Die besten Konzeptalben aller Zeiten: Genesis – „The Lamb Lies Down On Broadway“
Genesis erzählen auf ihrem wunderlichen, anspielungsreichen Konzeptalbum von der Großstadt. Die erscheint mal als grausame Bedrohung, mal als Gebärmutter-Szenerie.
Vom urenglischen Heckenland, in dem mörderische Greisenkinder sich beim Krocket enthaupteten, der Bärenklau wuchernd nach Opfern gierte und in einem neuen Jerusalem das Abendessen fertig war, arbeiteten sich Genesis 1974 in die Neonhölle New Yorks vor. Oder besser gesagt: Eines der fünf Bandmitglieder brach in ganz neue Sphären auf – die übrigen vier blieben genauso ratlos zurück wie der große Teil der Fans und die nach Erscheinen des Albums maximal irritierte Presse. Peter Gabriel schloss also seine viktorianisch geprägte poetische Phase ab und jagte seinen Helden Rael, einen puerto-ricanischen Punk und Straßengangster, auf eine Odyssee durch seine persönliche Gotham-Version. Der Moloch Großstadt mal als grausame Bedrohung, mal als Gebärmutter-Szenerie.
Unmöglich, hier alle Stationen der Heldenreise aufzuzählen, vom Pornokino über den Käfig, die Parade der leblosen Verpackungen bis hin zum Teich der lüsternen Lamia-Wesen, die seltsamen Begegnungen mit John, der Bruder und Nemesis gleichermaßen ist. Vollkommen unmöglich, das Werk schlüssig zu dechiffrieren, auch nicht wenn man den zweiseitigen Einführungstext, der der Vinyl-Version beilag, zurate zieht – der macht alles nur noch rätselhafter, verwirrender, skurriler.Meisterwerk der Assoziationen
Kaum eine Zeile des Albums, die keinen Verweis auf Popkultur, griechische Sage oder Zeitgenössisches wie Werbung oder auch mal eine populäre Hinrichtung bietet. Das Album ist ein Meisterwerk der Assoziationen, und das unterscheidet es von den anderen Konzeptalben seiner Generation. Keine straßentaugliche Coming-of-Age-Geschichte wie „Quadrophenia“, nicht unerträglich egozentrierte Selbsttheraphie wie „The Wall“. „Lamb“ ist weniger Rockoper als der wüste Trip seines Protagonisten.
Wie bei Pink Floyds „The Wall“ („Another Brick in the Wall, Pt. 2“) und Marillions „Misplaced Childhood“ („Kayleigh“) aber musste um jeden Preis eine Single ausgekoppelt werden, die das Album nicht repräsentieren konnte und aus dem inhaltlichen Zusammenhang gerissen zwar erfolgreich, aber auch ein bisschen peinlich war. Hier war es „The Carpet Crawlers“, ein honigsüßer Kuschelrocksong für Sozialkundelehrer, die gern behagliche Wollsocken tragen, während sie durch den „Tagesspiegel“ blättern. Kein Wunder, dass die Trümmer-Genesis der Stadion-Epochen genau diesen Song häufig und treu live zur Aufführung brachten.