierlaune heraus zeigte er seinen Schulfreunden Seaward, Drew MacFarlane und Edmund Irwin-Singer zwei Songs, die er geschrieben hatte, und schlug vor, eine Band zu gründen. „Wir hatten keine Ahnung, wie irgendetwas geht“, sagt Seaward – und fügt mit unernstem Ernst hinzu: „Haben wir noch immer nicht.“ Das kann nur britischer Humor oder maßloses Understatement sein, denn mit „Zaba“ legten sie ein makelloses Debüt hin, dessen einzige Schwäche ist, dass es zu makellos erscheint. Ihre Beflissenheit war Überkompensation: „Weil anfangs niemand von uns ein Instrument spielen konnte, wollten wir uns bloß keinen Fehler erlauben“, erklärt Seaward.
In Anbetracht dessen ist erstaunlich, wie leger „Zaba“ daherkam: Der Sound pulsiert zwischen Indierock und Electro; das psychedelische Gebimmel und Geblubber wird geerdet durch tropische Trommeln, den Groove des R&B und die Herzklopfigkeit von TripHop. Bayleys hauchige Stimme fügt sich in das Mosaik des Arrangements. Wenn dem Mastermind ein Klang im Kopf vorschwebt, werkelt er so lange, bis er ihn reproduziert hat. Da kann es schon mal sein, dass er sein Kaninchen Xaver an einem Mikrofon knabbern lässt, das Klatschen von Backpfeifen aufnimmt oder das Glucksen von Wasser in einem hin und her geschwenkten Topf.
Ähnlich exotisch sind die Texte: voller Metaphern wie „peanut butter vibes“, Neologoismen wie „Intruxx“ und Lautspielereien wie „tipsy topsy slurs“. Das erinnert an die Dada-Sprache von alt‑J, mit denen die Glass Animals bisweilen aus Verlegenheit verglichen werden, vielleicht auch weil beiden Bands eigen ist, dass man ihre Musik schwer beschreiben kann. Die Männer sind amüsiert, wenn man es mit „mysteriös“ oder „lüstern“ versucht: „Es war niemals unsere Absicht, sexy zu klingen!“ Nun, zu diesem Eindruck hat sicherlich das erotische Video zu ihrem Hit „Gooey“ beigetragen. Dort ist Speichel das Lebenselixier, er fließt ins Ohr, tropft von Zunge zu Zunge. Und auch in ihren anderen Clips wird viel geschwitzt und wenig getragen. Passend zu dieser schwülen Stimmung erscheint ihr neues Album, „How To Be A Human Being“, im ausgehenden Sommer.Menschenkunde auf dem neuen Album
Sang Bayley auf „Zaba“ noch frei assoziierend von Ananas, hausgemachtem Parfüm oder einer Gebärmutter, wendet er sich beim Nachfolger deutlicher dem Storytelling zu. „Jeder Song erzählt die Geschichte einer Figur irgendwo auf der Welt. Sie sind völlig unterschiedlich, sind aber durch ähnliche Gefühle verbunden“, erklärt Bayley.
Auf ihren ausgedehnten Tourneen betrieb Bayley Feldforschung und zeichnete heimlich Begegnungen mit anderen Menschen auf. „Wir haben jeden Tag hundert Leute kennengelernt. Menschen erzählen einem bizarres Zeug, wenn sie denken, dass man sich nie wiedersieht.“ Inspiriert von diesen Anekdoten verfolgten die Glass Animals ein anspruchsvolles Konzept: Sie wollten auf ihrem zweiten Werk nicht weniger als das Wesen des Menschen ergründen. Keine Phantasmen mehr, sondern nackte Realität.
Entsprechend organischer, wuchtiger, greifbarer klingt „How To Be A Human Being“. Klang und Ästhetik gehen dabei abermals Hand in Hand: Sah das Dschungel-Artwork von „Zaba“ noch aus, als hätte Paul Gauguin eine Illustration für einen Roman von W. Somerset Maugham gestaltet, haben sich auf dem neuen Cover elf Charakterköpfe versammelt, um jedem der Protagonisten der Lieder ein Gesicht zu geben (oder einen hübschen Popo).
Und was macht es also aus, das Menschsein? Bayley überlegt. „Allen Geschichten liegt eine tiefe Traurigkeit zugrunde. Menschen überdecken das, indem sie auf eine lustige oder schnoddrige Art erzählen“, sagt er. „Und trotz dieser Traurigkeit gibt es so viel Güte.“ Menschenkunde scheint schwieriger zu sein als ein Medizinstudium.