Geistreiche Pop-Spiegelfechtereien: Jarvis Cocker und Pulp sind im Zenit

Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, wenn man im Wartezimmer zum Ruhm sitzt, 13 Singles sind eine Menge Hoffnungsträger. Und wenn keine den Durchbruch bringt, muß das doch enorm frustrierend sein. „Yfcah“, lacht Jarvis Branson Cocker, „und verdammt charakterbildend.“ Die ewigen Warteschleifen haben ihn bestens präpariert für das Leben als Popstar, Cocker genießt es in vollen Zügen. All die Präliminarien, sagt er, all die Pulp-Platten und die Auftritte waren gutes ein Praktikum, das er genutzt habe, indem er den unabwendbaren Erfolg antizipierte und schon einmal vorverdaute. „Common People“, das sei ihm absolut klar gewesen, als die Aufnahme im Kasten war, würde die Wende bringen. Sollte es der verdiente Lohn für Ausdauer sein? Nein, weiß Cocker, Verdienste zählen wenig in diesem Gewerbe. Es sei viel einfacher, sie hätten sich stetig verbessert. Und obwohl er den Begriff „Brit-Pop“ nicht ausstehen kann, konzediert er, daß der Medienrummel darum „es leichter gemacht hat, passable Sachen in die oberen Regionen der Charts zu bekommen“. Nun ist „Common People“ ganz sicher mehr als passabel, und die extrem bowieeske neue Single „Mis-Shapes“ sogar ganz exquisit. Pulp sind im Zenit, und Cocker ist sich dessen sehr wohl bewußt. Das neue Album ^4 Different Class“ ist so urbritisch wie „Parklije“ – und könnte ein ebensolcher Renner werden. Doch anders als Blur, die Symptomen auf der Spur sind, beleuchten Pulp Strukturen. Und wo Blur Charaktermasken tanzen lassen und dadurch entlarven, desavouiert Cocker seine Charaktere mit Hilfe geistreicher Spiegelfechtereien – wohl wissend, daß auch sein eigenes Spiegelbild so zum Ziel des Spotts wird. Selbstironie ist seine große Stärke, der Übergang vom Erhabenen zum Lächerlichen seine Spezialität. Pulp-Themen sind zeitlos: Machismo, Snobismus, Eifersucht, unterdrückte Sexualität. Und alles musikalisch hübsch verpackt in buntes Bonbonpapier. Die Erkenntnis kommt mit dem Genuß. Pulp sind ein bißchen subversiv. Als die Band, damals noch ein Trio, von Sheffield aus ihre ersten Singles in die Welt hinausschickte, war das noch nicht abzusehen. Cocker verleugnet diese Naivitäts-Phase zwischen Gary-Numan-Blähungen und Depeche Mode-Konfetti-Pop gar nicht bemüht. Die Erinnerung daran stimmt ihn eher heiter. Ganz zu Anfang hätten sie „Wild Thing“ gespielt und auch „House Of The Rising Sun“, mittels eines Moog-Prodigy und eines Casio-Tone. Unheiliger Synth-Pop der dritten Art als musikalische Roots. Es braucht schon ein gerüttelt Maß an Gelassenheit, um sich unbefangen darüber zu unterhalten. Eigentlich hätte er damals in Sheffield ja lieber die Songs von Echo & The Bunnymen gespielt und von Teardrop Explodes, aber als Musiker seien sie damit völlig überfordert gewesen. Die Last, Sex-Symbol sein zu müssen, sieht er entspannt. Die Ladies, liest man, vor allem die älteren Semester, haben sich in Jarvis verguckt. Erstaunlich, bedenkt man die schiere Länge seiner Extremitäten und die Quadratur seines Kopfes. Er stimmt zu. Im übrigen: Der Kavalier genießt und schweigt Wolfgang Doebeung

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