Gesprengte Grenzen
Eine Ausstellung, Konzerte, ein neues Album - im 28. Karriere-Jahr sind Sonic Youth aktiver denn je.
Thurston Moore schiebt das „Autobahn“-Buch, den „Vanity Fair Portraits“-Wälzer und einen Oberammergau-Bildband zur Seite — um dann in einem weiteren Bücherstapel nach Brauchbarem zu stöbern. „Alles langweiliges Zeug“, nölt er. Eben noch hat er behauptet, dass er in Museen stets etwas mitgehen lässt. Aber heute findet sich nichts, das zu klauen sich lohnt.
Wir sind im Büro von Thomas Weski. Der stellvertretende Direktor am „Haus der Kunst“ in München hat es uns leichtfertig für ein Interview überlassen. Während sich Moore an den Regalen zu schaffen macht und —Gott sei dank!— wenigstens den Tresorschrank in der Ecke in Ruhe lässt, hat Lee Ranaldo längst artig am Schreibtisch Platz genommen. „Thurston, du warst schon mal hier, oder?, fragt er.
„Um was denn zu machen?“, murmelt Moore. „Na, um dir irgendeine Ausstellung anzuschauen!“ „Ach so“, sagt dieser und kramt mürrisch weiter, „kann schon sein.“
Das geht ja gut los. Eine Dreiviertelstunde haben wir Zeit, um über das neue Sonic Youth-Album „The Eternal“zu sprechen. Dann muss die Band auf die Bühne.
Interaktiv: Vinyl-Schallplatten, besonders jene aus zweiter Hand, sind das bevorzugte Material des Performance-Künstlers Christian Marclay. Seine Installation „Untitled“ durften die Besucher der Sonic Youth-Ausstellung gewissermaßen „mit den Füßen treten“.
Dass die New Yorker heute ausgerechnet im „Haus der Kunst“ auftreten, ist natürlich kein Zufall. Findet doch dort zurzeit eine Ausstellung mit abstrakten Malereien Gerhard Richters statt. Dessen Ölgemälde „Kerze“ aus dem Jahr 1983 hatten sich Sonic Youth bekanntlich 1988 für das Cover ihres Experimentalrock-Meisterwerks „Daydream Nation“ ausgesucht.
Nicht nur mit ihren Coverdesigns haben Sonic Youth stets Pop- und Kunstdiskurs vermischt. Die Musiker fühlen sich nach wie vor der bevorzugt multidisziplinär arbeitenden alternativen Kulturszene New Yorks verpflichtet (siehe Kasten). Und während der Bandgründer, Sänger und Gitarrist Moore in den Anfangsjahren der Band in Küchen und Copyshops jobbte, arbeitete Gitarrist Ranaldo nebenher als Assistent des Bildhauers David Klass, der immer noch in der 24. Straße in Manhattan sein Atelier hat. „Ich hatte damals nicht den Eindruck, dass ich die Kunst aufgebe, als ich bei Sonic Youth angefangen habe“, erinnert sich Ranaldo, „auch wenn viele zunächst nicht begreifen wollten, dass ein Künstler auch jemand sein kann, der sich eine Gitarre umhängt. Aber genau darum ging es uns damals, und darum geht es uns immer noch: Wir sind Künstler, die einen Großteil ihrer Kunst in Form von Musik machen.“
Denn Sonic Youth ist kein Vollzeitjob für Lee Ranaldo (53), Thurston Moore (50) und Kim Gordon (56). War es eigentlich nie: „Wir arbeiten inzwischen projektorientiert“, sagt Moore. „Nehmen uns Zeit, um nebenher in anderen Musikprojekten zu arbeiten, aber auch um als Künstler zu arbeiten oder Bücher zu schreiben.“ Und Ranaldo ergänzt: „Es gab mal eine Zeit, in der es sich toll angefühlt hat, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche Sonic Youth zu sein. Inzwischen fühlt es sich besser an, immer mal wieder der Band zu entfliehen.“
Nicht so heute Abend. „Es ist eine nette Abwechslung, mal in einem richtigen Museum zu spielen“, sagt Moore beim Stöbern in den Regalen. „Irgendwie anders als in Clubs, in denen dich die Leute zuqualmen oder Würstchen nach dir werfen.“ Die vielfältigen künstlerischen Tätigkeiten der Musiker finden sonst nach wie vor eher abseits des musealen Kunstbetriebs statt, und Moore hofft, dass sich neben Sonic-Youth-Fans auch ein paar echte Kunstliebhaber den Auftritt anschauen werden. Das Konzert ist aber längst ausverkauft. Und zwar überwiegend mit den üblichen Verdächtigen, die sich bereits Stunden vor Konzertbeginn im Marmorfoyer des Museums drängen und deren T-Shirts die Bandgeschichte anhand von „Confusion Is Sex“-, „Goo“oder „Washing Machine“-Aufdrucken nacherzählen.
Als uns die nette Pressefrau vom „Haus der Kunst“ das Büro aufgeschlossen hat, gab sie sich dennoch unbeeindruckt: „Sie hätten mal bei Gerhard Richters Pressekonferenz hier sein sollen, da war mindestens genauso viel los“, behauptete sie trotzig. Viele der Künstler, deren Arbeiten man ausstelle, seien ja selbst so etwas wie Popstars.
Das könnte mit einigem Recht auch ihr Kollege von der „Kunsthalle“ in Düsseldorf behaupten. Und die Fans, die sich einen Tag nach dem Münchner Konzert nicht nur den Auftritt von Sonic Youth im Düsseldorfer „3001“ anschauen, sondern auch die Ausstellung „Sonic Youth -Sensational Fix“ besuchen, die einige Wochen später nach Malmö wandern wird, bekommen gleich doppelt vorgeführt, wie laut moderne Kunst sein kann.
Aufs Krachmachen verstehen sich Sonic Youth 28 Jahre nach Bandgründung immer noch ausgezeichnet. Moore und Ranaldo werden bei dem Konzert ihre umgestimmten Gitarren mal mit Geigenbögen, mal mit Drumsticks bearbeiten, sie seufzen, aufjaulen, dröhnen lassen, den Zuhörern pfeifende Rückkopplungen und scheppernde Akkorde um die Ohren hauen. Kim Gordon wird kreischen, nölen und sich selbstvergessen im Kreis drehen, während Schlagzeuger Steve Shelley und Bassist Mark Ibold dafür sorgen werden, dass trotz kunstvoll lärmender Dekonstruktion die Songs nie auseinanderbrechen.
Der Ex-Pavement-Bassist Ibold ist nun fünftes Sonic Youth-Mitglied. Sonst ist eigentlich alles wie gehabt: „Thurston bringt in der Regel weiterhin die Songskizzen mit, an denen wir dann arbeiten“, sagt Ranaldo. „Das Einzige, was sich im Lauf der Jahre geändert hat, ist, dass wir gelernt haben, schneller zu arbeiten. Früher brauchten wir mitunter Monate, um einen Song fertig zu bekommen. So etwas lassen wir heute kaum mehr zu. Vielleicht haben die neuen Lieder deshalb klarer definierte Strukturen, sind nicht mehr ganz so experimentell.“
Moore überfliegt derweil weiterhin Fotobände und Ausstellungskataloge und führt damit nebenbei vor, was er unter kreativem Arbeiten versteht: „Ideen für einen Sonic Youth-Song können einen an jedem Ort überraschen“, sagt Moore. „Manchmal sind es zum Beispiel Menschen, die für etwas stehen, das größer als sie selbst ist.“ Eine der Inspirationen für das polternd das neue Album eröffnende „Sacred Trickster“ war die Kunst Yves Kleins. Und bei „Malibu Gas Station“ ein Schnappschuss, der Lindsay Lohan (oder war es Britney Spears?) beim Aussteigen aus ihrem SUV ohne Unterwäsche zeigt. ,Anti-Orgasm“ schließlich ist eine Ode auf Uschi Obermaier und die Kommune I allerdings gefiltert durch die Betrachtung des Films „Das wilde Leben“ mit Natalie Avelon: „Ich fand die Szene witzig, in der einer der Radikalen beim Sex versagt und ein Freund dann behauptet, daran sei der politische Radikalismus schuld, weil der ein Anti-Orgasmus sei“, sagt Moore. „Der Song ist eine lustige Nummer, aber musikalisch ziemlich schwer. Den müssen wir noch eine Weile üben, bevor wir ihn live spielen können.“
In Düsseldorf werden Sonic Youth immerhin fünf neue Songs intonieren: Neben „Antenna“, „No Way“, „Secret Trickster“ und „Calming The Snake“ auch“.What We Know“, das Ranaldo singt und als lyrisches Tryptichon versteht: Jede Strophe übernimmt eine andere Perspektive: ,What we know about you/ What we know about me/ What we know about us.‘ Und alle zusammen ergänzen sich zu einer Beziehungsstudie.“
Ins Live-Repertoire hat es dagegen die „Oops! No underwear!“-Nummer „Mailbu Gas Station“ noch nicht geschafft, die mit ihren vielschichtigen Gitarrentexturen eine der besten auf „The Eternal“ ist. „An dem Riff, auf dem das Lied beruht, habe ich schon seit Ewigkeiten rumgemacht, bin aber irgendwie nie weiter gekommen“, sagt Moore. „Der Songs ist dann wie die meisten auf der Platte erst im Studio fertig geworden“, erklärt Ranaldo, „mein Gitarrenpart ist zum Beispiel erst unmittelbar vor der Aufnahme entstanden.“
Wenn man Moore und Ranaldo so zuhört, wie sie in Herr Weskis Büro von schwierigen Bandproben, ihrem neuen Studio in Hoboken, Aufnahmetechniken und der Zusammenarbeit mit dem Produzenten John Agnello berichten, könnte man fast glauben, man habe es mit einer ordinären Rock’n’Roll-Combo zu tun und nicht mit den wohl einflussreichsten und stilprägendsten Avantgarde-Rockern überhaupt. „Wir halten uns tatsächlich eigentlich für eine ganz normale Rockband. Eine Rockband, die vielleicht ab und zu etwas ungewöhnliche Entscheidungen trifft“, sagt Ranaldo. „Und während das neue Album verrät, wo uns diese Entscheidungen aktuell hingeführt haben, zeigt die Sonic Youth-Ausstellung, wie wir an den Punkt gekommen sind, an dem wir heute stehen.“
Und weil es ein langer Weg dorthin war, überwältigt einen die Schau (die nach der Finnissage in Düsseldorf vom 29. Mai bis 20. September in der „Konsthall Malmö“ in Schweden und von Oktober ab im „Centro Huarte de Arte Contemoraneo“ im spanischen Navarra zu sehen sein wird) mit ihrer Materialfülle. Mit Videos, Plakaten, Objekten, Fotos, Installationen und vielem mehr erzählt die von dem Holländer Roland Groenenboom in Zusammenarbeit mit Sonic Youth entwickelte interaktive Ausstellung nicht nur die Geschichte der Band, sondern auch die des New Yorker Underground von den 1980er Jahren bis heute.
Immer wieder treten Sonic Youth-Mitglieder selbst in Erscheinung. Da gibt es Videoarbeiten von Ranaldo oder Collagen von Moore zu sehen. Gordon steuert zum Beispiel die Installation „Reverse Karaoke“ bei: Während ihre Stimme vom Band zu hören ist, werden Ausstellungsbesucher aufgefordert, dazu Schlagzeug, Gitarre oder Bass zu spielen und das Ergebnis als Song aufzunehmen. Dieses DIY-Projekt sowie die eine oder andere Klanginstallation sind zwar eher Gimmicks als ernstzunehmende Auseinandersetzung mit Kunst. Die Schau „Sonic Youth – Sensational Fix“ ist aber sowieso vor allem aus kulturgeschichtlicher Perspektive interessant: „Die Ausstellung zeigt die Geschichte der alternativen Szene aus unserem persönlichen Blickwinkel, zeigt, was wir interessant fanden und finden“, sagt Ranaldo. „Und sie führt sehr gut vor, für was die Band steht: Bei Sonic Youth und bei der Ausstellung gibt es keine zentrale Aussage, sondern es geht darum, möglichst viele verschiedene Aspekte einzubringen, die nur in ihrer Vielfalt Sinn ergeben.“
Christian Marclays Installation, die den Fußboden eines Raum mit Vinyl-Schallplatten zumüllt, Zeichnungen von Patti Smith, Fotografien von Richard Kern, Videoclips von Gus Van Sant, Foto-, Ton- und Filmarbeiten, die zum Beispiel einenden Ghettoslang imitierenden Thurston Moore durch Flohmärkte auf der Suche nach dem „HipHop-Rabbit“ begleiten, führen vieldeutig den Diskurs zwischen den Kunst- und Stilformen fort, den Sonic Youth im Jahr 1981 aufgenommen haben.
Auf einem der Videoschnipsel würde man bestimmt auch Chris Lombardi entdecken. „Der war damals in New York einer unserer ersten Unterstützer“, sagt Ranaldo. Dass Sonic Youth jetzt, nachdem ihr Vertrag mit Geffen Records nach i8Jahren auslief, zu Lombardis Indie-Label Matador gewechselt sind, ist daher nur konsequent. „Wir mögen die anderen Bands, die er unter Vertrag hat“, sagt Moore. „Und ich finde, dass da eine Art Begeisterung auf der Platte zu spüren ist, die etwas mit dem Wechsel zu tun haben könnte.“ Tatsächlich klingen Sonic Youth drei Jahre nach „Rather Ripped“ wieder mehr nach Sturm und Drang. „Dass wir etwas aufmüpfiger klingen, könnte auch daran liegen, dass wir zuletzt so viele Shows auf dem Programm hatten, bei denen wir das komplette ,Daydream Nation-Album gespielt haben“, sagt Ranaldo. „Wir versuchen aber auf keinen Fall, absichtlich jung zu klingen“ sagt Thurston, der sowieso findet, dass alte Menschen gewöhnlich viel cooler sind: „Schau dir doch William Burroughs an. Oder Yoko Ono. Cooler geht’s nicht. Ich glaube nicht, dass der Typ von Fall Out Boy nur halb so cool ist wie die“, sagt er —und gibt endlich auf, die Büroregale nach etwas Brauchbarem zu durchstöbern.