Gespräch mit Bill Murray: „Wie ist es, ich zu sein? Fragen Sie sich selbst!“
Als einer der beliebtesten Stars der Welt kann man sich fast alles rausnehmen. Wie ist das, wenn man solche Freiheiten hat?
2011 drehte Murray einen Werbeclip für die Trident Academy – einer seiner sechs Söhne (Murray war zweimal verheiratet) besuchte die unweit von Charleston gelegene Schule. David W. Smith führte bei dem Dreh Regie. „Als er kam, war er angespannt und ein wenig grantig“, berichtet Smith. „Er war etwa 30 Minuten zu spät dran und beschwerte sich über die vielen Scheinwerfer. Er hatte ein Skript, setzte sich aber in die Schulbücherei und improvisierte ein Gespräch mit einem Haufen Teddybären. Wir anderen sahen einander an und dachten, der Typ ist völlig durchgeknallt – aber der Wahnsinn hatte bei ihm Methode.“
Murray machte sich locker, indem er mit den Schülern Basketball spielte und zu Mittag aß (sein Menüwunsch: ein Thunfisch-Sandwich ohne Rinde), ihnen Autogramme gab und mit ihnen für Fotos posierte. „Als der Dreh weiterging“, erinnert sich Smith, „wurde er mehr und mehr zu dem Bill Murray, den jeder zu kennen glaubt und der, wie ich vermute, seinem wahren Ich wohl am nächsten kommt.“ Smith bat Murray, mit einigen Mitgliedern der Filmcrew den Flur entlangzulaufen, weil er einen kurzen Film daraus machen wollte. Murray zeigte sich verwirrt, willigte aber ein – nach dem „Cut!“ für die Kamera ging er einfach weiter zu seinem Auto, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Smith ließ die Bilder in Zeitlupe laufen, legte einen alten Kinks-Song darunter, und schon hatte er einen Bill-Murray-Kurzfilm, der wirkte wie ein Outtake aus einem Wes-Anderson-Streifen. Am Ende schauten rund zwei Millionen Menschen sich einen Film an, in dem Bill Murray und vier andere Typen in Zeitlupe einen Flur entlanglaufen. Smith hatte einen von Murrays Grundsätzen verinnerlicht: Akzeptiere die Welt nicht, wie sie ist, sondern finde einen Weg, noch ihre banalsten Momente mit Leben zu erfüllen. Ein weiterer wesentlicher Murray-Leitsatz: Wenn du mit deinen Weisheiten nicht inflationär um dich wirfst, haben sie mehr Gewicht. Auf beharrliche Nachfrage räumt Murray ein, dass seine öffentlichen Interaktionen mit der Allgemeinheit ein Stück weit „eigennützig“ seien. Murray rutscht unruhig auf dem Sofa hin und her und erklärt: „Ich erhoffe mir stets, dass es mich wachrüttelt. Manchmal bin ich nur ein paar Sekunden oder Minuten am Tag bei mir. Und plötzlich fällt mir auf: Heiliges Kanonenrohr, ich habe zwei ganze Tage verpennt; ich habe zwar Sachen gemacht, aber ich war gar nicht bei mir! Wenn ich jemanden sehe, dem es genauso geht, versuche ich diese Person wachzurütteln. Weil ich mir in so einer Situation wünschen würde, dass jemand für mich dasselbe täte: Mich verdammt noch mal zu wecken und auf diesen Planeten zurückzuholen.“
Während eines PR-Termins in einem Kino in Toronto wird Murray gefragt: „Wie ist es, Bill Murray zu sein?“ – und er nimmt diese Hyper-Meta-Frage so ernst, dass er das Publikum daraufhin auffordert, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie es sich anfühlt, sich seiner selbst bewusst zu sein: „Da ist so ein wundervolles Gefühl des Wohlbefindens, es zirkuliert … das Rückgrat entlang“, beschreibt er es. „Und man spürt etwas, das einen fast zum Lächeln bringt. Wie ist es also, ich zu sein? Fragen Sie sich selbst: ,Wie ist es, ich zu sein?‘ Die einzige Möglichkeit, je zu erfahren, wie es ist, Sie zu sein, ist die, Ihr Bestes zu geben, um so oft wie möglich Sie selbst zu sein, und sich immer wieder klarzumachen: Das ist mein Zuhause.“ Das Publikum applaudiert, Bill Murray lächelt unergründlich, allein in dem vollen Saal – zu Hause.