Gentleman mit wilder Seele
Der deutsche Autor Norman Ohler schrieb den Text für Dennis Hoppers Rolle im Wim-Wenders-Film „Palermo Shooting“. Der Beginn einer Freundschaft.
Wenn man an Dennis Hopper denkt, hat man diesen verrückten Typen im Kopf. Im Film war er immer der böse Antagonist. Wim Wenders hat ihn in „Palermo Shooting“ gegen sein Image gecastet. Er spielt dort die sensible, sanfte Rolle des Todes, für die ich den Text schreiben sollte. Wim hat zu mir gesagt, Dennis sei ein ganz weicher, sensibler Typ. Und so habe ich ihn dann auch kennengelernt.
Ich hab ihn einfach angesprochen, und er fragte: „Who are you?“ Ich sagte: „The screenplay-writer.“ Da fing er an, herumzutanzen und sang dazu „screenplay writer, screenplay writer.“ Er hatte einen Kumpel dabei, Satya, sein bester Freund, der aufpasste, dass er nicht zu lange drehte. Und Satya lud mich für den Abend ins Hotel ein. Wir saßen auf einer Terrasse, schauten auf den Hafen von Palermo und redeten. Dennis hatte natürlich tolle Geschichten zu erzählen, und er erzählte sie gern. Wir sprachen auch viel über Literatur, denn Dennis war großer Thomas-Mann-Fan. Vor allem „Tonio Kröger“ hat er geliebt.
Am Set haben wir uns unverbindlich verabredet, mal irgendwann etwas zusammen zu machen. Und dann hat er tatsächlich drei oder vier Wochen später angerufen und mich gefragt, ob ich zu ihm nach Venice kommen würde, um mit ihm eine Geschichte auszuarbeiten, die er seit den 80er-Jahren versucht zu begreifen. Da hab ich natürlich sofort zugesagt. Im März 2008 bin ich nach Los Angeles geflogen und habe bei ihm gewohnt. Über sein Haus, das Frank Gehry gebaut hat, ist ja viel geschrieben worden. Das meiste stimmt nicht. Das war kein Prunkhaus, und ich glaube, alle anderen Hollywood-Stars leben viel abgeschotteter. Die Haustür war natürlich abgeschlossen, wegen der ganzen teuren Warhol-Bilder. Aber von innen wardas alles sehr minimalistisch und sehr offen. Es gab einen kleinen Pool mit einem Häuschen, in dem Dennis seine Zigarren rauchte. Im Haus durfte er das nicht, wegen der Kinder. Und vielleicht auch wegen all der Bilder, die dort hingen.
Ich war quasi der writer in residence. Ich habe dort gearbeitet, dafür hat Dennis mir freie Kost und Logis gegeben und sein Leben mit mir geteilt. So war ich etwa bei einem Casting für Roland Emmerichs „2012“ dabei und bei einer Party seiner Nachbarin Angelica Houston. Morgens am Pool haben wir über das Drehbuch geredet, und dann habe ich alles ausgearbeitet. Es ging um Leute aus Mexiko, die nach Kalifornien gingen. So eine gesamtkalifornische Story. Wir nannten sie „Kilo“. Zufällig bot der Guggenheim Motorcycle Club eine Tour nach Baja, California. Und von dort stammten unsere Protagonisten, also sind wir mitgefahren. Dennis, der Guggenheim-Direktor Tom Krens, eine schöne mysteriöse Russin, die behauptete, sie sei Innenarchitektin, und ich. Dennis fuhr im Begleitwagen, Motorräder mochte er nicht besonders. Das war ihm zu gefährlich. Er war eher ein vorsichtiger Mensch, schnallte sich immer an, guckte, ob auch alle anderen angeschnallt waren. Er hatte 20 Jahre lang nicht getrunken, keine harten Drogen genommen. Eigentlich war er eher konservativ. Ein Gentleman. Aber im Geist war er sehr wild und frei. Und diese Kombination war beeindruckend.
Leider ist aus unserem gemeinsamen Projekt dann nichts geworden. Er hat irgendwann das Momentum verloren. Vielleicht hatte er – ähnlich wie sein literarischer Held Tonio Kröger – Schwierigkeiten, längerfristige Beziehungen aufzubauen, und als Regisseur, der er eigentlich immer sein wollte, muss man eben längere Beziehungen zu einem Stoff aufbauen. Wir haben auch noch an einem anderen Projekt gearbeitet: „River Movie“. Ein Film, der ein bisschen an David Lynchs „Straight Story“ angelehnt ist. Dennis wollte die Hauptrolle übernehmen und zunächst auch Regie führen. Er starb, bevor das Drehbuch fertig war.
Letztes Jahr habe ich ich zu seinem Geburtstag in Taos, New Mexico besucht. Er verbrachte dort in seinem Haus viel Zeit mit Henry, seinem 19-jährigen Sohn, der auch Schauspieler ist. Damals hatte er schon Krebs. Er hat nicht darüber geredet, aber ich habe es gemerkt. Er war dünn und schwach und hatte sich sehr zurückgezogen. Es ging ihm nicht gut, seine Frau hat ihn nicht besucht dort draußen. Das war alles sehr traurig. In Taos liegt Dennis nun auch begraben, denn diese weite Landschaft, die Indianer, D.H. Lawrence, die Natur – das ist seine Seele.
Aufgezeichnet von maik brüggemeyer