Genuss mit Böcken: Gunter Blank über Lammfleisch
Nicht nur zu Ostern sind Lamm, Hammel und Schaf noch immer eine nachhaltige und köstliche Alternative zu Rind, Kalb und Schwein.
Vielleicht hatten die Kirchenväter ja ein prachtvolles Gelage im Sinn, als sie im Jahr 325 das Osterfest auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling legten. Jedenfalls koinzidiert der österliche Termin zwischen dem 21. März und dem 25. April bestens mit der Schlachtreife der im September und Oktober geborenen Lämmer, und da das Lamm nicht nur das alttestamentarische Opfertier schlechthin ist, sondern zugleich Jesus, seinen Tod und seine Auferstehung repräsentiert, verbindet sich bis heute die angenehme Schlemmerei mit Lammbraten und Rotwein mit der religiös gebotenen Einverleibung des Leibs Christi und seines Blutes.
Allein die Deutschen scheinen von derlei kathartischen Genüssen wenig zu halten. Nur 640 Gramm Lammfleisch werden hierzulande pro Jahr und Kopf verzehrt – im Vergleich zu knapp 36 Kilo Schweinefleisch eine geradezu verschwindend geringe Menge. Zu streng der Geruch, ein Verbrechen die Milchlammschlachtung, zu teuer die Koteletts, so lauten die Begründungen. Insbesondere das „Böckeln“, der strenge Geruch nach altem Bock, scheint auch heute noch viele abzuschrecken – was ein einigermaßen irrationaler Reflex ist, der allenfalls auf uraltem Aberglauben oder Erzählungen der Großmutter gründet. Früher glaubte man tatsächlich, die Hand, die das Fell des Tieres berührt, dürfe nicht Fleisch berühren, ansonsten bekomme es einen strengen Geschmack. Und im Krieg mag es auch vorgekommen sein, dass alte Schafe verzehrt wurden, die nicht mehr ganz so gut rochen. Ein Lamm aber, das per Definition nicht älter als ein Jahr ist, wird diesen Geruch niemals haben.
Hammelfleisch war Hochgenuss der Arbeiterklasse
Im Gegenteil, ein sechs Monate altes Tier hat praktisch keinen Eigengeruch – es sollte vor der Zubereitung sogar einige Tage im Kühlschrank reifen. Und auch vor Hammeln muss man sich nicht fürchten: Die sind nicht älter als zwei Jahre. Wie aus den Aufzeichnungen der Urgroßmutter des Kolumnisten hervorgeht, die 1909 vor der Heirat eine Hauswirtschaftsschule besuchte, stand damals das Hammelkotelett auf einer Stufe mit dem feinen Kalbfleisch. Überhaupt fällt auf, dass damals viel mehr Hammel und Kalb auf dem Speiseplan standen als Rind und Schwein. Hammelfleisch war ein auch für die Arbeiterklasse erschwinglicher Hochgenuss. Schafherden waren überall in Deutschland ein alltäglicher Anblick, Ende des 19. Jahrhunderts grasten allein in der Lüneburger Heide über 800.000 Heidschnucken, heute sind es nur noch etwa 12.000.
Offenbar hat der Zweite Weltkrieg zu einer Zäsur geführt. Danach ging der Schafbestand zurück, Lammfleisch wurde zu einer teuren Delikatesse für Feinschmecker. Dagegen ist Lammfleisch, und durchaus auch das von älteren Tieren, in fast allen Ländern und Kulturen fester Bestandteil der Hoch wie auch der populären Küche. In der Türkei schwören sie auf Hünkar Beğendi – was so viel heißt wie „Der Sultan war entzückt“ –, eine Art Gulasch aus Auberginenpüree, Tomaten und Lammfleisch. In anderen östlichen Küchen schätzt man kräftige Eintöpfe wie das georgische Chakapuli, den usbekischen Pilaw, die levantinische Shurpa oder Reisgerichte wie das indische Curry. Und in der ostchinesischen Anhui Region gilt der mit gebratenem Lammfleisch gefüllte Auchabarsch als Vollendung der Kochkunst.
Lammkultur in Italien und Frankreich
Wem das zu exotisch ist, der sollte sich bei unseren italienischen und französischen Nachbarn umtun, die über eine exzellente Lammkultur verfügen. Insbesondere die Franzosen haben mit dem LimousinLamm eine Köstlichkeit hervorgebracht. Wobei – inzwischen stehen ihnen die herrlich mageren Lüneburger Heidschnucken und die saftigen friesischen Salzwiesenlämmer kaum mehr nach. Diese Qualität hat allerdings ihren Preis. Ein Lammlachs aus dem Limousin schlägt mit 100 Euro zu Buche, die norddeutschen Pendants immerhin mit der Hälfte. Wer es günstiger haben will, kann sich beim türkischen Metzger für einen Bruchteil des Preises einen Lammrücken auslösen lassen oder eine leckere Lammkeule mitnehmen. Ganz Mutige indes können nach den Zutaten für das Kokoreç fragen und sich erklären lassen, wie man aus gegrillten Därmen und anderen Innereien ein leckeres Fladenbrot-Sandwich zubereitet.