Gefühle aus der Gulaschkanone
Etwas über Pur zu schreiben sei bestimmt nicht so einfach, mutmaßt Sänger, Texter und omnipräsentes Pur-Aushängeschild Hartmut Engler. „Wir sind einfach ein paar nette Jungs, die im Schwabenland wohnen und ab und zu ’ne Platte machen und das ganze Jahr auf Tour sind. Ansonsten sind wir lieb zu einander und zu allen, mit denen wir zu tun haben – das wäre eine treffende Charakterisierung.“ Die netten Jungs von nebenan also. Pur produzieren Deutsch-Pop mit Anleinen gleichermaßen beim Schlager wie beim Rock. Engler übertreibt ein wenig, wenn er von „erhabenen Klanggebilden“ spricht Nein, wichtig sind bei Pur allein die Texte – und die triefen vor zugreifender Emotionalität Engler: „Es gibt Tod, es gibt Liebe, das alles darf auf unsere Platten. Unsere Geschmacksgrenzen sind unsere eigenen.“ In der Tat. Blumig und gestrig formulierend, singt Engler über seine Sorgen, seine Ängste, vor allem aber über seine Hoffnungen – die sind ganz wichtig: „Man muß doch sagen, daß es irgendwo eine Hoffnung gibt, daß wir alle was verbessern können.“ Ein deutschrocktypisches Phänomen ist es, daß sich Künstler vom Erfolg geblendet, gern für das beständige Psalmodieren moralischer Selbstverständlichkeiten feiern lassen. Fatal an der Pur’schen Sozialkritik sind Beliebigkeit und Kollektivzwang. Existentdalist Engler handelt sein Geworfensein in diese Welt damit ab, daß er sie kritisch beäugt Da dürfen auch mal böse Worte fällen, aber die Quintessenz muß unbedingt positiv sein: „Wir entlassen die Leute nach dem Konzert mit einem unheimlich guten Feeling.“ Kein Wunder, denn populistische Metaphern wie die des „Brückenschlagens“, ein häufiges Motiv bei Put, sind Gemeinplätze. Anders als bei Kollegen wie Grönemeyer kauft man nicht gleich ein ganzes Programm mit, sondern wähnt sich in trügerischer Sicherheit, denn durch radikales Schwarzweiß-Malen ist ja jeder irgendwie gut – wen wundert es also noch, daß bei Pur-Konzerten überaus biedere Menschen aufgebracht gegen Fremdenhaß opponieren? Wenn Menschen zweieinhalb Stunden lang singen – denn „die Texte kennt im Konzert wirklich jeder auswendig“ – wie schrecklich, aber doch eigentlich nicht ganz so schlimm diese Welt ist, dann folgt daraus eine überbordende Selbstzufriedenheit: Böse sind immer die anderen. Und mit der vertonten Lichterkette ist’s getan.
– darin Borussia Dortmund und anderen Erstliga-Klubs sehr ähnlich – sein Publikum jovial als „das beste der Welt“ bezeichnet, hat nichts gegen diese pauschalisierende Einhelligkeit: „Das nennt man Solidarisierungseffekt, und wenn es auch nur ist, daß man den Leuten, die auch schon in diese Richtung denken, das Gefühl vermittelt, wir sind viele, wir sind stark, dann hat man was erreicht.“ Der Weg dahin ist erstaunlich kurz. Mit Reinhard Mey teilt er nicht nur die Plattenfirma und verwendet auf der letzten Platte einen Text von ebendiesem – darüber hinaus ähneln die beiden sich im lausbubigen, mit einem Wicker’schen Augenzwinkern vorgetragenen, seichten Entrüstetsein. Von Karl May kommen viele Wildwest-Vokabeln („Wo sind all die Indianer“, „Bin Dein Häuptling kuschelnder Bär“, „Brüder vom Stamm der Gerechtigkeit“), und Karls berüchtigte Landschaftsbeschreibungen transportiert Engler auf nicht enden wollende Umschreibungen einer tollen Frau. Manchmal gehen Karl und Reinhard gar Hand in Hand, wenn die „Friedenspfeife“ (Karl) „überm Videogerät“ (Reinhard) baumelt Engler voll Vorfreude: „Wir machen auf der nächsten Platte ein Heavy-Metal-Stück über Wut. Kein Problem, bei Pur funktioniert auch das.“ Alles funktioniert bei Put „Wir kochen unser eigenes Süppchen, damit sind wir immer gut gefahren.“ Und daß dieses Süppchen mittlerweile einiger Gulaschkanonen bedarf, ist doch um so schöner.