George Harrison – Das Licht kommt von Innen
Vor zehn Jahren starb George Harrison. Eine neue Dokumentation zeigt den Ex-Beatle nun als weisen Mann und passionierten Gärtner.
Nicht einmal zehn Jahre lagen zwischen dem ersten Beatles-Auftritt im Hamburger Indra (August 1960) und der offiziellen Trennung der Band im April 1970. Weitere zehn Jahre später starb John Lennon, doch selbst nach seinem Ableben wollten die Rufe nach einer Beatles-Reunion nicht verstummen – in den Neunzigern noch einmal befeuert durch die Tatsache, dass die drei verbliebenen Beatles gemeinsam an den „Anthology“-Alben arbeiteten. Als sich aber am 29. November 2001 auch George Harrison auf den Weg ins Nirvana machte, mochten nicht mal die weltfremdesten Fab-Four-Apologeten noch an ein Happy End glauben: Eine Reunion, auf Paul und Ringo reduziert, wäre wohl eher in einem deprimierenden Trauergottesdienst geendet.Lennon hatte seinen sardonischen Witz, McCartney den kumpelhaften Charme, Ringo seine entwaffnende Schnoddrigkeit, aber Harrison besaß etwas, das in einem Rockstar-Leben weitaus größeren Seltenheitswert hatte: den Habitus eines Mannes, der in all dem Wahnsinn nach einem tieferen Sinn suchte – und der gefestigt war in seinem Glauben, an einen glücklicheren Ort zu gelangen, wenn er sich erst einmal seiner irdischen Hülle entledigt hatte. Mit „All Things Must Pass“ – einem Song, den er schrieb, während die Beatles ihr späteres Abschieds-Album „Let It Be“ aufnahmen – hatte George Harrison bereits einen Fahrplan entworfen, wie er mit der Zukunft umzugehen gedachte.
Er mag der jüngste Beatle gewesen sein, aber seit seinen frühen Jahren war offenkundig, dass sich Harrison schon immer auf dem Weg zur melancholischen Altersweisheit seines späteren Lebens befunden hatte. Seit den Mitt-Sechzigern hatten praktisch alle seine Songs eine Neigung zum philosophischen Tiefgang: Die bewegenden Zeilen in so subtilen Songs wie „Something“, „Here Comes The Sun“ und „While My Guitar Gently Weeps“ sind nicht das Produkt eines selbstgefälligen Rockstars, dem die Welt zu Füßen liegt. Folglich war es auch keine Überraschung, dass Harrison auf das Ende der Beatles mit der Gelassenheit reagierte, die er im Studium östlicher Religionen gefunden hatte: „All things must pass“, sang er mit leichter Wehmut, „all things must pass away.“
Martin Scorsese versucht dem Geheimnis dieses weisen und zugleich wunderlichen, manchmal auch ungeheuer starrköpfigen Mannes, den sie die meiste Zeit seines Lebens „der stille Beatle“ nannten, in seiner Dokumentation „Living In The Material World“ auf die Spur zu kommen. Der Film lief Anfang Oktober im US-Fernsehen und erscheint im Dezember nun auch in Deutschland auf zwei DVDs.
Er habe nicht noch einmal die gesamte Beatles-Legende nacherzählen wollen, hat Scorsese in einem Interview erklärt. Trotzdem nimmt dieser Teil von Harrisons Leben naturgemäß weit mehr als die Hälfte von „Living In The Material World“ ein. Doch der Film bemüht sich um eine neue Perspektive: Die Musik, der Ruhm, die Drogen sind Teile eines großen, komplexen Puzzles, aus dem Scorsese die Persönlichkeit George Harrison zusammensetzt. Die Alben der Solojahre spielen kaum eine Rolle in diesem dreieinhalbstündigen Bewegtbild-Bildungsroman.
Paul McCartney erzählt, wie schon in der BBC-Dokumentation über Beatles-Manager Brian Epstein vor ein paar Jahren, ungewöhnlich offen und uneitel von den gemeinsamen Jahren und zeichnet ein liebevolles Bild des Freundes. Bewegend sind auch die Schilderungen von Formel-1-Legende Jackie Stewart, überraschend klarsichtig die Ausführungen von Phil Spector (!). Dass George beileibe kein Heiliger und das Leben mit ihm nicht immer leicht war, erfährt man von seiner zweiten Frau Olivia Harrison, die „Living In The Material World“ initiierte. Genauso sehr wie die Meditation und das Gärtnern, die Formel 1 und die indische Weisheit liebte er nämlich die Frauen. Und die liebten ihn.
George Harrison wurde am 25. Februar 1943 in Wavertree/Liverpool geboren. Sein Vater war früher zur See gefahren und arbeitete dann als Busfahrer in Liverpool. George war das jüngste von vier Kindern und, folgt man seinen Biografen, von Kindheit an schüchtern und introvertiert. Nichtsdestotrotz war er ein exzellenter Schüler, der 1954 einen Platz am respektierten Liverpool Institute erhielt. Sein Interesse galt allerdings ausschließlich der Musik: Mitte der 50er-Jahre hatte er die damals angesagte Skiffle-Musik entdeckt und seine Mutter überredet, einem Mitschüler für drei Pfund eine gebrauchte Gitarre abzukaufen.
Auf der Busfahrt zur Schule lernte er einen anderen Jungen kennen, der eine Klasse über ihm war, aber seine Passion für die Gitarre teilte. Er begann, regelmäßig mit Paul McCartney zu üben, und lernte durch ihn wiederum John Lennon kennen, den charismatischen Kopf einer Nachwuchs-Band namens The Quarrymen. Auch wenn Lennon den 15-jährigen Harrison zunächst als zu jung erachtete, wurde er wenig später offiziell in die Band aufgenommen. „Ich konnte mit ihm anfangs nichts anfangen“, sagte Lennon später. „Er war wie ein junger Hund, der mir auf Tritt und Schritt nachlief. Er war halt ein Junge, der Gitarre spielte und ein Freund von Paul war – was die Sache erheblich vereinfachte. Ich brauchte Jahre, um mit ihm warm zu werden, um ihn als ebenbürtig zu akzeptieren.“
Nach dem Schulabschluss arbeitete Harrison kurzzeitig als Lehrling in der Elektroabteilung von Blackler’s, einem Kaufhaus in Liverpool. Die Band benannte sich in The Beatles um und hatte schnell das Glück, vom Indra-Club in Hamburg als Hausband verpflichtet zu werden. Sie schliefen in einem kleinen Loch über einem benachbarten Kino und spielten sich täglich acht Stunden die Finger wund. Als Harrison im Dezember Hamburg verlassen musste (da er zu jung war und keine Arbeitserlaubnis hatte), waren die Beatles bereits eine eingespielte, professionelle Band.
Manager Brian Epstein brauchte trotzdem zwei Jahre, um ihnen einen Platten-Deal zu besorgen, da ihm alle englischen Plattenfirmen beschieden, dass die Tage der Gitarrenbands gezählt seien. Allen Absagen zum Trotz versprach Epstein, sie „größer als Elvis“ zu machen – und hielt Wort. Nachdem er lange auf George Martin, den Chef von EMIs Parlophone-Label, eingeredet hatte, ließ der sich schließlich breitschlagen: Er hörte zunächst das Demo, das die Beatles für Decca aufgenommen hatten, und lud sie schließlich zum Vorspielen in die Abbey Road Studios ein.
„Brian brachte die Jungs nach London, und ich sagte meinem Assistenten Ron Richards, dass ich mal reinschauen würde, sobald sie ihr Equipment aufgebaut hätten.“ Martin saß am Mischpult von Studio 2, 40 Jahre nachdem er hier zuletzt mit den Beatles gearbeitet hatte, als er mir diese Geschichte erzählte. „Anfangs hatten sie noch Probleme, aber irgendwann bekamen sie dann doch einen halbwegs vernünftigen Sound hin. Ich bat sie, in den Kontrollraum zu kommen und sich das Resultat anzuhören. Ich sagte:, Wenn euch irgend-etwas nicht gefällt, dann sagt’s mir.‘ Und George Harrison sagte:, Also, zunächst einmal gefällt mir Ihre Krawatte nicht.‘ Die anderen zuckten zusammen, weil sie glaubten, sie hätten gerade ihre große Chance vermasselt, aber ich fiel vor Lachen fast vom Stuhl. Es war zum Schießen – und so typisch für George.
Die Musik war eigentlich Murks, aber sie hatten diese wundervoll rotzfreche Attitüde. Ihr Charisma hinterließ bei mir jedenfalls einen nachhaltigeren Eindruck als ihre Musik. Als George den Spruch brachte, dachte ich: Diese Burschen sind echte Charaktere, sie sind geborene Stars – ich muss nur noch einen vernünftigen Song für sie finden. Ich erinnere mich sogar, dass ich am Ende der Session noch sagte:, Gentlemen, ich glaube, Sie haben Ihre erste Nummer eins.‘ Und alle johlten – weil sie natürlich nicht glaubten, dass dieser Fall je eintreten würde.“
Zwei Jahre nach dem Parlophone-Deal hatte der Sound der frühen Beatles Europa und die USA erobert. Einer der Schlüssel zu ihrem Erfolg war zweifellos ihr unbekümmerter Umgang mit den Fallstricken des Ruhms, doch während Lennon, McCartney und Starr in diesem Spiel eindeutig definierte Charaktere waren, blieb Harrison eine rätselhafte Größe.
Er war noch immer erst Anfang zwanzig, als er zu der Einsicht kam, dass der „Beatle George“, von seinen Fans abgöttisch verehrt, „nur eine Phase in diesem Leben“ sei, die auf den wirklichen George Harrison keine Rückschlüsse zuließ. Die ständige Belagerung seiner Intimsphäre, sei es von Fans oder den Medien, belastete ihn zunehmend – und er entwickelte einen mentalen Puffer, der ihn vor der verzerrten Scheinwelt der Beatlemania abschirmen sollte.
Harrison wollte immer lieber Musiker als Star sein, und der erste Rausch des Ruhms sollte sich schnell verflüchtigen. Wie Lennon blickte auch Harrison später skeptisch auf seine Beatles-Jahre zurück, da er sich seiner individuellen Freiheit beraubt sah. „In meinen ganzen Erfahrungen als Beatle gab es nichts, was substanziell herausstach, weil selbst der größte Kitzel nach einer Weile seine Wirkung verlor“, schrieb er 1979 in seinem Buch „I, Me, Mine“. „Für mich gab es nie einen Zweifel: Die Beatles waren zum Untergang verdammt. Es ist nun einmal elementar wichtig, Raum zum Atmen zu haben. Wir mussten scheitern, weil wir diesen Raum nicht hatten. Wir waren wie die Affen im Zoo.“
Als sie sich im Sommer 1965 in Los Angeles aufhielten, um ein Konzert in der Hollywood Bowl zu geben, bekamen sie Besuch von den Byrds, die ein paar psychedelische Rauchwaren mitbrachten. David Crosby spielte ihnen ein Album des Sitar-Virtuosen Ravi Shankar vor, das bei Harrison einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Kurz vorher, bei den Dreharbeiten zu „Help!“, war er überhaupt zum ersten Mal mit indischer Musik in Berührung gekommen.
Harrison war es, der die Sitar in die Popmusik einführte, als er sie auf „Norwegian Wood (This Bird Has Flown)“ einsetzte und sich dann, nach einer ersten Begegnung mit Shankar, nach Indien aufmachte, um dort sechs Wochen lang beim Meister zu lernen. Es war allerdings Shankars Demut, die Harrison am meisten beeindruckte: „Es war die Erkenntnis, dass – egal, wie perfekt und fantastisch du sein magst – es immer etwas zu lernen gibt, es immer etwas Neues zu entdecken gibt.“
Die Beatles tourten praktisch nonstop bis zum Sommer 1966 und traten dabei vor einem vorwiegend weiblichen Publikum auf, das so laut schrie, dass sich die Band auf der Bühne kaum noch verständigen konnte. Harrison litt besonders darunter, er war es einfach leid, „wieder und wieder rund um die Welt zu reisen und die zehn immer gleichen beknackten Nummern zu spielen“.
Er war ein talentierter Musiker, der seine Fähigkeiten aber gern im Verborgenen blühen ließ. In den frühen Beatles-Tagen hatte er die homogene Mixtur aus Blues, Rockabilly und Country vor allem an seinem Idol Carl Perkins ausgerichtet, doch es sollte nicht lange dauern, bis sein Spiel eine Reife entwickelte, die in keinem Verhältnis zu seinen Lebensjahren stand. Ab Mitte der 60er-Jahre waren seine quecksilbrigen Licks so prägend, dass man seine Präsenz fast schon zu spüren glaubte, bevor er auch nur einen Ton gespielt hatte. Er war auf einer kontinuierlichen Suche nach neuen Tönen und chromatischen Tönungen, die man bis dahin in der Pop-Welt noch nicht gehört hatte.
Auch wenn Harrisons erster dokumentierter Song mit dem programmatischen Titel „Don’t Bother Me“ bereits auf dem zweiten Beatles-Album „With The Beatles“ landete, sollte sein kompositorischer Stern doch erst Mitte der Sechziger aufgehen, als er unvergessliche Songs wie „If I Needed Someone“, „I Want To Tell You“, „Love You To“ und „Taxman“ schrieb. Vermutlich war es für Harrison zu dieser Zeit leichter geworden, Songs auf Beatles-Alben zu platzieren, weil Lennon seine Stellung als Bandleader und Platzhirsch allmählich einbüßte und der musikalisch abenteuerlustigere McCartney übernahm. „Taxman“ wurde innerhalb der Band als so gelungen erachtet, dass man ihm den begehrten Platz als Eröffnungsstück auf „Revolver“ einräumte – wobei es interessanterweise nicht Harrison, sondern McCartney war, der die kurzen, furiosen Soli spielte, die „Taxman“ so perfekt akzentuieren. Harrisons abgehackte, verzerrte Akkorde erinnern an einen störrischen Esel, der ständig gegen Ringos unerschütterlichen Beat austritt.
„Revolver“ war das einschneidende Erlebnis, das die Welt der Beatles für immer veränderte: Sie hatten kurz nach der Veröffentlichung ihr letztes Konzert gegeben, das Songschreiber-Team Lennon/McCartney gehörte (bis auf wenige Ausnahmen) der Vergangenheit an – und Harrison hatte Blut geleckt, forderte mehr Aufmerksamkeit für seine Songs und zeigte sich öfter unzufrieden, wenn sie nicht das von ihm gewünschte Echo fanden.
„Love You To“ ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg vom perfekten Pop der frühen Beatles zu dem psychedelischen Ozean, in den sie nun kopfüber sprangen. Harrisons Faszination für östliche Spiritualität und indische Musik schlug sich in Songs wie „The Inner Light“ und „Within You Without You“ nieder, die den kommenden Alben eine neue, hypnotische Note verliehen. Wie Lennon einmal bemerkte: „An der Oberfläche ist George eigentlich kein Geheimnis, aber das Geheimnis in Georges Innerem ist gewaltig. Ihn dabei zu beobachten, wie er Stück für Stück dieses Geheimnis enthüllt, macht die Sache so spannend.“
George Harrison schrieb „Within You Without You“ Anfang 1967 und nahm das Stück mit einer Gruppe indischer Musiker auf, die er im Londoner Eastern Music Circle rekrutiert hatte. Er sang, spielte Tamboura, Sitar, Akustikgitarre und verzichtete auf die Mitwirkung der anderen Beatles. Das Resultat war ein mystisch raunender Track, auf dem Harrison nicht nur seine Ernüchterung über den westlichen Materialismus artikulierte, sondern auch seine Entfremdung von den Beatles: „We were talking/ About the love that’s gone so cold/ And the people/ Who gain the world and lose their soul/ They don’t know/ They can’t see/ Are you one of them?“
„Als wir, Pepper‘ aufnahmen, gingen wir ständig Risiken ein und waren nie sicher, wie das Resultat klingen würde“, erklärte George Martin. „Vielleicht machte ich den Fehler, George nicht die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie John und Paul, und George war sichtlich frustriert, dass ich einen seiner Songs -, It’s Only A Northern Song‘ – ablehnte, weil er wirklich scheußlich war., Within You Without You‘ war vielleicht nicht die kommerziellste Nummer aller Zeiten, aber sie war mit Sicherheit ziemlich ungewöhnlich und trug zu der ausgefallenen Atmosphäre bei, die, Sgt. Pepper‘ auszeichnete. Ich muss zugeben, dass ich, Within You Without You‘ heute sogar noch interessanter finde als damals.“
Wie ihr Schöpfer gaben auch die Songs ihr Geheimnis nicht sofort preis. Doch je öfter man „Within You Without You“ oder „The Inner Light“ hörte, desto mehr offenbarten sie sich als tiefgründige, verführerische Statements eines Künstlers, der Glück und Sinn weit jenseits des Mainstreams suchte. Was jedoch nicht bedeutete, dass er keine Hits schreiben konnte. Die entstanden nämlich alle gegen Ende der 60er-Jahre.
„Something“ war im Oktober 1969 der erste – und einzige – Harrison-Song, der als Beatles-Single veröffentlicht wurde; für Lennon war er gar der beste Track auf „Abbey Road“. Gott und die Welt coverten den Song – von Elvis Presley bis Frank Sinatra, der ihn „das größte Liebeslied aller Zeiten“ nannte. Bezeichnenderweise stellte er ihn, wenn er ihn auf der Bühne ankündigte, immer als Lennon/McCartney-Song vor.
1968 machte sich Harrison mit den anderen Beatles nach Indien auf, um sich im Ashram von Maharishi Mahesh Yogi weiter in die Transzendentale Meditation zu vertiefen. Für Lennon, McCartney und Starr sollte es nur eine flüchtige Episode bleiben, doch Harrison blieb bis zum Ende seines Lebens den praktischen Übungen ebenso treu wie auch der spirituellen Theorie. „Jeder Mensch muss den eigenen Weg zu seinem inneren Ich finden“, erklärte er später einmal. „Ich bin fest davon überzeugt, dass das der einzige Grund ist, warum wir überhaupt auf diesem Planeten sind. Alles andere ist zweitrangig.“
Harrison sollte das erste Beatles-Mitglied sein, das ein Solo-Album veröffentlichte („Wonderwall Music“), und bereits bei den Aufnahmen zum „Weißen Album“ war er emotional und kreativ so frustriert, dass er die Gruppe wütend verließ, um allerdings einige Wochen später zurückzukehren. Nicht der letzte Ausbruchversuch, wie ein lakonischer Tagebucheintrag vom 19. Januar 1969, als die Beatles in den Twickenham Studios „Let It Be“ filmten, verrät: „Got up went to Twickenham rehearsed until lunch time – left the Beatles – went home and in the evening did King of Fu (kontroverse Single des Apple-Künstlers Brute Force) at Trident Studio – had chips later at Klaus (Voormann) and Christines went home.“
Als Paul McCartney 1970 endgültig den Stecker zog und die Beatles Geschichte waren, veröffentlichte Harrison schon wenig später „All Things Must Pass“ – ein Triple-Album, das er mit all dem Material füllen konnte, das er ursprünglich für die Band geschrieben hatte. Es sollte sein Meisterstück werden und gilt vielen Zeitgenossen noch immer als das gelungenste aller Beatles-Soloversuche.
Produziert von Phil Spector, warf das Album mit „My Sweet Lord“ auch den größten Hit seiner Solokarriere ab. Der kommerzielle Erfolg des Songs, einem Zwitter aus honigsüßer Melodie und Mantra, wurde allerdings überschattet, als die Verleger des Chiffons-Hits „He’s So Fine“ auf Plagiat klagten und sich mit dieser Auffassung auch juristisch durchsetzen konnten.
Nachdem er Pattie Boyd bei den Dreharbeiten von „A Hard Day’s Night“ kennengelernt hatte (in dem das 19-jährige Model ein Schulmädchen mimte), trat Harrison mit ihr 1966 vor den Altar – der alte Freund Paul fungierte als Trauzeuge. Sie trennten sich 1974, als Boyd mit Eric Clapton zusammenzog, einem seiner engsten Freunde. Vier Jahre später heiratete er Olivia Arias, die bei Harrisons Label Dark Horse in Los Angeles arbeitete. 1978 wurde ihr gemeinsamer Sohn Dhani gebogren.
Nach „All Things Must Past“ glich seine kommerzielle Karriere eher einer Achterbahnfahrt. Doch auch wenn die begeisterten Kritiken und exorbitanten Plattenverkäufe ausblieben: Auf allen Alben verbargen sich noch wundervolle Momente. Sein kreativer Tiefpunkt kam wohl 1982 mit „Gone Troppo“, seinem letzten Album für fünf Jahre, bis er sich 1987 mit dem von Beatles-Fan und ELO-Boss Jeff Lynne aufpolierten „Cloud Nine“ noch einmal zurückmeldete. Im Jahr darauf schloss er sich mit Lynne, Bob Dylan, Roy Orbison und Tom Petty zu den Traveling Wilburys zusammen, doch nach zwei Alben sollte sich Harrison aus dem Rampenlicht verabschieden.
1998 gab er bekannt, an Kehlkopfkrebs erkrankt zu sein. Ein Jahr später sorgte er noch einmal für Schlagzeilen, als er in seinem Haus in Friar Park von einem geistesgestörten Einbrecher tätlich angegriffen und schwer verletzt wurde. Seiner Frau Olivia gelang es, den Mann unschädlich zu machen und der Polizei zu übergeben. Während sich Harrison von den Stichwunden erholte, schickte ihm Tom Petty ein Fax mit den Worten: „Bist du nicht froh, ein mexikanisches Mädchen geheiratet zu haben?“ Als er schließlich im Alter von 58 Jahren starb, veröffentlichte seine Familie ein Statement, das sein Vermächtnis perfekt auf den Punkt brachte: „Er hat die Welt verlassen, wie er in ihr gelebt hat – mit Vertrauen in Gott, keiner Angst vor dem Tod, mit sich selbst im Frieden und umgeben von seiner Familie und seinen Freunden. Er sagte oft:, Alles kann warten, nur eines nicht: die Suche nach Gott – und sich gegenseitig zu lieben.'“
Harrison verfolgte durchaus Interessen in der „material world“ – als Filmproduzent etwa oder auch als engagierter Beobachter der Formel 1 -, doch die Meditation blieb der Mittelpunkt seines täglichen Lebens. In ihr fand er den Ort, an dem er sich ganz in sich zurückziehen konnte, weit weg vom Ruhm und dem Rock’n’Roll-Zirkus, von dem er sich innerlich längst verabschiedet hatte. Sein adäquates Refugium war Friar Park, das verfallene neugotische Gemäuer in Henley-On-Thames, das er 1970 gekauft hatte. Er verbrachte den Rest seines Lebens damit, den historischen Bau zu renovieren und die 14 Hektar des Parks zu kultivieren; unter anderem errichtete er dort ein Alpendorf in Miniatur, komplett mit einem Matterhorn aus Sandstein.
„Was wir heute sind, ist das Resultat unseres früheren Verhaltens, was wir morgen sein werden, das Resultat unseres heutigen Verhaltens“, sagte Harrison einmal. „Es gibt Dinge, die vorbestimmt sind. Für mich war es vorbestimmt, bei den Beatles zu spielen – auch wenn ich das damals nicht wusste. Rückblickend gesehen war es eine Falle. Aber gleichzeitig habe ich durchaus auch Einfluss auf meine Bestimmung … Ich könnte versuchen, bis ans Lebensende ein Popstar zu sein, ständig im Fernsehen aufzutauchen und eine Berühmtheit zu sein. Oder ich kann Gärtner werden.“ Am Ende war es genau das, was „Beatle George“ wählte. Der Mann, der dabei half, das Zeitalter des Pop einzuläuten, fand die größte Genugtuung darin, die Pflanzen in seinem Garten umzutopfen.
Die Fotos, die diesen Artikel illustrieren, stammen aus der von Olivia Harrison herausgegeben illustrierten Biografie „George Harrison. Living In The Material World“, die zudem Zitate von Harrison, Paul McCartney, Phil Spector, Ravi Shankar u. v. a. aus der gleichnamigen Martin-Scorsese-Dokumentation enthält. Der Regisseur schrieb auch das Vorwort. Die deutschsprachige Version ist im Knesebeck Verlag erschienen und kostet 39,95 Euro.