Geburt der Tragödie
Oh Susanna liebt theatralische Geschichten so sehr, dass sie ihre eigenen Mörderballaden schreibt
Suzie Ungerleider ist kein schöner Name, aber nach bürgerlichem Maßstab immer noch schicker als der 120 Jahre alte Cowboy-Song „Oh Susanna“, nach dem sich die besagte Suzie aus Vancouver für Platten und Bühne benannt hat. Das führt in die richtige Richtung: Die 32-Jährige hat vor zwei Jahren sogar eine Themenplatte über ein Flutunglück in Pennsylvania gemacht, das 1889 passiert ist (Johnstown“, ihr Debüt). Sie schreibt murder ballads, lässt haufenweise Schiffe und Eisenbahnen durch ihre mentalen Landschaften gleiten, imitiert geschickt die Geschichtenerzähler des Appalachen-Folk. Zu Auftritten geht sie nur mit der Gitarre, und den Berichten nach fühlen sich hinterher alle verzaubert.
„Kings Road“ von Oh Susannas neuem Album „Sleepy Little Sailor“ wirkt dagegen richtig radikal, weil es fast in der Gegenwart spielt. „Eyes lined with goo, hair spiked with glue, sing me a song that’s three chords long, inhale until we’re blue“, denn mit 14 war Suzie Ungerleider ein Punk. Weil die Sommer von Vancouver notorisch warm sind, trafen sich dort die Hobos und Teilzeit-Rebellen des weiteren Umlands, „für meine Schwester und mich war das eine Gelegenheit, den intellektuellen Background der Familie gezielt zu verleugnen“, sagt Suzie. Daheim blieben die Marilyn-Monroe-Bilder an der Kinderzimmerwand hängen: „Die fantastische Traumfrau mit dem tragischen Schicksal. Fand ich toll.“
Susanna, passionierte Dramatikerin. Mochte die Rolling Stones ganz gern, als der Papa ihr die Platten vorspielte, war komplett besessen von ihnen, als sie die Geschichte von den Intrigen gegen Brian Jones, dem Tod im Swimming-pool und der Katastrophe von Altamont hörte.“Der dritte Mann“ war ihr Lieblingsfilm, bevor sie ihn überhaupt gesehen halte: Die Beschreibung der Schatten-Szenerien in den Tunneln von Wien reichten. „Sogar, wenn ich die Sex Pistols hörte, hat das meine Phantasie angeregt Das hat mich an andere Orte und in andere Zeiten katapultiert“, erzählt sie. Und dann war da noch das Drama von Sid und Nancy. In Vancouver sah sie Pete Seeger beim Auftritt mit den Punks D.O.A. und wurde endlich auf das Mysterium Folk aufmerksam.
Ein Stück auf „Sleepy Little Sailor“ handelt davon, wie ein Kind heimlich das Toupet seines toten Seefahrer-Onkels trägt. Man soll das nicht streng autobiographisch hören, beruhigt Oh Susanna.