Gib Frieden, Palästina!
Kann sich einer von euch Friedensfreunden noch erinnern, wie vor ein paar Jahren in den israelischen Innenstädten palästinensische Selbstmordattentäter auftauchten, die keine Islamisten waren, sondern Mitglieder der weltlichen Fatah? Und wie zuerst keiner verstand, was das sollte? Die Erklärung gaben die Bosse der Al-Aksa-Brigaden, die ihre Befehle direkt von Jassir Arafat bekamen, bald selbst. Sie sagten, keiner mag uns noch in Gaza und in der Westbank, die Hamas und ihre Amokläufe sind so populär wie deutsche Pornos, aber wenn wir auch ein bisschen eigenes und sehr viel jüdisches Blut verspritzen, festigen wir unsere Macht. Genauso hätten sie sagen können: Gewalt ist bei unseren Leuten sexy.
Ohne Gewalt versuchten es aber lange die Leute vom „Free Gaza Movement“, die seit 2007 immer wieder ihre Schiffe in Richtung Hamastan schickten. Manche kamen durch, manche wurden von freundlichen jungen Israelis in Olivgrün aufgehalten, und der Kampf gegen die Gaza-Blockade und für ein ju-denreines Palästina stagnierte. Dann gab es Ende Mai endlich ein kleines Massaker auf einem der Gaza-Boote, von türkischen Feierabend-Hamasniks unter den Passagieren provoziert, und schon war wieder Party auf den staubigen Straßen von Gaza-City und vor den israelischen Botschaften in der ganzen Welt. Der große, traurige David Grossman, der nicht nur weiß, worüber er spricht, sondern es auch fühlt, weil sein Sohn im Libanon fiel, sagte kurz danach: „Der Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt, der Kreislauf von Hass und Rache ist in eine neue Runde getreten.“
Wie lächerlich und unintelligent kann man sein! Denken die radikalen und gemäßigten, die atheistischen und die islamistischen Ur-Palästinenser, dass sie mit Bombengürteln, Raketen und Küchenmessern wirklich die Israelis dazu bringen werden, das Projekt „Altneuland“ zu beenden und wieder in die jüdischen Viertel von Prag, Minsk und New York zurückzuziehen? Ja, sie denken es, denn sie denken auch, dasselbe Spiel hätten schon ihre Vorfahren mit den christlichen Kreuzfahrern gespielt, bis die wieder abzogen. Und was denken die Israelis? Wenn Gewalt gegen unsere Feinde nicht hilft, dann müssen wir eben noch mehr Gewalt einsetzen, und das hat bis jetzt immer funktioniert. Schlecht war es nur für ihre Psyche, aber wo, wenn nicht in Haifa und Tel Aviv, gibt es die besten Therapeuten der Welt?
Wer von euch Friedensfreunden noch immer nicht verstanden hat, warum Hamas & Co jeden Kompromiss schreiend ablehnen, hat jetzt hoffentlich keine Fragen mehr. Oder doch? Als Arafat, der permanente Guerilla, 2000 in Camp David einen eigenen Staat haben konnte, und zwar genau dort, wo Israel seit 1967 die Palästinenser unterdrückt, entmündigt, nervt, sagte er lieber nein, weil nach einem solchen Friedensvertrag immer noch der halbe Nahe Osten von sechs Millionen Juden bevölkert wäre. Und dass es im unbesetzten Gaza bis heute keine Freie Palästinensische Republik mit guten Schulen, klugen Ministern und anständigen Bars gibt, liegt daran, dass die Islamisten-Junta, statt einen Staat aufzubauen, lieber ihren Traum von der Vernichtung Israels träumt und aus Moscheen und Krankenhäusern Aschdod beschießen lässt, um die höflichen jungen Israelis in Olivgrün immer aggressiver zu machen. Kurzum, Hamas & Co sind nicht lächerlich oder unintelligent, sie wissen, was sie tun. Dumm sind die deutschen, amerikanischen und jüdischen Friedensfreunde, die den Izzys sagen, sie sollten mit den Palis verhandeln, damit die endlich bekommen, was sie wollen. Gerne, super, klar, aber dürfen wir diesmal unser iPhone nach Auschwitz mitnehmen?
Würden die Palästinenser wirklich nichts anderes als Frieden und staatliche Selbstbestimmung wollen, würde alles natürlich wahnsinnig einfach sein. Sie, und niemand anders, müssten endlich damit anfangen, den Frieden zu lieben und den Krieg zu hassen, wie Gandhi, wie Martin Luther King, wie ich. Friedlicher, stoischer, fast schon buddhistischer Protest, ohne einen einzigen geworfenen Stein, würde ihre israelischen Gegner vollkommen ratlos und wehrlos machen. Er würde aber auch, je größer die Erfolge der palästinensischen Pazifisten werden würden, die palästinensische Gesellschaft befrieden und zivilisieren, und dann könnten Herzls dekadente, erschöpfte Enkel endlich mit ihnen verhandeln und ihren Versprechungen vertrauen. Und vor allem: Pazifist zu sein würde das neue tolle Ding werden in Palästina! Nichts wäre so sexy, wie mit seinem Körper eine Siedlerstraße in der Westbank zu blockieren und vor laufenden CNN-Kameras weggetragen zu werden, und später würde sich dieses Körpers eine hübsche, kluge Kunstgeschichtsstudentin aus Birzeit annehmen, die bestimmt mehr kann als eine Jungfrau im Jenseits.
Bevor ich es vergesse, Friedensfreunde: Einige Palästinenser lieben den Frieden bereits sehr und demonstrieren jeden Freitag ungewöhnlich zivilisiert vor dem schrecklichen, genialen Westbankzaun. Sie nennen es „Weiße Intifada“, und das klingt schon mal sehr schön und poetisch. Leider sind es bis jetzt immer nur ein paar Hundert. Und leider besteht ei-ne andere Weiße-Intifada-Aktion aus dem Boykott jüdischer Waren, die aus den Siedlungen von Judäa und Samaria stammen, und dass der PA-Premier Salam Fayyad verspricht, sein Land bald ganz von ihnen „zu reinigen“, und öffentlich konfiszierte jüdische Melonen und Marshmallows verbrennt, klingt gar nicht poetisch, sondern eher nach eine kleinen hübschen Nazi-Aktion.
Ich habe trotzdem einen Traum – dass es bald, sehr bald, Frieden geben wird im Nahen Osten, der Welt geschenkt von den guten Menschen von Gaza, Ramallah und Hebron.
Maxim Biller ist Schriftsteller in Berlin und schreibt ab sofort unregelmäßig im Rolling Stone. Zuletzt erschien sein Buch „Der gebrauchte Jude“.