Genies, von allen Plattenfirmen verlassen
Das Ehepaar AIMEE MANN & MICHAEL PENN zählt zu den besten Songwritern der USA. Dass sie von ihren Labels fallen gelassen wurden, machte die beiden Kritikerlieblinge nicht mutlos ganz im Gegenteil...
Eine freundliche Promoterin, doch, wirklich. Zwei Stunden Zeit opfert sie am Sonntag, um ihren Schützling bei seinen Interviews zu betreuen. Den Kaffee in der Bar an New Yorks Lower East Side, klar, den bezahlt sie auch. „Ein toller Typ“, lächelt sie und zeigt auf den Künstler.
Mehr allerdings investiert die Company, immerhin die Nummer 2 in der Welt, nicht in Michael Penn. Anderntags, ein Nobelhotel Lexington. Ecke 50th. Interview-Marathon in der Luxus-Suite, „25 Minutes, I’ll Interrupt!“. Und da gucken ein paar Kollegen bereits ganz neidisch. Aber die Gunst der Stund, sie werde genutzt! Aimee Mann ist für ihren exquisiten Soundtrack zum Oscar-Favoriten „Magnolia“ ihres Freundes Paul Thomas Anderson für einen Grammy nominiert. Nur einen Plattendeal hat man der exzeptionellen Künstlerin leider nicht angeboten.
Der schönste dieser drei Tage in Big Apple war ohnehin der Samstag, denn da standen Michael Penn und Aimee Mann, seit zwei Jahren verheiratet, auf der Bühne von Joe’s Pub“ und spielten zwei Stunden für jene Menschen, die sehr wohl zu schätzen wissen, was sie an den beiden haben. „Can music be any better?“, murmelte ein Zuhörer in sein Bier, und wir zuckten mit den Achseln. – Schwerlich. Fragile Songs, die man so noch nie vernommen hatte, zuweilen unter Dampf gesetzt vom formidablen Begleit-Quartett, oft aber wie Schleierwolken am Abendhimmel. Und weil das Paar zwar liebend gerne singt, aber überhaupt nicht gerne spricht, übernehmen die beiden Comedians Andy Kindler und Janine Garraffalo die Rollen der Conferenciers. Kluge Verse und Pointen werden en masse geboten – das pure Vergnügen fürs Publikum.
Doch man lasse sich nicht täuschen, denn bei genauerer Betrachtung kaschiert das vermeintliche Lustspiel nur eine wahre Tragödie. Doch zum Glück nehmen unsere beiden Hauptdarsteller selbst dann noch kein Blatt vor den Mund, wenn ihnen die gegnerische Seite zwecks Einschüchterung Spione an den Interview-Tisch setzen lässt Die traurige Tatsache, dass Aimee Mann und Michael Penn, obwohl fiir jedes ihrer Alben mit Kritikerlob überschüttet, selbst eine so bescheidene Club-Tournee wie diese nur unter größten Mühen realisieren konnten, würde garantiert ein ganzes Kapitel im (noch) fiktiven Schwarzbuch über die Plattenindustrie 2000 füllen. Länger, aber nicht ganz unähnlich wäre wohl nur noch die Leidensgeschichte John Fogertys.
Wie der durfte auch Michael Penn, nach seinem 1989er Achtungserfolg „March“ und dem weit schwächer verkauften „Free For All“ (1992) vier Jahre lang kein Album produzieren, aber auch seine Company nicht wechseln. 1997 erschien „Resigned“, nun steht sein jüngstes Album „MP 4 (Days Since A Lost Time Accident)“ in den Regalen. Doch auf die Schulter geklopft für die exquisite Arbeit hat ihm von den Vertragspartnern bislang noch niemand.
Bittere Erfahrungen, welche Aimee Mann mit ihrem Gatten teilt: Nach J.’m Wim Stupid“, ihrem zweiten Soloalbum, trat sie 1995 in einen fast zwei Jahre währenden Rechtsstreit mit ihrer Company, und nun erscheint ihr neues (und bislang sicherlich bestes) Werk „Bachelor No. 2“ auf ihrem eigenen LabeL Zu beziehen in den Foyers ihrer Auftrittsorte oder im Internet unter www.aimeemanm.com .
Und deshalb ist Aimee Mann jetzt auch so glücklich wie lange nicht mehr. „Ich war es ja so satt“, lächelt sie, „mit Leuten über Musik zu diskutieren, die nie im Leben in einen Laden gerannt sind, um eine Platte am ersten Tag ihres Erscheinens zu kaufen. Mit diesen Gewinnern, die nicht wissen, was ein Song für einen Menschen bedeuten kann. Noch glücklicher werde ich erst sein, wenn auch Michael sich aus dem Big Biz verabschiedet hat, in das wir beide nun einmal nicht passen.“ Lange kann das nicht mehr dauern, denn Michael Penn teilt die Ansichten seiner Gattin voll und ganz. „Dass ich damals überhaupt mein erstes Album veröffentlichen konnte, habe ich einem perfiden Mechanismus der Plattenindustrie zu verdanken.“ Dort werfe man nach dem meist frühen Exitus des letzten Trends „die Neueinkäufe an die Wand, und was klebenbleibt, hat für zwei weitere Jahre eine – allerdings eher minimale -Chance. Meine erste Platte erschien in
solch einer Umbruchphase, meine zweite leider nicht – das war’s dann.“
Kein Wunder also, dass die beiden ohne jede Scheu die den Zeitgeist-Auguren so verhassten goodoldtimes „mit Wonne und ehrlicher Überzeugung glorifizieren“, wie Penn sagt. „Das hat mit Nostalgie absolut nichts zu tun, dafür aber mit dem Wissen um jene Zeit in den sixties, als in der Musikszene das totale Chaos herrschte und die Industrie noch nicht mächtig genug war, um da eingreifen zu können. So entstand eine Vitalität, die jedes System sabotierte, genau das, was uns heute so fehlt.“ – Also genau das, was Mann 8C Penn sich in ihren Konzerten gönnen.
„Der oldfashioned way“, den wir da praktizieren, ist einerseits zwar aus der Not geboren, andererseits aber auch Garant für ein hohes Niveau“, sagt Aimee Mann. „Und es ist der für uns unglaublich wichtige Versuch, sich mal der Geschäftswelt zu verweigern.“ Die zwinge jeden Musiker mit Anspruch „zum ewigen Kampf ums Überleben. Und ich zähle nun mal nicht zu den Künstlern, die sich aus diesem Kampf ein werbewirksames Image basteln.“
Es ist fast unmöglich, mit diesen extraordinären Songwritern mal einen Satz zu wechseln, ohne dass dabei nicht wieder die Industrie mit ihren Karriere-Verhinderungstaktiken ins Spiel käme. Und es ist kaum zu fassen, dass man dabei mit zwei Leuten aus der Creme der Zunft spricht, denen Elvis Costello Loblieder dichtet, die Grant Lee Buffalo mit dem gleichen Erfolg ins Studio einladen wie unsereins den Pizzaservice ins traute Heim, die besser als Tom Petty klingen, wenn sie denn mal wie Tom Petty klingen. Und die trotzdem ihren Humor nicht verloren haben.
„Zum Glück“, sagt der 41-jährige Penn, Bruder des Schauspielers Scan, „habe ich mit der Musik spät genug angefangen, um nun dem Erfolg gegenüber ausreichend blasiert aufzutreten.“ Und Aimee, die leider doch keinen Grammy bekam, hat sich den Dodo zum Logo erwählt: „Ein einzigartiger Vogel, der bereits vor 200 Jahren ausgerottet wurde. Das Tier war einfach zu speziell für unsere schlechte Welt“